Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XV

Durch die östliche Ódáđahraun zur Askja.


Um 9 Uhr verließen wir am nächsten Morgen Herdubreiđarlindir. Nebel senkte sich, bald zu Regen verdichtet, auf uns herab. Rechts die stolzragende Felsenburg des Herdubreiđ schaute majestätisch auf uns nieder, in ihrer machtvollen Schönheit lockend, noch länger an ihrem Fuß zu ruhen. Auch von Süden sieht der Berg völlig uneinnehmbar aus, ein wundervolles Motiv für „Walhalls leuchtende Burg" einer Weltenbühne, auf der die Helden der Edda diese hehre Einsamkeit zu beleben scheinen. Träumen gleich umschweben sie uns hier, wo die Zeit seit Jahrhunderten stille zu stehen scheint.

Ringsumher auf viele Meilen eine Wüste, die kaum in hundert Jahren einmal von Menschenfuß betreten wird. Den letzten Tagesritt von Hrossaborg nach Herdubreiöarlindir waren wir schon im Bannkreis der berüchtigten Ódáđahraun, wie viel fester umfängt sie uns jetzt, da wir auf ihre Mitte, die Dyngjufjöll zureiten. Wilde Lava, über die wir hinwegmüssen, zwingt uns abzusteigen und mühsam, das Pferd am Zügel hinterherziehend, Schritt vor Schritt unseren Weg zu suchen. Nach drei Stunden erreichen wir den Paß zwischen Herdubreiđ und dem Herdubreiđartögl (Schwanz des Herdubreiđ). Rechts und links umstarren uns mauergleich bunte, glasierte Schlacken, eine wilde, wüste Umgebung, die von dem himmelstrebenden Herdubreiđ begrenzt wird. Nahe zu uns heran schieben sich die schwarzen Schutthügel, die seinen Fuß verhüllen und selbst schon Bergeshöhe erreichen. Vor uns liegt die graugelbe Bimsteinwüste, aus der tiefdunkle Lavazacken herausragen, dahinter gen Westen steigen dann jäh die ebenfalls über und über von Bimstein besäten schroffen Höhen der Dyngjufjöll gen Himmel. Nach rechts, gegen Norden wird alles umschränkt von namenlosen Schlackenbergen, die in vielen Tönen von rot bis zum hellen Zinnober mit dem Schwarz von Lapillihügeln kontrastieren.

Die „ragende Götterburg" verlassen wir und traben südwestwärts über den lockeren Bimstein auf den víkrafell zu.

Wo, längeren Wellen gleich, die Lavazacken den Bimstein überragen, müssen die Pferde mühsam klettern. Oft versinken sie mit Vorder- und Hinterbeinen in die vom Bimstein nur locker überwehten Täler der Lava, — jeden Augenblick muß man solch unerwarteten Ruckes gewärtig sein, zum Ausruhen ist dieser Ritt nicht geeignet. Der Himmel ist bewölkt, kein Sonnenstrahl verleiht dem düsteren Bild einen warmen Ton.

Nach einigen Stunden haben wir die Höhe des breiten Lavastroms erreicht und jetzt schweift ungehindert der Blick nach Süden in die duftverschwimmende Ferne der ewigen, fast grenzenlosen Gletscherbreiten des Vatna Jökull. Allein vom Inlandeis Grönlands wird dieses Rieseneisfeld an Ausdehnung übertroffen (zirka 8500 qkm), das nur zweimal von Engländern (1875 von Watts, 1904 von Wigner) unter ungeheuren Mühsalen und Gefahren überquert wurde.

Ewiges Schweigen hütet auch hier die Geheimnisse der unberührten Natur. Kein Wechsel wandelt durch diese Zonen, nur Sonne, Stürme, Nebel und Schnee schmücken sie oder verhüllen sie in Grauen. Mit einem Ewigkeitshauch streifen uns Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, die ohne Grenzen ineinander fluten.

An einem südwärts zu Tal jagenden, vom Bimsteinstaub gelb gefärbten Schneewasser rasteten wir einige Minuten, aber weder die Pferde noch wir entschlossen uns zu einem Trunk daraus. Nach der vollkommen geglückten Passage der östlichen Ödáđahraun folgt jetzt als schwerste Arbeit der Durchgang von Askja Op. Askja Op heißt der Ostpaß der Dyngjufjöll, durch den sich ein aus dem Askjakessel kommender Lavastrom in die Ódáđahraun hinab ergossen hat.

Weder vorher noch nachher sahen wir eine Lava, die mit dieser an Wildheit und Zerrissenheit wetteifern konnte. Es schien kaum möglich, über die zerklüfteten Zacken hinwegzukommen und zugleich die Steigung zu überwinden.

Die knappen Anrufe der Führer für die Pferde schallten hohl und hart von den uns dichtumdrängenden Wänden wieder. Die Flanken des Berges, hier aus dunklem Basalt bestehend, waren phantastisch verziert von bunten Sehlackenlagen. Zentnerschwere ziegelrote Blöcke lagen überall auf der Lava verstreut und drohend Überhangendes schien bereit, bei leisem Lufthauch auf uns herab zu stürzen.

