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Um 9 Uhr verließen wir am nächsten Morgen
Herdubreiđarlindir. Nebel senkte sich, bald zu Regen
verdichtet, auf uns herab. Rechts die stolzragende
Felsenburg des Herdubreiđ schaute majestätisch auf
uns nieder, in ihrer machtvollen Schönheit lockend,
noch länger an ihrem Fuß zu ruhen. Auch von Süden
sieht der Berg völlig uneinnehmbar aus, ein
wundervolles Motiv für „Walhalls leuchtende Burg" einer
Weltenbühne, auf der die Helden der Edda diese hehre
Einsamkeit zu beleben scheinen. Träumen gleich
umschweben sie uns hier, wo die Zeit seit Jahrhunderten
stille zu stehen scheint.
Ringsumher auf viele Meilen eine Wüste, die
kaum in hundert Jahren einmal von Menschenfuß
betreten wird. Den letzten Tagesritt von Hrossaborg
nach Herdubreiöarlindir waren wir schon im Bannkreis
der berüchtigten Ódáđahraun, wie viel fester umfängt
sie uns jetzt, da wir auf ihre Mitte, die Dyngjufjöll
zureiten. Wilde Lava, über die wir hinwegmüssen,
zwingt uns abzusteigen und mühsam, das Pferd am
Zügel hinterherziehend, Schritt vor Schritt unseren
Weg zu suchen. Nach drei Stunden erreichen wir
den Paß zwischen Herdubreiđ und dem
Herdubreiđartögl (Schwanz des Herdubreiđ). Rechts und links
umstarren uns mauergleich bunte, glasierte Schlacken, eine
wilde, wüste Umgebung, die von dem himmelstrebenden
Herdubreiđ begrenzt wird. Nahe zu uns heran schieben
sich die schwarzen Schutthügel, die seinen Fuß
verhüllen und selbst schon Bergeshöhe erreichen. Vor
uns liegt die graugelbe Bimsteinwüste, aus der
tiefdunkle Lavazacken herausragen, dahinter gen Westen
steigen dann jäh die ebenfalls über und über von
Bimstein besäten schroffen Höhen der Dyngjufjöll
gen Himmel. Nach rechts, gegen Norden wird alles
umschränkt von namenlosen Schlackenbergen, die in
vielen Tönen von rot bis zum hellen Zinnober mit dem
Schwarz von Lapillihügeln kontrastieren.
Die „ragende Götterburg" verlassen wir und traben
südwestwärts über den lockeren Bimstein auf den
víkrafell zu.
Wo, längeren Wellen gleich, die Lavazacken den
Bimstein überragen, müssen die Pferde mühsam klettern.
Oft versinken sie mit Vorder- und Hinterbeinen in die
vom Bimstein nur locker überwehten Täler der Lava, —
jeden Augenblick muß man solch unerwarteten Ruckes
gewärtig sein, zum Ausruhen ist dieser Ritt nicht
geeignet. Der Himmel ist bewölkt, kein Sonnenstrahl
verleiht dem düsteren Bild einen warmen Ton.
Nach einigen Stunden haben wir die Höhe
des breiten Lavastroms erreicht und jetzt schweift
ungehindert der Blick nach Süden in die duftverschwimmende
Ferne der ewigen, fast grenzenlosen Gletscherbreiten
des Vatna Jökull. Allein vom Inlandeis Grönlands
wird dieses Rieseneisfeld an Ausdehnung übertroffen
(zirka 8500 qkm), das nur zweimal von Engländern
(1875 von Watts, 1904 von Wigner)
unter ungeheuren Mühsalen und Gefahren überquert
wurde.
Ewiges Schweigen hütet auch hier die
Geheimnisse der unberührten Natur. Kein Wechsel wandelt
durch diese Zonen, nur Sonne, Stürme, Nebel und
Schnee schmücken sie oder verhüllen sie in Grauen.
Mit einem Ewigkeitshauch streifen uns Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft, die ohne Grenzen ineinander
fluten.
An einem südwärts zu Tal jagenden, vom
Bimsteinstaub gelb gefärbten Schneewasser rasteten wir einige
Minuten, aber weder die Pferde noch wir entschlossen
uns zu einem Trunk daraus. Nach der vollkommen
geglückten Passage der östlichen Ödáđahraun folgt
jetzt als schwerste Arbeit der Durchgang von Askja
Op. Askja Op heißt der Ostpaß der Dyngjufjöll,
durch den sich ein aus dem Askjakessel kommender
Lavastrom in die Ódáđahraun hinab ergossen hat.
Weder vorher noch nachher sahen wir eine Lava,
die mit dieser an Wildheit und Zerrissenheit wetteifern
konnte. Es schien kaum möglich, über die zerklüfteten
Zacken hinwegzukommen und zugleich die Steigung zu
überwinden.
Die knappen Anrufe der Führer für die Pferde
schallten hohl und hart von den uns
dichtumdrängenden Wänden wieder. Die Flanken des Berges,
hier aus dunklem Basalt bestehend, waren phantastisch
verziert von bunten Sehlackenlagen. Zentnerschwere
ziegelrote Blöcke lagen überall auf der Lava verstreut
und drohend Überhangendes schien bereit, bei leisem
Lufthauch auf uns herab zu stürzen.
