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Ţorsteinn sollte mit uns reiten, Jón hatte ihn dazu
ausersehen, da er seine Lokalkenntnisse bezüglich der
Tungná wanken fühlte, dieses mit Recht gefürchteten
Gletscherflusses, den wir, um die Fiskivötn zu erreichen,
am Kirkjufell zu kreuzen wünschten.
Ögmundur Sigurdsson, einer der erfahrensten
Islandführer hatte uns in Reykjavík diese Furt als die
einzige angegeben, aber die Passierbarkeit der
isländischen Gletscherflüsse ist absolut unberechenbar und
hängt jedes einzelne Jahr, in jedem der Sommermonate,
ab von dem Schnee, welcher in den nie betretenen
Gletschereinöden niedergeht, und von der Sonne, welche
ungleich schnell diese Mengen zum Schmelzen bringt.
Die Tungná kommt vom Vatna-Jökull und fließt
südöstlich des Hofsjökull in die auf letzterem
entspringende Ţjórsá. Die Tungná ist auf ihrem ganzen
langen Lauf von keiner einzigen Brücke überspannt.
Zwei starke Tagesritte vom Kirkjufell nach Westen,
nahe ihrer Mündung in die Ţjórsá liegen zum
Schaftransport im Frühjahr und Herbst drei Boote am Ufer,
welche jeder benutzen kann, gegen ein, dem in
Reykjavík wohnenden Besitzer derselben, zu zahlendes
Entgelt von 5 Kronen; von hier aus führt dann der Weg
über den Sprengisandur ins Nordland.
Wir aber wollten zuvor noch zu den Fiskivötn
(Fischseen) und mußten, um sie zu erreichen, die
Tungná-Furt benutzen.
Die Fiskivötn, von denen uns Zoega in Reykjavík
erzählt, daß sie in einer malerischen Landschaft voll
eigenartiger Bergformen lägen, von wilden Schwänen
und anderen Wasservögeln belebt, fast nie von
Menschenfuß betreten, sie schienen einem geheimnisvollen Para-
dies zu gleichen und ein reizvolles Gegenstück zu
bilden zu Lakis schwermütiger Großartigkeit.
In Ţorsteinns Gesellschaft ritten wir den bekannten
„Weg" durch das wilde Tuffgebirge, den wir beim
Hinritt in die Skaptärtunga benutzt hatten.
Kurz vor Mitternacht erreichten wir den See Kiling
und schlugen unser Lager nicht weit von diesem
Bergsee am Fuß des schroffen Kirkjufell auf.
Früh schon ritten Porsteinn undJón am nächsten
Morgen an die Tungná, die nicht weit von uns hinter
den Bergen entlangfloß.
Nach vielen Stunden kamen sie zurück. Nach
langen vergeblichen Mühen hatten sie endlich eine Furt
gefunden, lebhafter denn je entfaltete sich die
Unterhaltung der Isländer in ihrer eigenen Sprache. Eine
Geste &orsteinns, die dem Halsabschneiden glich,
wiederholte sich oft, aber in glücklicher Unkenntnis des
Isländischen verstanden wir nicht daraus, daß ihm beim
Waten im Fluß mehrfach das Wasser bis zum Halse
gestiegen war.
Währenddem wurden die letzten Sachen gepackt,
die Pferde gesattelt und beladen.
So verließen wir im freundlichen Sonnenschein
den See Kiling, um ihn, wie wir vermeinten, im Laufe
der nächsten Dezennien nicht wiederzusehen.
Der Fluß war bald erreicht; einige Seitenarme
wurden vorsichtig gekreuzt, und ein zu Berghöhe
getürmter Schutthügel umritten, dann standen wir erst
eigentlich an den Ufern der Tungná.
Sie war bedeutend breiter, als wir erwartet hatten;
die Führer sagten, wir würden jedenfalls zwei Stunden
zum Durchfurten gebrauchen, da man mit vielen
Packpferden nicht so schnell vorwärts kommt wie ein
einzelner Reiter.