Für die Führer war das Vorwärtsbringen der Pferde hier außerordentlich schwer. Sie mußten selbst absteigen und nun über die schneidend scharfe Lava von Zacke zu Zacke springen, um überall helfen zu können. Hier war ein Pferd zurückzutreiben, das zu weit abgewichen war und sieh verkletterte, dort mußte einem gestrauchelten aufgeholfen werden. Einem anderen hatte das Nachbarpferd, mit seiner Last gegenstoßend, die Packkisten abgehakt. Zwei Packpferde wußten es so einzurichten, daß die Führer ihnen voraus kamen, festentschlossen, dem wunderlichen Ansinnen der Menschen, die über diese Unmöglichkeiten hinwegwollten, nicht nachzugeben, blieben sie wie angewurzelt stehen und zwar genau vor mir. Ein seit- liches Ausweichen war ausgeschlossen, so mußte auch ich absteigen. Es gelang mir aber nicht, den guten Tieren klar zu machen, daß sie mit müßten, es bedurfte Sigurđurs Rückkehr, dessen „deutsch" sie besser verstanden, als meines.

Nach dieser Viertelstunde, die uns allen ungewöhnlich lang erschienen war, rasten die Pferde auf verhältnismäßig besserem Boden wie erleichtert weiter. Im Trab ging es über abschüssige Schneehalden, durch feuchten Bimstein, hart vorbei an mit Schneewasser gefüllten, trichterähnlichen Löchern, über tiefe Rinnen, die das Tauwasser in den alten Schnee geschnitten. Wie toll gings vorwärts, — jetzt schon im Kessel der Askja — daß uns Schnee, Wasser, Bimstein um die Ohren flogen und das Auge blendeten. Wir wußten alle, daß das Ziel nahe war. Schon erhebt sich vor unseren Blicken die 300 m hohe Südwand des Sees aus den Duftschleiern der Ferne, — nur weiter, nur schn'eller vorwärts; — und dann — unvergeßlicher erster Eindruck: Der von der Sonne beschienen silbern aufblinkende, große türkisblaue Knebel-See, — überraschend schön und großartig, — leise atmend in der Abendbrise, wie das

schlagende Herz der Dyngjufjöll, inmitten der stolzen Bergwände. Wie ein versunkenes Paradies ist dies alles, umschlossen von dem starken Bollwerk der Ódáđahraun, die für ewige Zeiten die Dyngjufjöll mit ihrem schwarzen, starren Lavameer meilenweit umbrandet.

Ewig unerreichbar für die Welt draußen, für ihren Lärm und Unfrieden, für das Wägen und Feilschen der Menge in engen Häusern, für alle Disharmonie materieller Knechtschaft.

Die Wiederspiegelung des ewigen Schöpfergeistes, der alles vollkommen schuf, auf daß es vollkommen bleibe, ist hier noch nicht getrübt durch menschliche Zusätze — hier ist alles rein wie aus des Schöpfers Hand und die Jahrhunderte erhalten unverändert diese stolze Natur. Wie wenig Mittel braucht die Erde um solche Wunderwerke zu schaffen — nichts als Himmel, Felsen, Wasser und das Feuer, das in ihrem Schöße schlummert.

Aber welch ein lichtschimmernder Himmel, welche Felsen in allen Nuancen, vom tiefsten Braun bis zum leuchtendsten Rot und lichtem Gelb, — und welch ein Wasser, — wie gelöster Edelstein! —

Trygve und Helgi versorgten die Pferde mit dem mitgebrachten Heu, während ich eiligst ihr Essen kochte. Die Tiere waren unruhig, sehr bestrebt fortzukommen, kaum ließen sie sich die Zeit zum Fressen.

Im Verlaufe von elf Tagen wollten wir das Gebiet der Askja durchforschen. Trygve begab sich jetzt mit den Pferden zu der, nördlich von Svartárkot belegenen Farm Viđiker, um nach Ablauf der erwähnten Zeit uns in Begleitung des Farmers von Viđiker wieder abzuholen. Helgi ritt mit ihm zusammen durch die nördliche Ódáđahraun, um wieder in seine Heimat Skútustađir am Mývatn zurückzukehren.

Trygve bekam genaue Ordre, wann wir wieder abgeholt werden wollten, dann verließ er mit Helgi und der Karawane uns drei.

Die Pferde jagten davon, kaum blieb den Männern Zeit auf der Höhe des Rudioffkraters, bevor sie unseren Blicken entschwanden, uns noch ein Lebewohl zuzuwinken.

Lange Zeit saßen wir noch vor den Zelten, ver- sunken in den Anblick des wunderbar schönen Sees.

Welch ein königliches Grab ward den beiden, wenn sie an seinem Grunde ruhen! —


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