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7. Tag Dreki, Askja

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch, 20. Juli 1994


Um 5 Uhr aufgewacht, 1/8 Lentis, Sonne, leichter SW-Wind, was will man mehr als so einen Morgen. Frühstück vor dem Zelt, wenn auch mit Faserpelz. Heute ist Ruhetag. Hatte eigentlich vor mir eine Mitfahrgelegenheit die acht Kilometer zur Askja hinauf zu suchen, aber für Autos ist es wohl noch zu früh am Tag. Im Rucksack habe ich nur Photo, Badezeug, Thermosflasche, ein paar Müsliriegel und die obligatorische Schlechtwetterkleidung. Kurz, mein Rücken spürt den Rucksack eigentlich gar nicht. Um 8:20 Uhr breche ich auf.

Die Fahrstraße steigt nur mäßig an, links ab und zu ein munteres Bächlein, Sonne, gute Laune, kein Streckenplan, viel Zeit - eine kleine Wanderung mit Spaziergangcharakter. Die Straße geht durch das junge, erst 1961 entstandene Lavafeld Vikrahraun. Die frische, unverwitterte Lava ist tiefschwarz und chaotisch. Erstarrte Trümmer, aufgestellt von der letzten Fließbewegung, zerbrochene, überkippte Schollen, gestauchte Wülste und im Zerspratzen erstarrte Lava, scharfkantige, gefährliche Klingen bildend. Daneben dunkle Risse und aufgebrochene Gewölbe der schon erstarrten Oberfläche, unter der die noch flüssige Lava einst wie in einer Höhle floß. Ein Alptraum sich hier abseits der aufgeschütteten Straße bewegen zu müssen.

DrekiAskja
Nach zweieinhalb Wegstunden, kurz vor dem Rand der Caldera überholt mich ein geländegängiger Kleinbus mit einem Dutzend Touristen. Bisher war ich vollkommen alleine und freute mich darauf dies auch weiter zu bleiben. Wenn man zu Fuß geht wird man vielleicht ein wenig elitär und man denkt, daß man sich eine Aussicht oder allein die Anwesenheit an einem Ort mehr verdient hat als eine Reisegruppe, die sich in Spezialfahrzeugen hier raufkarren läßt. Aber ich habe Glück, nur wenige hundert Meter weiter stoppt sie ein weiches Schneefeld und macht sie zu Fußgängern. Ich überhole sie nun meinerseits und wahre Abstand. Mein Hochmut wird aber umgehend bestraft, da oben am Rand der Caldera ein mit überdimensionalen Reifen aufgemotzter Van geparkt steht. "Fjallabil"- Hochlandauto steht auf der Fahrertür. Er muß noch vor 8 Uhr heraufgefahren sein und konnte über den noch harten Firn fahren. Wenn es aber noch mehr auffirnt, dann kann er allerdings für die Rückfahrt Schwierigkeiten bekommen. Boshaft blinzle ich der Sonne Mut zu.

Der Blick in das Rund des weitgehend schneebedeckten, 45 km² großen Einsturzkraters der Askja (ganz treffend "Schachtel") mit dem See Öskjuvatn, ist einmalig und das Wetter könnte kaum besser sein. Eine halbe Stunde lang geht es noch flach über weiche Schneefelder zum kleinen Víti Krater. Das Schmelzwasser hat den Schnee teilweise zu einem Sumpf werden lassen, so daß man seinen Weg vorsichtig wählen muß, um nicht nasse Füße zu bekommen. Ein Drittel des Öskjuvatn ist von einer großen Eischolle bedeckt, die der Wind an das nordwestliche Ufer getrieben hat. In den engen Viti Krater führt eine steiler Trampelpfad hinunter. Als ich unten ankomme macht sich gerade eine kleine Gruppe von Belgiern an den Aufstieg. Ich habe den Kratersee für mich alleine. Das Thermometer zeigt mir eine Wassertemperatur von 26,5°C an. Das Badewasser ist zwar von feinem Schlamm etwas milchig verfärbt, aber dafür gut angewärmt. Der leichte Schwefelgeruch muß allerdings in Kauf genommen werden. In der Mitte des Sees perlen prickelnd kleine Gasblasen im Wasser auf. Ich schwimme in Champagner! Die Vorstellung im Explosionskrater eines Vulkans zu planschen, der vor 120 Jahren 2 km³ glühende Asche bis in die Stratosphäre geschleudert hat, wird durch die beruhigende Wirkung des warmen Bades schläfrig überspült. Als nach einer halben Stunde die nächste Gruppe eintrifft überlasse ich ihnen ich den See.

