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11. Tag, Brúarjökull - Siguršarskáli

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Copyright © 2003 Dieter Graser

Sonntag, 27. Juli 2003


Morgen
Der Blick um 6:00 Uhr aus dem Zelt macht Laune. Das Wetter könnte nicht besser sein. Gut, der Südwind ist ein wenig kräftig, aber hält den Himmel frei. Eine Terrasse tiefer sind sogar schon die ersten der Ungarn wach. Neben ihrem Zelt flattert die ungarische Fahne an einem Skitock. Wir haben heute den selben Weg zur Siguršarskáli Hütte, aber ich habe meine eigenen Tageseinteilung und Rythmus.

Aufbruch um 8:20 Uhr. Wenn ich die GPS Wegpunkte gerade miteinander verbinde dann wären es nur 13 km bis zur Siguršarskáli. Das soll aber nicht viel bedeuten und quer über die Bergketten der Kverkhnjúkar schon gar nichts. Habe versucht die Route nach bestem Wissen aus der neuen 1:100.000er Karte auszubaldowern. Die ersten Kilometer klappt es auch hervorragend. Das Höhenlinienbild der neuen Karten ist zuverlässig. Natürlich ist die Auflösung in diesem Maßstab und mit 20 m Höhenlinienabstand begrenzt und es gibt keine extra Signatur für Fels oder steilwandige Schluchten. Für Spannung und kleine Überraschungen ist somit gesorgt.

Erst nutze ich die Fortsetzung der Zeltterassen um ein Stück nach Norden zu gehen. Der Hang aus lockerem Frostschutt fällt steil zum Gletscher und zum düsteren Quellkessel der Kreppa ab. Die Terrasse wird zu einer schmalen Leiste, bis sie schließlich ganz verschwindet. Das Gelände wird einfacher als ich nach Westen in ein kleines Tal abbiege. Über alte Schneefelder umgehe ich in einem weiten "S" zwei Berge und komme zur Hveragil. Das ist die erste Schlucht, deren Querung mir während der Vorbereitung ein wenig Sorgen machte.

Hveragil
Die Hveragil ist hier jedoch kein Problem. Ich finde einen nicht zu steilen Abstieg und der Bach selbst kann über eine massive und noch hartgefrorene Schneebrücke gequert werden. Die heißen Quellen, die der Schlucht den Namen gaben müssen sich wohl im unteren Teil der Schlucht befinden. Hier im Oberlauf der Schlucht dampft es nirgends. Zum Ausstieg aus der Schlucht finde ich eine enge, steile Rinne, in der man wie auf einer Treppe aufsteigen kann. In schweißtreibendem Aufstieg erreiche ich eine flachen Absatz im Osthang eines steil zur Hveragil abfallenden Berges. Die Querung dieses Osthanges nach Norden hat es in sich. Loser Gesteinschutt, Blockwerk, Geröll und kleine, senkrechte Felsabsätze erlauben keinen Fehltritt. Ein beeindruckender Tiefblick in die Schlucht macht mir deutlich wohin die Reise gehen könnte. Ich verkürze den linken Stock und fahre den rechten ganz aus. Gleichmäßig gehen, immer nur an den nächsten Schritt denken, ihn sauber setzen und jeden Tritt senkrecht belasten.

Bin froh als ich diese etwas heikle Stelle hinter mir habe. Die Nordseite des Berges ist ein breiter sanft geneigter Rücken hinter dem laut Karte das nächste Problem in Form einer zweiten Schlucht wartet. Von meinem Standpunkt ist das Tal nicht einsehbar, aber ich muß mich entscheiden wo ich es queren will. Talaufwärts, nach Süden, scheint die Schlucht selbst nur ein V-förmiger Einschnitt zu sein, aber auf der anderen Seite versperren die Steilabfälle des nächsten Höhenzuges wie eine Mauer den Weiterweg. Talabwärts, nach Norden, erkenne ich ein tiefe Klamm mit senkrechten Felswänden. Ein langes Schneefeld erlaubt mir einen zügigen Abstieg nach Nordwesten zum flacheren Ende des Walls auf der anderen Talseite. Zu meiner Überraschung ist dort wo ich die Schlucht vermute nur ein Damm aus Altschnee der quer über das schmale Tal zieht. Ist hier überhaupt keine Schlucht, oder ist sie nur durch den Schneedamm ausgefüllt? Die Frage ist nicht zu beantworten und auch zweitrangig. Hauptsache ich habe einen günstigen Übergang gefunden. Am gegenüberliegenden, steilen Talhang stoße ich auf eine wage Pfadspur und auf ein paar Grafittis, die in den weichen Tuff geritzt sind. Wege haben ihre eigene Logik und wenn es einen gab, dann konnte er nur hier sein.

