Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel VIII.

In der Tungná


Ţorsteinn sollte mit uns reiten, Jón hatte ihn dazu ausersehen, da er seine Lokalkenntnisse bezüglich der Tungná wanken fühlte, dieses mit Recht gefürchteten Gletscherflusses, den wir, um die Fiskivötn zu erreichen, am Kirkjufell zu kreuzen wünschten.

Ögmundur Sigurdsson, einer der erfahrensten Islandführer hatte uns in Reykjavík diese Furt als die einzige angegeben, aber die Passierbarkeit der isländischen Gletscherflüsse ist absolut unberechenbar und hängt jedes einzelne Jahr, in jedem der Sommermonate, ab von dem Schnee, welcher in den nie betretenen Gletschereinöden niedergeht, und von der Sonne, welche ungleich schnell diese Mengen zum Schmelzen bringt.

Die Tungná kommt vom Vatna-Jökull und fließt südöstlich des Hofsjökull in die auf letzterem entspringende Ţjórsá. Die Tungná ist auf ihrem ganzen langen Lauf von keiner einzigen Brücke überspannt.

Zwei starke Tagesritte vom Kirkjufell nach Westen, nahe ihrer Mündung in die Ţjórsá liegen zum Schaftransport im Frühjahr und Herbst drei Boote am Ufer, welche jeder benutzen kann, gegen ein, dem in Reykjavík wohnenden Besitzer derselben, zu zahlendes Entgelt von 5 Kronen; von hier aus führt dann der Weg über den Sprengisandur ins Nordland.

Wir aber wollten zuvor noch zu den Fiskivötn (Fischseen) und mußten, um sie zu erreichen, die Tungná-Furt benutzen.

Die Fiskivötn, von denen uns Zoega in Reykjavík erzählt, daß sie in einer malerischen Landschaft voll eigenartiger Bergformen lägen, von wilden Schwänen und anderen Wasservögeln belebt, fast nie von Menschenfuß betreten, sie schienen einem geheimnisvollen Para- dies zu gleichen und ein reizvolles Gegenstück zu bilden zu Lakis schwermütiger Großartigkeit.

In Ţorsteinns Gesellschaft ritten wir den bekannten „Weg" durch das wilde Tuffgebirge, den wir beim Hinritt in die Skaptärtunga benutzt hatten.

Kurz vor Mitternacht erreichten wir den See Kiling und schlugen unser Lager nicht weit von diesem Bergsee am Fuß des schroffen Kirkjufell auf.

Früh schon ritten Porsteinn undJón am nächsten Morgen an die Tungná, die nicht weit von uns hinter den Bergen entlangfloß.

Nach vielen Stunden kamen sie zurück. Nach langen vergeblichen Mühen hatten sie endlich eine Furt gefunden, lebhafter denn je entfaltete sich die Unterhaltung der Isländer in ihrer eigenen Sprache. Eine Geste &orsteinns, die dem Halsabschneiden glich, wiederholte sich oft, aber in glücklicher Unkenntnis des Isländischen verstanden wir nicht daraus, daß ihm beim Waten im Fluß mehrfach das Wasser bis zum Halse gestiegen war.

Währenddem wurden die letzten Sachen gepackt, die Pferde gesattelt und beladen.

So verließen wir im freundlichen Sonnenschein den See Kiling, um ihn, wie wir vermeinten, im Laufe der nächsten Dezennien nicht wiederzusehen.

Der Fluß war bald erreicht; einige Seitenarme wurden vorsichtig gekreuzt, und ein zu Berghöhe getürmter Schutthügel umritten, dann standen wir erst eigentlich an den Ufern der Tungná.

Sie war bedeutend breiter, als wir erwartet hatten; die Führer sagten, wir würden jedenfalls zwei Stunden zum Durchfurten gebrauchen, da man mit vielen Packpferden nicht so schnell vorwärts kommt wie ein einzelner Reiter.

