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1. Tag Anreise

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Copyright © Dieter Graser

Donnerstag, 14. Juli 1994


Hektik! Bis 12 Uhr in der Firma, dann noch ein paar letzte Einkäufe für die Reiseapotheke, ein stabiles Brillenetui und schnell den Rest gepackt. Im letzten Moment noch umdisponiert und die größere Reisetasche genommen. Annie in der Arbeit angerufen. Das Wetter war schwül, heiß, an die 30°C und zunehmend gewittrig. Schwitzend mit dem großen Rucksack und der Tasche zur S-Bahn die mit den ersten dicken Tropfen kam. Nur 40 Minuten später dann am Flughafen. Beim Einchecken dann den ganzen Restcharme aufgeboten, um mein Übergepäck durchzubringen - kein Problem. Der Rucksack wurde allerdings als sperriges Gepäckstück eingestuft und mußte an einem besonderen Schalter aufgegeben werden, auch das schon eine gewohnte Übung. Fensterplatz in der SAS Maschine nach Kopenhagen. Leider kaum Bodensicht, erst über der Ostsee dann die dänischen Inseln gegen die tiefstehende Sonne. Im Sinkflug immer mehr Details einer Puppenstubenwelt erkennbar, selbst die Küste verspielt und einladend, einzig die Ostsee selbst könnte hier die friedliche Stimmung etwas unterbrechen wenn sie wollte. Aber sie bot an diesem Abend offensichtlich guten Segelwind und nur wenige Schaumkronen.

Den Zwischenstop in auf dem Kopenhagener Flughafen mit einem großen Eis als vorerst letzten Tribut an den Sommer abgesessen. Endlich in der Boeing der Iceland Air. Leider über Südnorwegen wiederum keine Bodensicht. Später dann ein paar Bohrinseln, einige mit Fackeln in der blauen Dämmerung. Im hinteren Teil des Flugzeuges saß ich mitten unter der Besatzung eines Trawlers aus Rostock. Interessantes Gespräch mit meinem Sitznachbarn. DDR, Wiedervereinigung, Abwicklung und Fischfilets aus der Kombüsenperspektive. Je länger wir nach Nordosten fliegen um so mehr weicht die Dämmerung wieder zurück. Gegen 23 Uhr dann wieder das Aufgehen der im Norden stehenden Sonne. Das Wolkenmeer unter dem Flugzeug liegt noch im Dämmerungsschatten und zeigt alle Abstufungen von Blau und Lila. Ich sitze auf der "richtigen" Seite, rechts am Fenster. Island kommt in Sicht. Der Föhn hat die geschlossene Wolkendecke entlang der Südküste unterbrochen und deutlich ist von Höfn bis etwa zu Skógar die Südküste in der Mitternachtsdämmerung zu sehen. Der Breišamerkurjökull mit den Eisbergen auf dem Jökulsárlón, Hvanadalshnúkur, Skaftafell, Skeišarárjökull und das weite Flußgeästel des Skeišarársandur. Mein sechster Flug nach Island, aber zu ersten mal ist dieser Teil der Küste nicht unter dichten Wolken verborgen. Über der Reykjaneshalbinsel tauchen wir jedoch wieder in sie hinein. Es sind tiefe, graufeuchte Wolken die der Westwind über die dunklen Lavafelder bei Keflavík treibt. Wenn die meteorologische Begrüßung einmal doch anders sein sollte, ich glaube, mir würde etwas fehlen.

Am Gepäckband dann erst einmal eine böse Überraschung. Mein Rucksack kommt mit offenem Deckel, die Kleidertüte hängt halb heraus, die wasserdichte Tasche mit dem Feldbuch liegt daneben und ich sehe meinen Anorak nicht, der in einem roten Stoffbeutel obenauf lag. Schließlich kommt auch er zwischen anderen Gepäckstücken auf dem Band daher. Aufatmend aber doch besorgt frage ich mich, ob nicht doch etwas verlorengegangen sein könnte - scheinbar nicht. Müdes Geschaukel im Bus nach Reykjavik.

Es ist 1 Uhr Früh - Nacht kann man nicht sagen - ohne die Wolken und die feinen Regenschauer, die immer wieder vom Meer her kommen, wäre es fast hell zu nennen, aber es herrscht "Reykjavikvešur" Reykjavikwetter, wie Óskar es nennt. Vom Hotel Loftleišir bringt mich ein Taxi zum Zeltplatz. Ich kenne mich aus, finde schnell einen Platz und will jetzt eigentlich nach 20 Stunden nur noch schlafen. Ich brauche nur noch schnell das Zelt aufzubauen und dann bin ich zu hause. Aber wo sind die Zeltheringe? Nein - das kann doch nicht wahr sein, die Heringe sind doch immer im Zeltsack! Heute eben nicht, nicht dort und auch sonst nirgends, sonder brav und nutzlos in der großen Blechkiste im Keller in München. Mist! An den überdachten Tischen vor den Waschräumen sitzen noch ein paar Versprengte und schlagen sich die Nacht um die Ohren. Ob ich sie um ein paar Heringe angehen soll? Nein, es geht auch so, der Wind ist deutlich schwächer als in Keflavik und eigentlich steht das Zelt auch von alleine. Mit den Skistöcken kann ich es zumindest am Fußende noch fixieren und das Gepäck und ich selbst sind schwer genug um es am Boden zu halten. Kann aber doch nicht gleich einschlafen, da in einem der Nebenzelte zwei Italiener noch einmal den Tag nachdiskutieren Mir ist heiß im Schlafsack und ich schwitze - bin wohl immer noch angegrippt. Schließlich trotz dieser kleinen Störungen tief geschlafen.