Die Ufer waren flach diesseits, gegenüber erhoben
sich nebelhafte Berge und hinter diesen lagen die
Fiskivötn. Der Fluß selbst hatte die typische,
schmutziggelbgraue Farbe von Gletscherwassern, leise gurgelnd
floß er sehr schnell an uns vorüber.
Die Führer stiegen ab. Die hohen Wasserstiefel
vertauschten sie mit den kleinen isländischen
Schaflederschuhen, welche, über doppelte Kniestrümpfe
gezogen, ihnen, falls sie im Wasser abspringen müssen,
viel mehr Bewegungsfähigkeit verleihen.
Alle Packs,
(Unter der umfassenden Bezeichnung „Pack" sind Kisten,
Zelte, Säcke, Zeltstangen etc., alles was die Packpferde trugen,
zu verstehen)jeder Riemen wurden nochmals
revidiert, alle Gurten nachgesehen, mich schnallte man am
Sattel fest, eine Vorsicht, die leicht hätte verhängnisvoll
werden können.
Die Pferde waren inzwischen in der bereits
eingangs erwähnten Weise, je eins an den Schwanz des
vorigen mittelst eines Strickes befestigt und zwar
zweimal je acht Pferde, von denen Jón die eine, Sigurđur
die andere Hälfte nahm.
Eine geraume Zeit hatten alle diese Vorbereitungen
in Anspruch genommen und jetzt schickt Ţorsteinn
sich an, uns vorangehend, mit Hülfe eines langen
Holzsteckens den Boden untersuchend, den Fluß zu
durchwaten. Mit seinem hellen Leinenanzug bekleidet, sieht
er, in den dünnen Schuhen, mit dem langen Stab und
seinem großen Schlapphut, sehr eigenartig aus zu diesem
Unternehmen.
Langsam und vorsichtig folgt ihm der lange Zug.
Sigurđur als Erster, seine acht Pferde mit
aufmunterndem „Hoho" nach sich ziehend — zehn Pferdelängen vor
uns liegt eine Sandbank, sicher kommen wir alle hin
und begeben uns aufs Neue ins Wasser, die nächste
etwas fernere Bank zu erreichen. Ţorsteinn patscht
voran, das Wasser steig tihm bis über die Kniee, er
erreicht die zweite Sandbank, Jón auch, da — das letzte
Packpferd seines Zuges verschwindet fast völlig im
Wasser, — vielmehr in dem darunter befindlichen
Triebsand, der durch die vorangehenden Pferde aufgelockert
und in Bewegung gebracht ist. Das Tier macht während
einiger Sekunden verzweifelte Anstrengungen, allein
herauszukommen, so wie es die Vorderbeine auf festen
Boden zu setzen vermeint, bricht die trügerische Decke
weiter, — und ehe eine Minute seit seinem Einsinken
verstrichen, gibt es ermattet den aussichtslosen Kampf
auf, der Kopf sinkt zur Seite und sieht nur kaum aus
dem Wasser hervor. — Jetzt aber sind blitzschnell Jón
und Ţorsteinn im tiefen Wasser neben dem Pferde, sie
reißen die Kisten herab, ziehen, heben und helfen ihm,
noch einmal müht es sich, von seiner Last befreit,
mit starkem Sprung und steht in der nachten Sekunde
zitternd und triefend auf der Sandbank.
Dann erst reitet Sigurđur mit seinen Pferden von
der ersten Sandbank, vorsichtig die unsichere Stelle
vermeidend, landet er gut. Ihm folgt zwei Schritt vor
mir Herr Reck. Er reitet seinen treuen Grane, einen
hübschen Schimmel, an dem er besonders schätzt, daß
er in Flüssen außerordentlich vorsichtig und erfahren
sei; aber heute! — Drei Schritt links von dem
Einbruch des Packpferdes verschwindet urplötzlich Grane
unter seinem Herrn, Reck schwingt sich schnell aus den
Bügeln und steht im tiefen Wasser neben dem mühsam
kämpfenden Pferde, dem die schmutzig gierigen Fluten
über dem Sattel zusammenschlagen. Und während die
Aufmerksamkeit der Führer sich dem neuen
Zwischenfall zuwendet, hat auch mein eigenes Pferd einen
Triebsand gefunden, den es zum Versinken für tief genug
hält. — Niemand kann mich erreichen und mir helfen;
ich lasse ihm so viel wie nötig die Zügel und nach
einigen Sekunden verzweifelten Unbehagens, während
denen das sich hochbäumende Tier mit aller Kraft
arbeitet, um nicht mit mir im Schlamm zu versinken,
stehen wir alle in gewisser Beziehung sicher auf der
nächsten Sandbank.
