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Das einzige, was aus meinem Schlafsack ragt ist die Nasenspitze und der ist kalt! Die Hütte hat wieder ihre -5°C. Die Isländer haben es mit dem Aufstehen nicht eilig und ich will auch nicht den Anfang machen. Durch die bereiften Fenster läßt sich etwas Sonne erahnen. Um 8 Uhr kriecht aber schließlich einer nach dem andern aus seinem Schlafsack und das Schneeschmelzen beginnt. Ein Bezinkocher bestätigt meinen Vorbehalt und setzt mit auslaufendem Benzin einen Teil des Tisches und des Fußboden in Flammen, die zwar schnell, aber ohne Hektik wieder gelöscht werden. Und so was in einer Holzhütte! Nach dem Frühstück wird aufgeräumt und ausgekehrt, die Rucksäcke gepackt und die Pulkas beladen. Gegenseitiges Photographieren und "Goða ferð" - die Isländer stellen sich auch noch zum Gruppenphoto auf und dann ziehen wir in verschiedenen Richtungen los. Sie talab- und ich talaufwärts.
Þjófadalur
Ich habe von gestern noch die Felle aufgezogen und kann sie bald gut
gebrauchen. Im Zickzack und das Gelände nutzend, geht es
den steilen Hang zum Þörskuldur hinauf. Oben in der
breiten Scharte hat der Wind nur noch blankes Eis hinterlassen.
Die Sonne dringt zwar nur blaß durch dünne Schleierwolken,
aber Sicht und Kontrast sind gut. Erst in der Scharte wird der
SW-Wind spürbar. Aber immerhin habe ich nun zur Abwechslung
einmal Rückenwind. Die Felle sind schnell verstaut und dann
fahre ich mit rumpelnder und mächtig schiebender Pulka die
gut 100 Höhenmeter ins flache Sóleyardalur ab. Den
steilen Westrand des "Tales" bildet die Kette der Þjófadalafjöll
und im Osten liegt das flach vom Krater Strýtur einfallende
Lavafeld des Kjalhraun. Der Sommerweg führt durch das Tal
am Rande des Lavafeldes entlang in einem weiten Bogen nach Hveravellir.
Jetzt, im Winter, ist das schlecht gangbare Lavafeld von Schnee
überdeckt, auch wenn alle hundert Meter schwarz gezackte
Brocken herausragen. Ein prüfender Blick auf die Karte läßt
mich den direkteren Weg wählen, der flach nach Ostnordost,
dann leicht ansteigend in eine flache Einmuldung zwischen dem
Punkt 735 m und dem Hang des Kjalhrauns führt. Von dort aus müßte
dann, wenn die Sicht gut bleibt, Hveravellir in Richtung Nordost
zu sehen sein. Der Schnee ist durch den Wind der letzten Tage
zu einem unglaublich vielfältigem Muster in verschiedener
Beschaffenheit der Oberfläche und Konstistenzen abgetragen
und zusammengeweht worden. In kurzem Wechsel, blankes Eis, freigelegter
Altschnee, trockene und spröde Sastrugis, fein geriffelter
Harsch, vollkommen glatte, feinkörnige, hartgepresste Flächen
und dann wieder weicher Pulverschnee. Wenn man sich etwas nach
dem Relief und der Exposition richtet, kann man sich die Spur
über die günstigsten Schneearten ganz gut zusammensuchen.
Das GPS habe ich auf "Go to" Hveravellir gestellt - noch 5,6 km. Rechts voraus der Krater Strýtur mit seinem charakertistischen Horn. Der Schnee ist schnell und die Pulka gleitet fast widerstandslos. Ich habe zunehmenden Seitenwind von Süden und flaches Schneefegen setzt ein. Von Süden her verschlechtert sich die Sicht und die Sonne verschwimmt in einem milchigen Himmel. Nur im Nordosten hält sich ein blauer Streifen in dem der Hofsjökull und selbst der Mælifell am Nordrand des Hochlandes zu sehen sind. Mit der flachen Einmuldung folge ich dem Gefälle in nördlicherer Richtung und habe nun auch noch Rückenwind. Bei günstigen Schnee reicht oft allein schon kräftiger Doppelstockeinsatz um im Gleiten zu bleiben, sonst geht es im Diagonalschritt so schnell und kraftsparend dahin wie in einer Loipe. Bei jedem Schritt gleite ich 30 bis 50 cm. Die Sicht wird schnell schlechter aber voraus tauchen die Antennenmasten der Wetterstation auf. Jetzt läuft es von selbst.
