8. Tag, Hverfisfljót - Síđujökull

Inhalt Home

Dieter Graser © 2006

Sonntag, 23. Juli 2006


Morgensonne
Am Morgen ist es ungewöhnlich hell im Zelt. Während ich langsam zu mir komme, leuchtet die Ostseite des Zeltes auf, als würde jemand ganz langsam den Dimmer aufdrehen. Hmmm - Morgensonne zum Frühstück, das hatte ich auf dieser Tour noch nicht! Ein Blick nach draußen bestätigt meine Hoffnungen. Ein schmales Wolkenband liegt über dem Gletscher und an den Gipfen der Fögrufjöll hängen noch ein paar Wolkenfetzen - wie Schafwolle an einem Weidezaun. Ansonsten tiefblauer Himmel und eine klare Sicht, wie es sie nur in Island geben kann. Ich mache mir da keine Gewissensbisse und bin unbescheiden überzeugt, daß das die Entschädigung der ausgleichenden Gerechtigkeit für die letzten Tage ist - das hab ich mir verdient. Das erste, vielleicht ganz große Hindernis ist überwunden und das Wetter zeigt sich von seiner einladensten Seite. Ich nehme es als gutes Zeichen und fange wieder an an dem möglichen Erfolg dieser Tour zu glauben.

Rucksack packen
Vor dem Aufbruch mache ich noch eine Reihe von Photos mit beiden Kameras, analog und digital. So breche ich erst um 8:30 Uhr von meinem schönen Plätzchen auf. Schnell die Terrassenkante hoch und dann über die mit einem dicken Moosteppich bedeckte Ebene direkt auf das Nordende der Rauđhólar zu. In einem flachen Bogen bleibe ich außerhalb der Moränen des Síđujökull, welche dann bis zu den Rauđhólar vorstoßen. Zwischen Hang und Moräne mache ich eine kurze Rast (WP: RHL). Die ziegelroten Rauđhólar können ihre vulkanische Vergangenheit nicht verleugnen. Über ein kleines Lavafeld erreiche ich eine erste Furt. Graues Gletscherwasser, aber eher ein kleiner Bach, kaum der Rede wert. Dann etwas mühsam durch die Moränen. Linkerhand ein kleiner, halbausgetrockneter See mit breitem, hellbraunen Ufer. Vorsicht! Die Seeablagerungen können trocken aussehen aber dennnoch wassergesättigt sein und sich unter Belastung oder Vibration schlagartig verflüssigen! Ein weiteres Bacherl lädt zum zügigen von Stein zu Stein Balancieren ein. Aber schon der erste versinkt unter meinem Fuß in eben jenen Gletschertonen und ich stehe mit beiden Stiefeln unter Wasser. Sch....! Hab ich mir doch eben nicht gesagt: Vorsicht? Die Bergstiefel waren fest geschnürt und somit ist nur wenig oben reingelaufen. Wechsle nur die Socken und weiter geht's.

Wie vermutet stellt sich mir bald ein ordentlicher Gletscherfluß in den Weg. Mein Plan für diesen Fall: rauf auf den Gletscher. Alle weitern Flüsse werde ich dadurch vermeiden, daß ich über das Eis gehe. Es sind nur ein paar hundert Meter bis zum Eisrand. Genau zu bestimmen ist dieser Rand aber nicht, denn in und unter den Moränen ist immer wieder Eis sichtbar und an zwei Stellen im Fluß quillt Wasser unter Druck in einen starken Schwall senkrecht nach oben. Ein eindeutiges Zeichen, daß ich mich schon längst über dem Gletscher befinde. Die letzten 50 Meter vor dem rettenden, festen Eis sind wie immer eine heikele Angelegenheit. Der grobe Schutt wird immer wassergesättigter und der Sand ist eh nicht mehr begehbar. Ich sondier mit den Stöcken die Festigkeit des Untergrundens. Auf viele Stellen kann man den Fuß nur einmal setzen, beim zweiten Mal würde man wegsacken.

auf dem Gletscher
Endlich auf ehrlichem, festen Eis! Auch wenn man die ersten 50 Höhenmeter kaum etwas davon sieht, so viel Schutt liegt auf dem Gletscher. Mit zunehmender Höhe wird die Schuttauflage geringer und verschwindet fast ganz. Schließlich mache ich eine kleine Pause, ziehe den Sonnenschutzstift über die Lippen und setze die Gletscherbrille auf. Das gute, alte Stück, Modell "Reinhold Messner", stammt aus den frühen 80er-Jahren und hat eulengroße Gläser. Ist das nicht schon wieder Mode? Egal - es erfüllt seinen Zweck. Mich kann hier sowieso keiner sehen.

