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14. Tag, Nýidalur - Tómasarhagi

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Copyright © Dieter Graser

Mittwoch 27. Juli 1994


Morgens 7:30 Uhr. Es "dächelet" weiter auf das Zeltdach. Draußen weht ein naßkalter Wind. Der neue Schlafsack bewährt sich ganz hervorragend. Da die Wolkenfetzen nur 50 Meter über Grund dahinjagen ist es heute auf dem Sprengisandur sicher keine Freude. Zudem führen die 2 Furten gleich am Anfang der Etappe leichtes Hochwasser. Ich bleibe heute noch hier und warte ab wie das Wetter sich entwickelt. Ich schaue kurz in der Hütte vorbei, verabschiede mich von Flo, der nun nach Süden weiterfährt. Ins Zelt zurück, hole Frühstück und die Aufzeichnungen des letzten Tages nach. Und weil es so schön regnet schlafe ich noch ein Stündchen.

Die Furt an der Hütte muß wieder mal als Videokulisse und Teststrecke herhalten und beweist auch wieder ihren Unterhaltungswert. Ein Schweizer Rentnerpaar mit weißem Mercedes Geländewagen - die Abdeckung des Reserverades ziert eine Islandkarte mit eingezeichneten Hochlandrouten (!) - macht es besonders gründlich. Schweres Stativ, große Videokamera und Handfunkgeräte für Regieanweisungen. Er quert die Furt einmal hin und zurück, sie filmt, dann wird gewechselt. Sie fährt, er filmt. Schließlich haben sie die Szene im Kasten. Frage sie lachend, ob ihr "Karren" jetzt endlich sauber wäre. Sie verstehen den Spaß - "Eigentli schoo!".

Ein junger Isländer wühlt mit einem bulligen Chevrolet auf Riesenreifen durch die Furt. Bei der Rückfahrt sticht ihn vor der letzten und tiefsten Rinne der Hafer. Er läßt den Motor aufbrüllen, der Wagen verschwindet kurz hinter einer Wand aus aufspritzendem Wasser und ... bleibt triefend mitten in der Furt stehen. Der Motor ist aus, es herrscht Ruhe. Alle die das Schauspiel beobachtet haben grinsen schadenfroh - ja , lieber etwas weniger Macho, dafür bleibt dann auch die Elektrik trocken! Das Grinsen wird zum Lachen als der Anlasser nur ein jämmerliches Winseln von sich gibt. Was für ein Kontrast zu dem Sound der Sechslitermaschine, die er wieder zum Leben erwecken versucht!

Am Nachmittag bessert sich das Wetter ein wenig. Es gibt Unterbrechungen im Dauerregen, einmal ist sogar ein Regenbogen zu sehen. Ich werde gegen Abend noch bis Tómasarhagi gehen um die Etappe bis zum Bergvatnskvísl von 26 auf 21 km zu kürzen und mir nebenbei für morgen die zwei Furten zu sparen. Der Rucksack steht dann bald gepackt in der Hütte. Ich warte auf eine Regenpause um zu furten - es eilt nicht. Inda und Sigga versüßen mir das Warten mit einem Eis mit heißer Schokoladensoße. Nachschlag inklusive. Maria, die jüngere Schwester Indas bietet mir noch eine Orange an. Wie soll man da nein sagen können? Um halb fünf verabschiede ich mich und furte durch die schmutzig, gelbbraune Jökulsá. Dann die Stiefel angezogen und bei stetigem Regen, aber günstigerweise mit Rückenwind, auf Richtung Tómasarhagi. Die Furt dort ist durch den Dauerregen auch nicht gerade flacher geworden. Ein paar Zehnermeter hinter dem Kreuzungsschild zur Abzweigung Gæsavatnleið finde ich ein etwas erhöhtes, moosiges Plätzchen für mein Zelt.

Ich habe mich gerade eingerichtet, als ich von draußen Stimmen höre. Am Wegweiser steht ein junges Paar mit großen Rucksäcken und berät sich. Ich ziehe noch mal meine Regenklamotten an und gehe zu ihnen. Ihr Englisch ist recht holprig aber bei Französisch hellen sich die Blicke auf. Sie kommen wie ich von der Askja über den Gæsavatnleið. Ihre Ausrüstung ist ziemlich schlecht, sie sind durchnäßt, erschöpft und fertig. An den Gæsavötn hatten sie gestern Schwierigkeiten um vom Sturm nicht umgeblasen zu werden. Sie haben heute 25 Kilometer geschafft. Jetzt noch Fünf Kilometer und zwei tiefe Furten - das Mädchen ist demoralisiert. Sie haben nur noch ein Bedürfnis: nach Nýidalur in die Hütte. Sie fragt ob man von Nýidalur aus mit dem Bus weiterfahren kann ...

Währenddessen kommt ein vollbeladener Wagen mit Rosenheimer Nummer an die Kreuzung. Kurzer bayrischer Smalltalk. Dann fahren sie die 50 Meter weiter bis zur Furt. Der Fahrer steigt aus und sucht nach der besten Durchfahrt. Ich sehe die Blicke der Franzosen. Also hinterher und mit dem Rosenheimer Paar die Passage für die beiden ausgehandelt. Er hat ein etwas Bedenken von wegen Platz und so, aber sie unterstützt meinen Optimismus. Ist ja nur für die Furt, sage ich. Während die Rosenheimer ihren Wagen umräumen winke ich die Franzosen her. Ihre Rucksäcke werden auf der Plane der Ladefläche des Pickups notdürftig vertäut und sie quetschen sich zu zweit auf einem halben Rücksitz. "Bonne chance et bonne route - Kemmt´s guat umme" Fremdsprachen muß man können! Der Wagen wühlt sich durch die Furt ohne daß die Rucksäcke dabei baden gehen. Drüben angekommen fahren sie, ohne ihre Passagiere aussteigen zu lassen, weiter Richtung Nýidalur. Na also, wenn sie schon mal im Wagen sitzen dann gehen die paar Kilometer und die nächste Furt doch auch noch! Habe für heute mein Pfadfindergewissen beruhigt.

Tómasarhagi
Abendessen: Jägertopf mit Nudeln, Tee mit einer ganzen (!) Zitrone und ein Müsliriegel. Aufzeichnungen im Schlafsack liegend. Vor dem Einschlafen noch durch schweres Motorengeräusch und mächtiges Gerumpel gestört. Linse hinaus in den Regen, zu einem dieser gelben Pistenreparaturmonster, die ein bis zweimal in der Saison die Hauptpisten mit ihrem Räumschild abziehen. Aber bald herrscht wieder Ruhe, nur das Geräusch von Wind und Regen auf dem Zelt.