Wetterstation Hveravellir
Kurz
nach 14 Uhr begrüßt mich schwanzwedelnd der freundliche
Hund der Station. Ein Gesicht erscheint am Fenster und die Tür
wird geöffnet "Hi, are you Dieter? Lena phoned and asked
for you." Ja, ich bin etwas aufgehalten worden. Der Meteorologe,
etwa Ende 20, schulterlange braune Haare, barfuß, in T-Shirt
und Jeans bittet mich herein. Ich habe die Sturmmaske schon abgenommen.
Durch den Gang fällt der Blick in ein großes, helles
Wohnzimmer mit niederen Polstermöbeln. Im Arbeitraum führt
er mich zum Funktelephon und ich kann in Dæli anrufen. Auf
dem letzten Stück nach Hveravellir hatte ich immer mehr das
Gefühl, daß mein Ziel diesesmal schon hier erreicht
habe. Ich habe soviel in dieser Woche erlebt und so viel Erfahrung
gesammelt, daß mir nichts fehlen wird wenn ich auf die letzte
Etappe nach Norden verzichte - ein anderes mal. Das Osterwochenende
steht bevor, etliche Isländer werden es nutzen, um mit ihren
Spezialgeländewagen nach Hveravellir zu fahren. Ich sage
Lena, daß ich versuchen werde eine Mitfahrgelegenheit nach
Norden zu finden. Der Meteorologe meint, daß das sicher
kein Problem werden wird, eine Hütte ist schon ausgebucht.
In der anderen gibt es noch Platz auch wenn gegen Abend sicher
noch einige Gäste kommen würden.
Hot Pot in Hveravellir
Drei Gäste sind schon da - zwei Jungs und ein Mädchen. Auch
sie mit Ski und Schirmsegeln von Norden nach Süden unterwegs.
Wir kommen ins Fachsimpeln und ich kann mir ihre Schlitten genauer
anschauen. Später treffen wir uns - der Luxus von Heravellir
- im Pool an der alten Hütte wieder. Nur die Köpfe ragen
aus dem heißen Wasser. Eine über zwei Meter hohe Schneewächte
am Beckenrand schützt vor dem Wind und so kann auf die Mütze
verzichtet werden. Die Wonne eines heißen Bades im Freien
kann gar nicht überschätzt werden. Obwohl die Außentemperatur
im Moment, mit etwas unter Null nicht wesentlich tiefer liegt
als oft im Sommer ist es durch den Schnee ringsherum schon ein
ziemlich exklusives Vergnügen im fast 40 °C heißen
Wasser zu dümpeln.
Am Abend hat sich die Hütte gefüllt. Eine ganze Gruppe von Allradfahrzeugen ist vom Sprengisandur herübergekommen und sie fahren morgern nach Süden weiter. Bei einem Fahrzeug ist der Motor defekt und die Zylinderkopfdichtung wird bei Wind und Schneefall ausgebaut. Der Fuhrpark erweitert sich noch um zwei Snowscooter. Draußen, vor der Hütte, wird im halben Schneesturm der Grill angeworfen, die Kühlboxen werden hereingeschleppt und es wird aufgetischt. Selbst eine Lammkeule ist dabei. Da kann mein Chilli con Carne nicht ganz mithalten. Gegen 22:00 Uhr geht man schließlich zum gemütlichen Teil des Abends über. Eine Gitarre wird gestimmt, die Mappen mit den kopierten Liedertexten werden durchgereicht und wie in der Kirche werden die Nummern der zu singenden Lieder angesagt - Hüttenabend auf isländisch. Mein Nachbar zur Linken sorgt dafür, daß ich brav mitsinge und reicht mir auch immer fleissig die Wodkaflasche herunter, wobei er streng kontrolliert, daß ich nicht schummle. Au weia! Die etwas getrageneren Lieder kann ich wenigstens im Refrain vom Blatt weg mitsingen. Stimmung und Alkoholpegel steigen und allmählich habe ich einen Zacken in der Krone wie schon seit Zeiten nicht mehr. Irgendwann sind das Liedgut und der Wodka erschöpft und dann kehrt auch relativ schnell Ruhe in die Hütte ein. Bis auf meine Koje, die will unbedingt noch mit mir Karusell fahren. Ich schlafe jedoch Gottseidank schnell ein bevor mir davon übel wird.