Zurück zur Hauptseite

11. Tag, Jökulheimar - Hraungil

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Montag, 26. Juli 1999


Um 6:00 Uhr ein Blick nach draußen - dichter Nebel - sehe gerade mal die Hütte. Schlecht! Auf dieser Tagesetappe brauche ich gute Sicht. Umgedreht und weitergeschlafen. Um 8:00 Uhr sieht es schon etwas besser aus. Vom Westen ziehen zwar immer noch "bodennahe" Wolken her, aber über dem nahen Eis im Osten leuchten ein paar Sonnenflecken. Ist der kalte Luftstom vom Vatnajökull herab so trocken, daß er die Wolken am Gletscher einfach auflöst? Eigenartiger Anblick.

Jökulheimar

Aufbruch erst um 10:00 Uhr. Nach kurzem Weg auf einer recht gut eingefahrenen Piste erreiche ich den Mast der automatischen Wetterstation, deren Daten auch halbstündlich in Internet eingespeist werden. Wenig später ein paar Balken. Sind das die Überreste einer inzwischen abgerissenen älteren Hütte? Die Position stimmt mit dem in der 100.000er Karte eingezeichneten Hüttensymbol besser überein, als die neueren Hütten. Die vorher noch deutliche Piste zerfasert sich in eine Vielzahl von alten Fahrspuren. Die niederen Wolken verdecken die Berge im Westen und die Genauigkeit der Karte läßt einiges an Auslegungsspielraum zu. Zudem hat sich wohl auch der Eisrand seit der Kartenaufnahme zurückgezogen. Die Fahrspuren sind vollends verschwunden und vor mir liegt ein Bach, der nicht zur Karte paßt. Nicht weiter ungewöhnlich, also gefurtet und meinen nächsten Wegpunkt Richtung Norden angepeilt. Am Fuß des steilen, felsigen Berges, schräg links, müßte ich ihn erreichen. Nun, der Verlauf des Tales, dem ich folgen muß ist klar, also muß ich nicht zum Wegpunkt am Berg sondern halte ich mich mehr in der Talmitte. Aber Entfernungen schätzen im Hochland ist immer sehr schwierig, da es kaum Vertrautes gibt, das als Maßstab herhalten könnte. Die nächtes Kontrollmessung ergibt, daß mein Wegpunkt wohl jensteits der zwar nur etwa 100 m hohen, aber dafür um so steileren Bergkette liegt. Ich bin also ein Talzug zu weit östlich, und das was ich als die Bláfjöll angesehen habe, ist der Jökulgrindingur. Nicht weiter schlimm, denn so habe ich einen einmalige Blick auf den nahen Eisrand des Vatnajökull. Das Tal steigt nach Norden in einer steilen Stufe an und ich muß mir erst mal einen Weg über das grobe Blockwerk suchen. Links am Berghang schöne Pillowlaven, wie aus dem Lehrbuch der Geologie. Oberhalb der Stufe liegt eine Verebnung mit einem Felsblock von Garagengröße. Rechts ein Gletscherbach, der die niedere Moräne durchbricht und dahinter die flache, schmutzigblaue Eisrampe des Vatnajökull. Der Höhenzug links ist nun schon bedeutent niedriger und der Karte nach müßte ihn ein Stück weiter ein weiterer Gletscherbach durchbrechen. Dieser Durchbruch bedeutet zwar eine weitere Furt aber schließlich komme ich damit ins "richtige" Tal.