Die Ufer waren flach diesseits, gegenüber erhoben sich nebelhafte Berge und hinter diesen lagen die Fiskivötn. Der Fluß selbst hatte die typische, schmutziggelbgraue Farbe von Gletscherwassern, leise gurgelnd floß er sehr schnell an uns vorüber.

Die Führer stiegen ab. Die hohen Wasserstiefel vertauschten sie mit den kleinen isländischen Schaflederschuhen, welche, über doppelte Kniestrümpfe gezogen, ihnen, falls sie im Wasser abspringen müssen, viel mehr Bewegungsfähigkeit verleihen.

Alle Packs, (Unter der umfassenden Bezeichnung „Pack" sind Kisten, Zelte, Säcke, Zeltstangen etc., alles was die Packpferde trugen, zu verstehen)jeder Riemen wurden nochmals revidiert, alle Gurten nachgesehen, mich schnallte man am Sattel fest, eine Vorsicht, die leicht hätte verhängnisvoll werden können.

Die Pferde waren inzwischen in der bereits eingangs erwähnten Weise, je eins an den Schwanz des vorigen mittelst eines Strickes befestigt und zwar zweimal je acht Pferde, von denen Jón die eine, Sigurđur die andere Hälfte nahm.

Eine geraume Zeit hatten alle diese Vorbereitungen in Anspruch genommen und jetzt schickt Ţorsteinn sich an, uns vorangehend, mit Hülfe eines langen Holzsteckens den Boden untersuchend, den Fluß zu durchwaten. Mit seinem hellen Leinenanzug bekleidet, sieht er, in den dünnen Schuhen, mit dem langen Stab und seinem großen Schlapphut, sehr eigenartig aus zu diesem Unternehmen.

Langsam und vorsichtig folgt ihm der lange Zug. Sigurđur als Erster, seine acht Pferde mit aufmunterndem „Hoho" nach sich ziehend — zehn Pferdelängen vor uns liegt eine Sandbank, sicher kommen wir alle hin und begeben uns aufs Neue ins Wasser, die nächste etwas fernere Bank zu erreichen. Ţorsteinn patscht voran, das Wasser steig tihm bis über die Kniee, er erreicht die zweite Sandbank, Jón auch, da — das letzte Packpferd seines Zuges verschwindet fast völlig im Wasser, — vielmehr in dem darunter befindlichen Triebsand, der durch die vorangehenden Pferde aufgelockert und in Bewegung gebracht ist. Das Tier macht während einiger Sekunden verzweifelte Anstrengungen, allein herauszukommen, so wie es die Vorderbeine auf festen Boden zu setzen vermeint, bricht die trügerische Decke weiter, — und ehe eine Minute seit seinem Einsinken verstrichen, gibt es ermattet den aussichtslosen Kampf auf, der Kopf sinkt zur Seite und sieht nur kaum aus dem Wasser hervor. — Jetzt aber sind blitzschnell Jón und Ţorsteinn im tiefen Wasser neben dem Pferde, sie reißen die Kisten herab, ziehen, heben und helfen ihm, noch einmal müht es sich, von seiner Last befreit, mit starkem Sprung und steht in der nachten Sekunde zitternd und triefend auf der Sandbank.

Dann erst reitet Sigurđur mit seinen Pferden von der ersten Sandbank, vorsichtig die unsichere Stelle vermeidend, landet er gut. Ihm folgt zwei Schritt vor mir Herr Reck. Er reitet seinen treuen Grane, einen hübschen Schimmel, an dem er besonders schätzt, daß er in Flüssen außerordentlich vorsichtig und erfahren sei; aber heute! — Drei Schritt links von dem Einbruch des Packpferdes verschwindet urplötzlich Grane unter seinem Herrn, Reck schwingt sich schnell aus den Bügeln und steht im tiefen Wasser neben dem mühsam kämpfenden Pferde, dem die schmutzig gierigen Fluten über dem Sattel zusammenschlagen. Und während die Aufmerksamkeit der Führer sich dem neuen Zwischenfall zuwendet, hat auch mein eigenes Pferd einen Triebsand gefunden, den es zum Versinken für tief genug hält. — Niemand kann mich erreichen und mir helfen; ich lasse ihm so viel wie nötig die Zügel und nach einigen Sekunden verzweifelten Unbehagens, während denen das sich hochbäumende Tier mit aller Kraft arbeitet, um nicht mit mir im Schlamm zu versinken, stehen wir alle in gewisser Beziehung sicher auf der nächsten Sandbank.