Für die Führer war das Vorwärtsbringen der
Pferde hier außerordentlich schwer. Sie mußten selbst
absteigen und nun über die schneidend scharfe Lava
von Zacke zu Zacke springen, um überall helfen zu
können. Hier war ein Pferd zurückzutreiben, das zu
weit abgewichen war und sieh verkletterte, dort mußte
einem gestrauchelten aufgeholfen werden. Einem
anderen hatte das Nachbarpferd, mit seiner Last
gegenstoßend, die Packkisten abgehakt. Zwei Packpferde
wußten es so einzurichten, daß die Führer ihnen
voraus kamen, festentschlossen, dem wunderlichen
Ansinnen der Menschen, die über diese Unmöglichkeiten
hinwegwollten, nicht nachzugeben, blieben sie wie
angewurzelt stehen und zwar genau vor mir. Ein seit-
liches Ausweichen war ausgeschlossen, so mußte auch
ich absteigen. Es gelang mir aber nicht, den guten
Tieren klar zu machen, daß sie mit müßten, es bedurfte
Sigurđurs Rückkehr, dessen „deutsch" sie besser
verstanden, als meines.
Nach dieser Viertelstunde, die uns allen
ungewöhnlich lang erschienen war, rasten die Pferde auf
verhältnismäßig besserem Boden wie erleichtert weiter.
Im Trab ging es über abschüssige Schneehalden, durch
feuchten Bimstein, hart vorbei an mit Schneewasser
gefüllten, trichterähnlichen Löchern, über tiefe Rinnen,
die das Tauwasser in den alten Schnee geschnitten.
Wie toll gings vorwärts, — jetzt schon im Kessel der
Askja — daß uns Schnee, Wasser, Bimstein um die
Ohren flogen und das Auge blendeten. Wir wußten
alle, daß das Ziel nahe war.
Schon erhebt sich vor unseren Blicken die 300 m
hohe Südwand des Sees aus den Duftschleiern der
Ferne, — nur weiter, nur schn'eller vorwärts; — und
dann — unvergeßlicher erster Eindruck: Der von der
Sonne beschienen silbern aufblinkende, große
türkisblaue Knebel-See, — überraschend schön und
großartig, — leise atmend in der Abendbrise, wie das
schlagende Herz der Dyngjufjöll, inmitten der stolzen
Bergwände. Wie ein versunkenes Paradies ist dies
alles, umschlossen von dem starken Bollwerk der
Ódáđahraun, die für ewige Zeiten die Dyngjufjöll mit
ihrem schwarzen, starren Lavameer meilenweit umbrandet.
Ewig unerreichbar für die Welt draußen, für ihren
Lärm und Unfrieden, für das Wägen und Feilschen
der Menge in engen Häusern, für alle Disharmonie
materieller Knechtschaft.
Die Wiederspiegelung des ewigen Schöpfergeistes,
der alles vollkommen schuf, auf daß es vollkommen
bleibe, ist hier noch nicht getrübt durch menschliche
Zusätze — hier ist alles rein wie aus des Schöpfers
Hand und die Jahrhunderte erhalten unverändert diese
stolze Natur. Wie wenig Mittel braucht die Erde um
solche Wunderwerke zu schaffen — nichts als Himmel,
Felsen, Wasser und das Feuer, das in ihrem Schöße
schlummert.
Aber welch ein lichtschimmernder Himmel, welche
Felsen in allen Nuancen, vom tiefsten Braun bis zum
leuchtendsten Rot und lichtem Gelb, — und welch ein
Wasser, — wie gelöster Edelstein! —
Trygve und Helgi versorgten die Pferde mit dem
mitgebrachten Heu, während ich eiligst ihr Essen kochte.
Die Tiere waren unruhig, sehr bestrebt fortzukommen,
kaum ließen sie sich die Zeit zum Fressen.
Im Verlaufe von elf Tagen wollten wir das Gebiet
der Askja durchforschen. Trygve begab sich jetzt mit den
Pferden zu der, nördlich von Svartárkot belegenen Farm
Viđiker, um nach Ablauf der erwähnten Zeit uns in
Begleitung des Farmers von Viđiker wieder abzuholen. Helgi
ritt mit ihm zusammen durch die nördliche Ódáđahraun,
um wieder in seine Heimat Skútustađir am Mývatn
zurückzukehren.
Trygve bekam genaue Ordre, wann wir wieder
abgeholt werden wollten, dann verließ er mit Helgi
und der Karawane uns drei.
Die Pferde jagten davon, kaum blieb den Männern
Zeit auf der Höhe des Rudioffkraters, bevor sie
unseren Blicken entschwanden, uns noch ein Lebewohl
zuzuwinken.
Lange Zeit saßen wir noch vor den Zelten, ver-
sunken in den Anblick des wunderbar schönen Sees.
Welch ein königliches Grab ward den beiden,
wenn sie an seinem Grunde ruhen! —
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