Mittagspause nach der Furt. Etwa in Talmitte finde ich eine alte, verwaschene Fahrspur. Dieses Jahr ist hier sicher noch niemand gefahren. Ab und zu ist ein Fußabdruck und den Einstich eines Treckingstockes zu sehen. Die Spuren führen nach Norden, also können sie nicht von Karl stammen. Der späte Aufbruch und der Verhauer haben viel Zeit gekostet. Der Grindakvísl ist ein Gletscherbach und führt jetzt am Nachmittag ordentlich Schmelzwasser. Da der steile Hang links keinen Platz mehr läßt wechselt die Fahrspur auf die andere Bachseite. Also Furten. 300 Meter weiter das gleiche Spiel in der anderen Richtung (gut knietief). Die alte Fahrspur verschwindet unter einem Altschneefeld am Hangfuß und die Fußspur ist nirgends mehr zu entdecken. Langsam drückt der Nebel von Westen her wieder über die Bláfjöll. Am Nordende des Höhenzuges ein einzelner Markierungspfahl an einem Abzweig nach Westen. Im Osten immer noch ein heller Streifen, der den Gletscherrand, von dem ich mich inzwischen ziemlich entfernt habe, andeutet. Endlich schwenkt die Fahrspur wieder nach Osten auf den Sylgjufell zu. In einem Sonnenstrahl leuchtet kurz etwas auf, was nur die alte Skessúskjól Hütte sein kann. Noch 4 km! Auf dem harten Untergrund des Lavafeldes verliere ich immer wieder die kaum mehr sichtbare Fahrspur. Schließlich mache ich mir keine Mühe mehr nach ihr zu suchen denn mein Ziel liegt klar voraus am Fuß des Sylgjufell. Nur, ob ich es erreichen kann hängt davon ab, ob ich eine Furt durch den Gletscherfluß Sylgja finde - das erste wirklich große Fragezeichen auf dieser Tour.

Es ist jetzt gegen 18:00 Uhr und damit so ziemlich die schlechteste Zeit, einen Gletscherfluß nahe dem Eisrand zu furten. Einige Zeit gehe ich am Ufer entlang und betrachte mir die wenig einladenden braunen Fluten. Es gibt nur eine Stelle, an der ich es versuchen kann - sonst muß ich bis morgen Früh warten. Sichere die Bergschuhe extra hoch und fest am Rucksack, ebenso die Phototasche auf Brusthöhe. Hüft- und Brustgurt sind diesesmal nicht geschlossen und die Stöcke voll ausgefahren. Das Wasser ist schmutzig, undurchsichtig und eiskalt. Die erste Hälfte geht ganz gut, aber dann kommt der Stromstrich. Das Wasser hat enorme Kraft und schwappt mir bis in den Schritt. Ohne die Stöcke hätte ich keine Chance das Gleichgewicht halten zu können. Nach vorne schauen, sondieren und zügig weiter. Endlich drüben.

Hraungil

Nach der Furt wieder mal indianermäßig nach der Fahrspur gesucht und sie auch gefunden. Erreiche gegen 19:30 Uhr die alte Skessjuskól-Hütte. Die schachtelartige Hütte ist zwar nicht abgesperrt aber der einzige Raum sieht ziemlich unbewohnbar aus. Im Internet fand ich den Kommentar: "voller Müll". Reste der Wandverkleidung, Fetzen des Isoliermaterials, Glassplitter, Staub und Dreck. Sonst leer bis auf einen einzelnen Stuhl, der sogar noch funktionstüchtig aussieht. Ein Wunder, daß das Dach noch nicht in einem Sturm wegeflogen ist. Die dicken Stahltrossen an den vier Hausecken haben das wohl bisher verhindert. Baue mein Zelt unterhalb der Hütte, in etwas Respektabstand zum nächsten Fluß aus der die Hraungil herunterkommt. An einem Platz mit feinem aber festen Sand zeigen Steinreihen, daß hier schon mal jemand gezeltet haben muß und seine Heringe beschwert hat. Hole mir Wasser vom Bach und filtere das Gröbste ab. Aber Gletschertrübe geht durch jeden Kaffeefilter und müshsam gewinne ich so etwa einen Liter. Bin mit dem Ergebnis nicht zufrieden und versuche in einer Schlucht, etwa 1 km weiter südlich Wasser zu finden, denn dort glaubte ich einige Schneereste gesehen zu haben. Na also - werde auch fündig. Der Sand kann sich absetzen und ansonsten ist das Wasser viel klarer. Ein ungetrübtes Abendessen ist gesichert.

An den Aufzeichungen bis mir gegen 22:30 Uhr die Augendeckel zu schwer werden - war ein anstrengender Tag.


Zurück zu Inhalt
12. Tag Hraungil - Leynidalur