Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XI.

Akureyri.


Ein paar hübsche Zimmer waren bereit für uns mit dem Ausblick auf den tiefblauen, im Sonnenschein blitzenden Eyjafjord.

Nach geraumer Zeit, während welcher Herr Reck unsere langen Telegramme in die Heimat von dem gegenüberliegenden Bureau aus besorgte, hatte ich mir wieder zu einem Aussehen verholten, welches mich table-d'hôte fähig machte. Wir fanden unsere von Herrn Zoega in Reykjavík der „Ceres" mitgegebenen Koffer in unseren Zimmern vor. Originellerweise trugen dieselben als Adressen nicht unseren Namen, sondern waren beschrieben: Útlenskferđafolk. Fylgdamađur Sigurđur Sumarlidason. Was so viel heißt wie: Auslandreisende. Führer Sigurđur Sumarlidason. Ein Verfahren, das bei uns zu Lande kaum ohne vorherigen ernsten Konflikt mit verschiedenen Behörden zu befriedigender Lösung führen könnte. Die Behörde braucht aber der glückliche Isländer nur Sonntag nachmittags, wenn norwegische Fischer anfangen sich in den Straßen ihren Fang um die Ohren zu schlagen.

Ich gewöhnte mich sehr schnell wieder als gesitteter Mensch mit Tellern und Tassen zu verkehren und ohne Nagelstiefel auf ebenen Dielen herumzuwandern, nur das Treppensteigen erschien als unnatürliche Fortbewegungsart.

Wenn auch die Betten im „Hotel Akureyri" eine ganz eigenartige Konstruktion aufwiesen, — die Sprungfedern wurden repräsentiert durch drei schmale Bretter, welche gleichmäßig verteilt das Unterbett notdürftig im Hohlraum erhielten, — so fanden wir es doch ganz herrlich einmal aus dem Schlafsack heraus zu sein und genossen dankbar selbst diese mangelhafte Einrichtung.

Die Verpflegung im Hotel war sehr gut, — nur fühlten wir, die wir an 1/4 Pfund Schokolade im Laufe der ersten zwölf Tagesstunden gewöhnt waren, uns über- füttert, und der Fische, die uns in geräuchertem, gebratenem, gekochtem, mariniertem, geöltem und sonstigem Zustand morgens und abends zu Teil wurden, waren wir nach zwei Tagen mehr als überdrüssig. Am besten gefiel uns der morgens früh um 6 Uhr beim Wecken servierte, wie stets in Island vorzügliche Kaffee mit Kuchen.

Um 9 1/2 Uhr früh fanden sich dann alle Hotelgäste zu einem üppigen Gabelfrühstück mit warmer Vorlage zusammen, das von Bier, Kaffee oder Tee begleitet ward, und wir bewunderten den gesegneten Appetit unserer Mitbewohner, nicht minder ihren Durst. Unser Hôtelvater, Sigfus, der beim Essen präsidierte, verwaltete die Schnäpse in freigebigster Weise, und das Factotum Björn trug beständig neue Bierflaschen, Kopenhagener und Bergener Brauereien herbei. Um 2 Uhr gab es ein gutes, einfaches Mittagessen, um 8 Uhr Abendbrot und um 5 Uhr ein für allemal Tee in meinem Wohnzimmer, zu dem Herr Reck fast alle Kuchen allein aufaß, mich durch die Bemerkung tröstend, daß diese ganze Teetrinkerei überhaupt ein furchtbarer Unsinn sei.

Tatsächlich scheint's hiernach, als hätten wir in Akureyri nur gegessen und getrunken, wir hatten aber sehr viel nützliche Arbeit außerdem auszuführen.

Wir mußten für unsere Askja-Expedition jetz wieder alle geleerten Packkisten mit den, durch die „Ceres" von Reykjavík überführten Kisten unserer aus Deutschland mitgebrachten Vorräte füllen, alle nötigen Reparaturen am Sattelzeug wurden gemacht, alle Pferde frisch beschlagen und außerdem war manches an unserer eigenen Kleidung zerschlissen und beschädigt. Der uns in Reykjavík empfohlene tüchtige Photograph entwickelte ungefähr zehn Dutzend Aufnahmen für uns, die wir, so weit unsere Zeit es erlaubte, bestimmten und numerierten.

Wir sahen Herrn Dr. Küchler, der uns bezüglich unseres Sprengisandurrittes seine große Anerkennung aussprach. Er stand im Begriff mit dem „Ingolf" nach Deutschland zurückzureisen, nach einigen für ihn insofern besonders mühevollen Rittwochen, als er sich beim Beginn seiner Reise eine Knieverletzung zugezogen hatte. Trotzdem hatte er mit großer Energie die ursprünglich entworfene Route innegehalten, dabei hunderte von photographischen Aufnahmen gemacht, die ihn zwangen, ungezählte Male vom Pferde abzusteigen.