Die Querung des nächsten, breiten Tales mit zwei klaren Bächen ist dagen ein Kinderspiel - wenn der etwa 80 m hohe Gegenhang nicht wäre. Am Fuße einer steilen Schneerinne mache ich Pause und schöpfe Kraft. Dann lege ich sicherheitshalber die Grödel an steige im Zickzack die Rinne hinauf. Der Schnee ist griffig, nicht zu weich und ich kann mich auf die Grödel verlassen. Aber zehnmal lieber im Schnee als über den feinen Gesteinsgrus und das Geröll aufsteigen. Natürlich sind die letzten Meter die steilsten. Oben, in der Scharte angekommen weht ein giftig, kalter Südwind. Finde einen verwitterten Markierungspfahl. Der Abstieg in das nächste Tälchen ist weniger steil und nicht einmal halb so tief. Ich folge dem Tal ein Stück auswärts nach Norden und stoße auf einen weiteren, alten Markierungspfahl. Dann suche ich mir den nächsten günstigen Aufstieg nach Westen - meine Route liegt genau quer zu allen Tälern hier. Auch hier noch eine Markierung. Die Landschaft südwestlich des wildgezackten Borgrafell weitet sich etwas und die strenge Südwest-Nordost Ausrichtung der Täler wird durch ungeordnete, kleinere und größere Hügel unterbrochen. Markierungspfähle finde ich nun keine mehr. Die Hügel bestehen aus auffallend rutschanfälligem und weichem Lockermaterial. Seltsame Einsackungen und Spalten lassen den Schluß zu, daß es sich hier um mit einer mehr oder weniger dünnen Schicht aus Moränenschutt und Sand überdecktes Toteis eines vom Hauptstrom abgeschnitten Teils des Kverkjökulls handelt. In diesem instablien Untergrund bleibt kein Markierungspfahl lange aufrecht stehen. Mühsam suche ich mir meinen Weg hinab zu einem größeren Bach. Pause mit Müsliriegel und Tee aus der Thermos.

Das Wetter hat sich seit heute Morgen langsam aber stetig verschlechtert. Von Südosten ist eine Wolkendecke aufgezogen und ein kalter Wind pfeift mir ins Genick. Nach meiner GPS Peilung steige ich in grober Richtung NNW Richtung Biskupsfell zum nächsten Höhenzug auf. Auch hier erleichtern mit Altschnee gefüllte Rinnen den Aufstieg. Der Abstieg auf der anderen Seite wird aber durch ein quer den Steilhang durchziehende Felsstufe verwehrt. Naja, im Kartenbild sind das drei harmlos aussehende Höhenlinien - halt etwas enger zusammen als sonst - man kann nicht immer Glück haben. Diesmal entscheide ich mich dafür das Tal auf seiner oberen Umrahmung zu umgehen. Das heißt erst mal wieder bergauf. Damit gehe ich vielleicht einen 2 km weiten Umweg, bleibe aber in etwa auf der gleichen Höhe wie die angepeilte Scharte südlich des Biskupfells. Von hinten fällt mich ein längst erwarteter, erster Regenschauer an.

Kverkhnjúkar
Von der westlichen Talumrandung habe endlich den freien Blick auf den Kverkjökull und den Dyngjujökull. Laut GPS befinde ich mich auf 1260 m Höhe. Ein Kilometer weiter nördlich stoße ich südlich des Biskupfells auf die Spuren von Wanderern, die von der Siguršarskáli über das steile Schneefeld heraufkamen. In 1 - 2 Minuten kann ich die knapp 100 Höhenmeter auf den Schuhen das Schneefeld abfahren und brauche nun nur noch einem gut ausgetretenen und markierten Weg zur Hütte zu folgen. Der Tag mit all seinen mühsamen Auf- und Abstiegen steckt mir in den Knochen und ich wähne mich schon an meinem Ziel. Aber die Hütte liegt genau auf der anderen Seite des Virkisfells, den ich erst auf seiner Westseite umrunden darf. Zu guter Letzt setzt nun ernsthaft Regen ein. Hinter einer Hangkante liegt die Hütte schließlich direkt vor mir. Noch ein paar Meter Abstieg und ich kann mir auf einen der sorgsam ausgelegten und gehegten Wiesenteppichen in Meterware einen Platz für mein Zelt suchen

Sowohl Atli von Landsbjörg als auch Žórnż hatten die Hüttenwartin Sirra mit ihren roten Haaren erwähnt, aber mir ihre charmante Kollegin Lissi unterschlagen. Wenn sich wie bei ihr, das mit tirolerischem Einschlag gesprochene Deutsch mit einem isländischen Akzent vermischt, dann kommt Eines zum Anderen, und die Summe des Ganzen mag auf den Empfänglichen ziemlich unwiderstehlich wirken, ohne daß dieser erklären könnte warum. War ein anstrengender 10-Stundentag heute. Spendiere mir eine Dusche und krieche in mein von Wind und Regen geschütteltes Zelt. Die Ungarn sind heute nicht mehr eingetroffen.


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