Zurück zu Inhalt

9. Tag Þjófadalur - Heravellir

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Karfreitag 28. März 1997


Das einzige, was aus meinem Schlafsack ragt ist die Nasenspitze und der ist kalt! Die Hütte hat wieder ihre -5°C. Die Isländer haben es mit dem Aufstehen nicht eilig und ich will auch nicht den Anfang machen. Durch die bereiften Fenster läßt sich etwas Sonne erahnen. Um 8 Uhr kriecht aber schließlich einer nach dem andern aus seinem Schlafsack und das Schneeschmelzen beginnt. Ein Bezinkocher bestätigt meinen Vorbehalt und setzt mit auslaufendem Benzin einen Teil des Tisches und des Fußboden in Flammen, die zwar schnell, aber ohne Hektik wieder gelöscht werden. Und so was in einer Holzhütte! Nach dem Frühstück wird aufgeräumt und ausgekehrt, die Rucksäcke gepackt und die Pulkas beladen. Gegenseitiges Photographieren und "Goða ferð" - die Isländer stellen sich auch noch zum Gruppenphoto auf und dann ziehen wir in verschiedenen Richtungen los. Sie talab- und ich talaufwärts.

gÞjófadalur
Ich habe von gestern noch die Felle aufgezogen und kann sie bald gut gebrauchen. Im Zickzack und das Gelände nutzend, geht es den steilen Hang zum Þörskuldur hinauf. Oben in der breiten Scharte hat der Wind nur noch blankes Eis hinterlassen. Die Sonne dringt zwar nur blaß durch dünne Schleierwolken, aber Sicht und Kontrast sind gut. Erst in der Scharte wird der SW-Wind spürbar. Aber immerhin habe ich nun zur Abwechslung einmal Rückenwind. Die Felle sind schnell verstaut und dann fahre ich mit rumpelnder und mächtig schiebender Pulka die gut 100 Höhenmeter ins flache Sóleyardalur ab. Den steilen Westrand des "Tales" bildet die Kette der Þjófadalafjöll und im Osten liegt das flach vom Krater Strýtur einfallende Lavafeld des Kjalhraun. Der Sommerweg führt durch das Tal am Rande des Lavafeldes entlang in einem weiten Bogen nach Hveravellir. Jetzt, im Winter, ist das schlecht gangbare Lavafeld von Schnee überdeckt, auch wenn alle hundert Meter schwarz gezackte Brocken herausragen. Ein prüfender Blick auf die Karte läßt mich den direkteren Weg wählen, der flach nach Ostnordost, dann leicht ansteigend in eine flache Einmuldung zwischen dem Punkt 735 m und dem Hang des Kjalhrauns führt. Von dort aus müßte dann, wenn die Sicht gut bleibt, Hveravellir in Richtung Nordost zu sehen sein. Der Schnee ist durch den Wind der letzten Tage zu einem unglaublich vielfältigem Muster in verschiedener Beschaffenheit der Oberfläche und Konstistenzen abgetragen und zusammengeweht worden. In kurzem Wechsel, blankes Eis, freigelegter Altschnee, trockene und spröde Sastrugis, fein geriffelter Harsch, vollkommen glatte, feinkörnige, hartgepresste Flächen und dann wieder weicher Pulverschnee. Wenn man sich etwas nach dem Relief und der Exposition richtet, kann man sich die Spur über die günstigsten Schneearten ganz gut zusammensuchen.

Das GPS habe ich auf "Go to" Hveravellir gestellt - noch 5,6 km. Rechts voraus der Krater Strýtur mit seinem charakertistischen Horn. Der Schnee ist schnell und die Pulka gleitet fast widerstandslos. Ich habe zunehmenden Seitenwind von Süden und flaches Schneefegen setzt ein. Von Süden her verschlechtert sich die Sicht und die Sonne verschwimmt in einem milchigen Himmel. Nur im Nordosten hält sich ein blauer Streifen in dem der Hofsjökull und selbst der Mælifell am Nordrand des Hochlandes zu sehen sind. Mit der flachen Einmuldung folge ich dem Gefälle in nördlicherer Richtung und habe nun auch noch Rückenwind. Bei günstigen Schnee reicht oft allein schon kräftiger Doppelstockeinsatz um im Gleiten zu bleiben, sonst geht es im Diagonalschritt so schnell und kraftsparend dahin wie in einer Loipe. Bei jedem Schritt gleite ich 30 bis 50 cm. Die Sicht wird schnell schlechter aber voraus tauchen die Antennenmasten der Wetterstation auf. Jetzt läuft es von selbst.