Herr Reck unternahm mit dem Sohne des be- kannten isländischen Dichters Matthias Jochumssón einen Ritt zur nahegelegenen Farm Gil, bei welcher in jüngster Zeit interessante paläontologische Funde ge- macht worden sein sollten, doch war es, wie so oft in solchen Fällen — nichts.

In derselben Zeit genoß ich skizzierend einige herrliche Ruhestunden auf meinem Balkon. Nur ein Holzstapelplatz lag zwischen dem Hotel und dem Eyja- fjord, der in der wechselnden Beleuchtung bald schwarz- blau, bald tiefgrün, bald in lichten Tinten erschien. An der gegenüberliegenden Seite erhebt sich die steile Basaltwand der Vđlaheiđi.

Im Fjord lagen mehrere große Segler, ein kleiner dänischer Panzer, einige Passagierdampfer und eine französische Yacht, deren Besitzerin wir schon am Thingvellirvatn gesehen. „They say the lady has an immense lot of money and is a relation to Napoleon!" berichtete uns damals Sigurđur.

Kleine Boote mit braunen, eines mit zinnoberfarbenem Segel belebten die Wasserfläche, an deren Ufer entlang die Straße zur Vorstadt Oddeyri führt. — Wir besuchten dort die liebenswürdige Familie Havsteen, deren Sohn uns schon bei der Seereise von Kopen- hagen ein angenehmer Gesellschafter war. Wir genossen in ihrem Hause herzliche Gastfreundschaft und lernten wieder einmal das große Behagen kontinentaler Zivili- sation schätzen, sehr bedauerten wir, daß unser Auf- enthalt in Akureyri so kurz bemessen war, daß uns nicht mehr Stunden des Zusammenseins mit diesen lieben sympathischen Menschen vergönnt waren.

Unser Hauptführer Sigurđur Sumarlidason, dessen eigene Farm eine deutsche Meile nordwärts Akureyri's lag, war froh jeden Abend zu Frau und Kindern zu- rückkehren zu können; manche Tagesstunde war er in Akureyri für uns, unter anderem als Dolmetscher, unentbehrlich.

Schön waren diese sonnigen Ruhetage für uns, eigenartig die dämmerhellen, lauen Nächte, so nahe dem Polarkreis.

Dicht vor dem Hôtel lag am Quai ein großes Handelsschiff, das die ganze Nacht hindurch Tonnen mit gesalzenen Fischen lud, — regelmäßig rollte knirschend die Eisenkette des Krahns, eine rote Laterne im Mast versuchte ihren Schein im fahlen Zwielicht geltend zu machen, das behagliche Schwatzen der Matrosen war fast verständlich. Auch hier in Akureyri vereinzelte Reiter, die in den Nachtstunden durch die lange Hafenstraße weiter nach Norden sprengten, auch hier wie in Reykjavík die ganze Nacht murmelnde Stimmen an den Haus- türen, auf der Straße und Ruderschläge im Fjord.

Den nahen Gleráfall am Fuße des mit schneerfüllten Karen geschmückten Stórihnúkur sahen wir in arbeitsfreier Abendstunde. Schäumend und brausend zwängt sich die braungelbe Glerá durch den tiefdunklen Basalt, der von saftiger Grasdecke bezogen ist. Zarte, leuchtende Blüten verzieren den grünen Teppich, der sich zu den Bergen ansteigend in bräunlichem Heideland verliert. In friedevollem Schweigen erheben sich über dem Ganzen in der Ferne duftig verschwimmende rötliche Basalthöhen.

Die Photographie, der die Farben meiner Skizze fehlen, und die folgenden Strophen können zwar die Schilderung unterstützen, geben aber doch nur unvollkommen den Eindruck wieder von der schönen einsamen Bergszenerie der Nordlandfjorde.

Am E y j a f j o r d.

Glitzernde Gletscher glänzen am Eyjafjord,
Einsam verklingend verweht dort dein Wort,
Wendend dein Sehnen und Sorgen vom heuf
Wanderst du träumend zum Urquell der Zeit.

Ragende Riesen umraunen den Grund,
Tragen die Sagen von Munde zu Mund,
Schweigende Schätze schlummern im Tal,
Taufrisch erweckt sie nur, Sonne dein Strahl.

wallende Wogen umwühlen den Saum,
Zeiten zerfließen wie Wellen und Schaum,
Isafold's Schönheit, ihr Zauber besteht,
Ob auch der Atem der Menschheit vergeht.

Nach vier Tagen Aufenthaltes in Akureyri war alle vorbereitende Arbeit für die Askja-Expedition beendet.

Unser neuer, zweiter Führer, Trygve Isleifsson, war am Mittwoch mit den Packpferden vorausgeritten und am folgenden Tage wollten wir ihn in Skútustađir am Mývatn erreichen.


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