Lange wäre unseres Bleibens dort nicht gewesen, denn unter dem Gewicht von zwanzig Pferden, unseren Lasten und uns hob und senkte ihre Oberfläche sich ähnlich einer Schwingwiese.

Unserem entfernten Ziel hatten wir uns begreiflicherweise nicht sichtbar genähert, obgleich wir uns schon ein beträchtliches Stück vom Ufer entfernt hatten.

Die Pferde starrten, während ihre kleinen Hufe tiefer und tiefer im schlammigen Sande einsanken, den fatalen schwarzen Boden an. Die Führer sprachen laut und viel. Ich wartete geduldig, bis es weiter gehen würde; Sandbänke waren nicht nahe, breit lag das trübe, gurgelnd dahinjagende Wasser vor uns, wenig verlockend, — es kam mir aber nicht in den Sinn, gegen unseren Weiterritt Einspruch zu erheben, Furcht fühlte ich nicht, ich hatte mich längst daran gewöhnt, daß man in Island beständig Dinge mit Erfolg unternimmt, die man auf dem Kontinent von vornherein für unausführbar erklären würde.

Als nun aber Herr Reck Sigurđur fragte: „Ich hoffe dies war die schlimmste Stelle?" und dieser entgegnete: „Ţorsteinn sagt, es wird schlimmer, dies war nur der Anfang," war ich ebenso zufrieden Reck sagen zu hören: „Dann kehren wir sofort um." Und so geschah's.

Bei ruhiger Überlegung mußte es auch als Toll- heit erscheinen, Pferde und Menschenleben zu riskieren, um einen Fluß zu durchreiten, der tatsächlich für eine größere Karawane unpassierbar war.

Langsam und vorsichtig ritten wir jetzt wieder in derselben Weise zurück. Der Schutthügel wurde umgangen, vorsichtig die Seitenarme gekreuzt und

erst, nachdem auch dieses ausgeführt, fühlten wir uns völlig der Tungná entronnen; in meinen Notizen steht: „2.15 Uhr in die Tungná, 4.40 Uhr glücklich wieder raus." Es ging nun im Galopp zurück zum Kirkjufell.

Jetzt mußten wir doch das verschmähte Boot benutzen, denn um überhaupt ins Nordland zu gelangen, mußten wir über die Tungná hinüber; — wie wir die Fiskivötn erreichen würden, stand auf einem ändern Blatt.

Am Kirkjufell vertauschten die Führer wieder ihre kleinen Schuhe mit den hohen Reitstiefeln, Herr Reck goß mehrere Liter Wasser aus den seinen, — ich war durch mein selbsterfundenes Ölzeugarrangement fast völlig gegen die Fluten geschützt geblieben und konnte mich ein wenig ausruhen.

Ţorsteinn hatte jetzt seine Mission erfüllt und unsere Wege trennten sich wieder. Wir eilten, um heute noch zu dem drei bis vier Stunden entfernten Löđmundur zu kommen, über den unser jetzt zu machender zweitägiger Umweg zum Tungná-Boot uns führte, Forsteinn dagegen ritt allein wieder zurück zu seiner Heimatfarm Svartignúpur jenseits der wilden Berge; in später Nacht mag er sie erreicht haben, lange noch schauten wir uns nach ihm um, bis er, ebenso oft grüßend, im Hintergrund des breiten Tales unseren Blicken entschwand.


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