DrekiViti
Nördlich des Viti zieht eine Pfadspur einen Grat zur Umrahmung der Askja hinauf. Am Anfang ist sie ziemlich breit und ausgetreten und sicher schon von Legionen von Photographen begangen worden. Alle Postkarten und Bildbandbilder sind von hier oben gemacht worden, aber wohl wenige bei so einem Licht! Je höher ich steige um so dünner wird die Spur. Ein kräftiger Wind jagt blendend weiße Wolken von Südosten über die Askja. Die Gipfel der Kraterumrahmung sind im Norden um die 1400 m im Süden bis 1500 m hoch, der Öskjuvatn liegt 500 Meter tiefer. Die Aussicht vom Gipfel ist über den Odaušahraun ist unglaublich, die Luft ist vollkommen klar, nur über dem Tröllaskagi gehen ein paar Schauer aus den Wolken nieder. Im Südwesten die Trölladyngja und der Hofsjökull, im Nordwesten ist der Einschnitt des Eyafjördur zu ahnen, Mżvatn, Heršubreiš, die Berge an den Ostfjorden, Snęfell und der östliche Teil des Vatnajökull. Die guten Vorsätze zum sparsamen Filmverbrauch müssen vor dem Panorama kapitulieren. Ich freue mich wie ein Schneekönig, daß das Wetterglück so auf meiner Seite zu wissen. Allein für diese Aussicht hätte sich diese Reise nach Island schon gelohnt.

DrekiHeršubreiš
Es ist Mittag und noch früh. Ich folge weiter dem Verlauf der Gipfelkette, es sind nur kurze Ab- und Anstiege, teils über Schutt und Bimsstein, oder über Schnee. Immer wieder stoße ich auf die frischen Spuren einer Gruppe von Franzosen, die mit ihrem isländischen Führer um Mitternacht in Dreki aufgebrochen und "direkt über die Berge" zur Askja aufgestiegen sind. Von Oben ist das Gelände übersichtlich und unproblematisch. So geht es weiter über die drei oder vier nächsten Gipfel zurück Richtung Dreki. Da die Spuren der Franzosen den Grat verlassen folge auch ich ihnen und rutsche komfortabel über ein weites Schneefeld ab. Ein Firn wie Sahne. In der Ferne ist die Piste, die ich heraufgekommen bin zu sehen. Weiter geht es auf einem erst breiten, dann schmäleren Rücken bergab. Weginstinkt ist jetzt gefordert, denn die Spur der Franzosen hat sich irgendwo im Frostschutt verloren. Die Hänge sind mit fast goldfarbenem Bimsstein bedeckt, der angenehm weich unter dem Bergschuh nachgibt. Allerdings breche ich einmal bis zum Knie mit dem Bein durch diese Bimssteindecke! An einer anderen Stelle wird sichtbar, daß unter dem Bimsstein, durch ihn bestens isoliert, Eis liegt. Der gut erkennbaren Kornstruktur nach Gletschereis, von dem hier Reste konserviert sind. Die Dyngjufjöll sind aktuell nicht vergletschert, also hat sich hie Eis aus dem letzten Jahrhundert erhalten. Ich mache von dem Fund einige Aufnahmen und werde sie Hans mal vorlegen. Beim Abstieg halte ich weiter auf die Straße zu, wohl wissend, daß es ganz unten noch eine Steilstufe zu überwinden gibt. Ich finde auch neben einem ausgetrocknetem Wasserfall ein bequemes Felsband welches mich dann sicher zu dem letzten Hang hinabführt. Dann noch einen Bach überquert und ich bin wieder auf der Straße. Um 17 Uhr bin ich wieder bei meinem Zelt in Dreki. Das war keine schlechte Bergtour für einen "Ruhetag".

DrekiDreki
Angelika ist noch am Zeltplatz. Sie ist heute auf der gesperrten Piste bis zum Dyngjuvatn gewandert. Sie fährt wenig später mit einem Bus Richtung Norden zurück und wir tauschen noch die Adressen aus. Bis jetzt war es nur darum gegangen erst einmal bis hierher nach Dreki zu kommen. Die Entscheidung ob ich nach Norden zurückkehren, oder über den Gęsavatnaleiš zum Sprengisandur hinüber wandern würde wollte ich erst hier vor Ort fällen. Körperlich bin ich fit, Verpflegung habe ich noch genug, nur die Piste die ich gehen will ist wegen der Schneelage noch immer nicht freigegeben. Von Woche zu Woche wird darüber entschieden und eine Karte der offenen Pisten veröffentlicht. Bei den beiden "Landwärterinnen" hole ich mir die aktuelle Wettervorhersage ein. Gutes Wetter für die nächsten drei Tage! Das klingt gut, aber Island ist Island, und Wettervorhersagen in Island stehen im impliziten Konjunktiv. Die Entscheidung ist aber schon im Laufe des Tages gereift und so erkläre ich ihnen mein Vorhaben, meine Tagesetappen, und daß ich ihnen von der Hütte in Nżidalur Bescheid geben werde, sobald ich dort ankomme. In sechs Tagen spätestens müßte ich dort sein. Gut, sagen sie, auf eigenes Risiko, ich könnte aber nicht damit rechnen unterwegs ein Fahrzeug zu treffen - goša Ferš! Ich weiß, daß ich auf der Route alleine sein werde und daß dies der anspruchsvollste Abschnitt der Reise sein wird. Ein wenig mulmig ist mir doch. Durch Umpacken von Müsli gewinne ich eine weitere Wasserflasche und kann somit vier Liter mitnehmen. Dann ein extra kräftiges Abendessen zum Aufladen. Schnell noch eine Karte an Hans nach Dęli geschrieben und einem jungen Nürnberger mitgegeben, der Morgen Richtung Egilstašir fährt. Ist es erwähnenswert, daß ich noch leicht nach Schwefel rieche?


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8. Tag Dreki - Sandur