Ablationskegel
Immer leicht ansteigend weiter nach Osten. Komme ein einigen schönen Ablationskegeln vorbei. Ablationskegel (isl.: dríli) sind reine Schmelzformen des Gletschereises. Sie entstehen wenn Sand, vulkanische Asche oder Moränenmaterial das Eis überdeckt, damit isoliert und somit das Abschmelzen ver- (oder zumindest) be-hindert. Nun haben sich im Eis der großen Gletscher Islands über Jahrhunderte Lagen von vulkanischer Asche (Tephra) wie in einem ein Archiv erhalten. Im Zehrgebiet dieser Gletscher kommen diese alten Ascheschichten wieder zu Tage und können dort sogar große Flächen Eises bedecken. Die Höhe von solchen Ablationskegel variiert dabei von Dezimetern bis zu mehreren Metern. Manche Exemplare können sogar die Größe eines Einfamilienhauses erreichen.

Das Eis ist bucklig und anstrengend zu gehen. Die Grödel habe ich nicht unter die Siefel geschnallt. Das Eis ist so rauh, da geht es sich besser ohne Eisen. Jede Menge kleiner und kleinster Bäche, die allenthalben in tiefen, dumpf und hohl klingenden Eisschächten verschwinden. Ich kreuze viele Scherspalten, aber alle sind geschlossen und bilden nur mehr oder minder hohe Stufen. Auf offene Spalten stoße ich keine. Der Blick nach Nordost gibt neue Peilpunkt frei: Hágöngur, Geirvörtur und die Eiskuppe Ţórđarhyrna. Inzwischen habe ich mich gut 2 km vom Eisrand entfernt und einiges an Höhe gewonnen. Das Wetter ist bestens und zeigt keine Anzeichen einer drohenden Änderung.

Ursprünglich hatte ich geplant am Nachmittag den Gletscher wieder zu verlassen, und mir außerhalb des Moränengürtels einen Zeltplatz zu suchen um am nächsten Morgen meinen Weg wieder auf dem Eis fortzusetzen. Wie vor drei Jahren, auf dem Brúarjökull, fällt mir das eigenartige "Röhreneis" auf. Sand und Staub auf der Gletscheroberfläche werden durch die Sonne erwärmt und schmelzen, während sie tiefer sinken, kleine senkrechte Röhren in das Eis. Von oben betrachtet ist das Eis nicht mehr massiv, sondern gleicht einem Schwamm. In einer Pause kommt mir eine Idee. Ich schnappe mir einen Zelthering und versuche ihn in das Röhreneis zu drücken. 9 von 10 Versuchen sind erfolgreich. Die Röhren reichen zwar nicht tief genug um die Heringe ganz hineinzudrücken, aber sie sitzen fest! In einem zweiten Experiment versuche ich das Eis mit den Füßen, genauer mit dem groben Profil meiner Bergschuhe, zu glätten. Auch das funktioniert ausreichend gut. Somit ist alles klar. Der Plan wird geändert: ich zelte heute auf dem Gletscher.

Auslüften
Ich bleibe also auf meinem Kurs Richtung Eldgígur. Nach 15:00 Uhr beginne ich mich langsam nach einer geeigneten Stelle für das Zelt umzuschauen. Allein das Eis ist buckliger denn je. Aus der Ferne sieht das Eis immer viel glatter aus, als wenn man darauf steht. Ich gehe weiter und weiter. Schließlich findet sich doch ein flacher Buckel auf den das Zelt passen könnte. Das Zelt aufgebaut, den Daunenschlafsack in den Sonne ausgegelüftet und ein paar Bilder geschossen. Dann ein kleines Nickerchen versucht. Beginne mit den Aufzeichnungen und koche mir ein Abendessen.

Abend
Nach dem Essen kleide ich mich wieder an und kontrolliere die Heringe. Mist, bis auf zwei sind alle durch die starke Sonneneinstrahlung wieder ausgeschmolzen. Ich drehe mit der Eisschraube ein paar neue Löcher. Im Westen ziehen niedrige Wolkenbänke um den Gletscher herum. Macht mir etwas Sorgen. Irgendwie steckt mir noch die Erinnerung an den Wettersturz auf dem Langjökull im Hinterkopf. Noch eine Photosession, da das streifende Abendlicht nun die Strukturen der Eisoberfläche hervortreten läßt und mache noch einen Verdauungsspaziergang. Es wird langsam kälter. Die Schmelzwässerbache auf dem Eis beginnen zu versiegen. Es ist 21:00 Uhr, die letzten Sonnenstrahlen fallen in den flach nach Südosten abfallenden Eishang und lassen das Zelt aufleuchten. Habe den Wecker auf 5:00 Uhr gestellt und werde mich jetzt in den Schlafsack zurückziehen.

Vergrößern
Panorama Síđujökull


Zurück zu Inhalt
nächster Tag