Lange wäre unseres Bleibens dort nicht gewesen,
denn unter dem Gewicht von zwanzig Pferden, unseren
Lasten und uns hob und senkte ihre Oberfläche sich
ähnlich einer Schwingwiese.
Unserem entfernten Ziel hatten wir uns
begreiflicherweise nicht sichtbar genähert, obgleich wir uns
schon ein beträchtliches Stück vom Ufer entfernt hatten.
Die Pferde starrten, während ihre kleinen Hufe
tiefer und tiefer im schlammigen Sande einsanken, den
fatalen schwarzen Boden an. Die Führer sprachen laut
und viel. Ich wartete geduldig, bis es weiter gehen
würde; Sandbänke waren nicht nahe, breit lag das
trübe, gurgelnd dahinjagende Wasser vor uns, wenig
verlockend, — es kam mir aber nicht in den Sinn, gegen
unseren Weiterritt Einspruch zu erheben, Furcht fühlte
ich nicht, ich hatte mich längst daran gewöhnt, daß
man in Island beständig Dinge mit Erfolg unternimmt,
die man auf dem Kontinent von vornherein für
unausführbar erklären würde.
Als nun aber Herr Reck Sigurđur fragte: „Ich
hoffe dies war die schlimmste Stelle?" und dieser
entgegnete: „Ţorsteinn sagt, es wird schlimmer, dies
war nur der Anfang," war ich ebenso zufrieden Reck
sagen zu hören: „Dann kehren wir sofort um." Und
so geschah's.
Bei ruhiger Überlegung mußte es auch als Toll-
heit erscheinen, Pferde und Menschenleben zu
riskieren, um einen Fluß zu durchreiten, der tatsächlich
für eine größere Karawane unpassierbar war.
Langsam und vorsichtig ritten wir jetzt wieder in
derselben Weise zurück. Der Schutthügel wurde
umgangen, vorsichtig die Seitenarme gekreuzt und
erst, nachdem auch dieses ausgeführt, fühlten wir uns
völlig der Tungná entronnen; in meinen Notizen steht:
„2.15 Uhr in die Tungná, 4.40 Uhr glücklich wieder raus."
Es ging nun im Galopp zurück zum Kirkjufell.
Jetzt mußten wir doch das verschmähte Boot
benutzen, denn um überhaupt ins Nordland zu gelangen,
mußten wir über die Tungná hinüber; — wie wir die
Fiskivötn erreichen würden, stand auf einem ändern Blatt.
Am Kirkjufell vertauschten die Führer wieder ihre
kleinen Schuhe mit den hohen Reitstiefeln, Herr Reck
goß mehrere Liter Wasser aus den seinen, — ich war
durch mein selbsterfundenes Ölzeugarrangement fast
völlig gegen die Fluten geschützt geblieben und konnte
mich ein wenig ausruhen.
Ţorsteinn hatte jetzt seine Mission erfüllt und
unsere Wege trennten sich wieder. Wir eilten, um heute
noch zu dem drei bis vier Stunden entfernten
Löđmundur zu kommen, über den unser jetzt zu machender
zweitägiger Umweg zum Tungná-Boot uns führte,
Forsteinn dagegen ritt allein wieder zurück zu seiner
Heimatfarm Svartignúpur jenseits der wilden Berge; in
später Nacht mag er sie erreicht haben, lange noch
schauten wir uns nach ihm um, bis er, ebenso oft
grüßend, im Hintergrund des breiten Tales unseren
Blicken entschwand.
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