Wetterstation Hveravellir
Kurz nach 14 Uhr begrüßt mich schwanzwedelnd der freundliche Hund der Station. Ein Gesicht erscheint am Fenster und die Tür wird geöffnet "Hi, are you Dieter? Lena phoned and asked for you." Ja, ich bin etwas aufgehalten worden. Der Meteorologe, etwa Ende 20, schulterlange braune Haare, barfuß, in T-Shirt und Jeans bittet mich herein. Ich habe die Sturmmaske schon abgenommen. Durch den Gang fällt der Blick in ein großes, helles Wohnzimmer mit niederen Polstermöbeln. Im Arbeitraum führt er mich zum Funktelephon und ich kann in Dæli anrufen. Auf dem letzten Stück nach Hveravellir hatte ich immer mehr das Gefühl, daß mein Ziel diesesmal schon hier erreicht habe. Ich habe soviel in dieser Woche erlebt und so viel Erfahrung gesammelt, daß mir nichts fehlen wird wenn ich auf die letzte Etappe nach Norden verzichte - ein anderes mal. Das Osterwochenende steht bevor, etliche Isländer werden es nutzen, um mit ihren Spezialgeländewagen nach Hveravellir zu fahren. Ich sage Lena, daß ich versuchen werde eine Mitfahrgelegenheit nach Norden zu finden. Der Meteorologe meint, daß das sicher kein Problem werden wird, eine Hütte ist schon ausgebucht. In der anderen gibt es noch Platz auch wenn gegen Abend sicher noch einige Gäste kommen würden.

Hot Pot in Hveravellir
Drei Gäste sind schon da - zwei Jungs und ein Mädchen. Auch sie mit Ski und Schirmsegeln von Norden nach Süden unterwegs. Wir kommen ins Fachsimpeln und ich kann mir ihre Schlitten genauer anschauen. Später treffen wir uns - der Luxus von Heravellir - im Pool an der alten Hütte wieder. Nur die Köpfe ragen aus dem heißen Wasser. Eine über zwei Meter hohe Schneewächte am Beckenrand schützt vor dem Wind und so kann auf die Mütze verzichtet werden. Die Wonne eines heißen Bades im Freien kann gar nicht überschätzt werden. Obwohl die Außentemperatur im Moment, mit etwas unter Null nicht wesentlich tiefer liegt als oft im Sommer ist es durch den Schnee ringsherum schon ein ziemlich exklusives Vergnügen im fast 40 °C heißen Wasser zu dümpeln.

Am Abend hat sich die Hütte gefüllt. Eine ganze Gruppe von Allradfahrzeugen ist vom Sprengisandur herübergekommen und sie fahren morgern nach Süden weiter. Bei einem Fahrzeug ist der Motor defekt und die Zylinderkopfdichtung wird bei Wind und Schneefall ausgebaut. Der Fuhrpark erweitert sich noch um zwei Snowscooter. Draußen, vor der Hütte, wird im halben Schneesturm der Grill angeworfen, die Kühlboxen werden hereingeschleppt und es wird aufgetischt. Selbst eine Lammkeule ist dabei. Da kann mein Chilli con Carne nicht ganz mithalten. Gegen 22:00 Uhr geht man schließlich zum gemütlichen Teil des Abends über. Eine Gitarre wird gestimmt, die Mappen mit den kopierten Liedertexten werden durchgereicht und wie in der Kirche werden die Nummern der zu singenden Lieder angesagt - Hüttenabend auf isländisch. Mein Nachbar zur Linken sorgt dafür, daß ich brav mitsinge und reicht mir auch immer fleissig die Wodkaflasche herunter, wobei er streng kontrolliert, daß ich nicht schummle. Au weia! Die etwas getrageneren Lieder kann ich wenigstens im Refrain vom Blatt weg mitsingen. Stimmung und Alkoholpegel steigen und allmählich habe ich einen Zacken in der Krone wie schon seit Zeiten nicht mehr. Irgendwann sind das Liedgut und der Wodka erschöpft und dann kehrt auch relativ schnell Ruhe in die Hütte ein. Bis auf meine Koje, die will unbedingt noch mit mir Karusell fahren. Ich schlafe jedoch Gottseidank schnell ein bevor mir davon übel wird.


Zurück zu Inhalt
10. Tag Hveravellir