Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XVII

Durch die nördliche Odáđahraun nach Akureyri.


Auf der Höhe des Jónskarđ nahm ich Abschied von der Askja in der sicheren Hoffnung sie noch einmal wiedersehen zu dürfen.

Vor uns gen Norden lag weit die Ebene ausgebreitet. Der Bláfjall, Sellandafjall, später gegen Osten die Kolotta Dyngja und der,Herdubreiđ, wir begrüßten sie alle wieder gleich alten Freunden. Silbern erglänzte der 60 km ferne Mývatn, — aus fremden Welten kamen wir wieder in die Alltäglichkeit zurück. Zuerst aber verlangten noch zwei harte Arbeitstage unsere Kraft.

Der Abstieg vom Jönskarđ ist gegen Norden allmählicher als zum Askjakessel, daher mußten wir eilen die Ebene zu erreichen, ehe der gefrorene Schnee in der Sonne taute und alles überrieselnd den Bimsteinboden für die einsinkenden Hufe der Pferde schwerer passierbar machte.

In der Ebene konnten wir dann bisweilen Trab reiten. Die Lava der nördlichen Odáđahraun besteht großenteils aus enormen schwach gewölbten Platten, die vielfach geborsten sind und in breiten Spalten' klaffen. Dazwischen befinden sich sandüberwehte Strecken. Alles lichtgrau, blendend, ermüdend, eintönig. Groteske Formen dazwischen, die hohe wilde Klippe Lockstindur (Auf deutsch Lock's Zinne, nach dem Engländer Lock benannt, der 1878 und 1880 die Askja besuchte), ein steiler Lavagang. Sonst sieben Stunden lang immer dasselbe, ein wenig anders, dann noch einmal und wieder so. Man kennt das nun schon, erwartet gar keinen Wechsel und ertappt sich dennoch hie und da über dem Gedanken: ob wohl dort ganz weit vorn doch irgend etwas Neues, noch nie Dagewesenes in die Erscheinung treten könne? Es kommt aber nichts Anderes und man schläft wieder so halb ein auf dem Pferde, das von selbst treu der Spur der Vorgänger folgt. Die Führer mit den Packpferden sind voraus. Sie unterhalten sich lebhaft. Obgleich sie alle. drei sehr laut sprechen, scheinen sie sich nie zu verstehen, denn immer wieder erklingt ihr lautes „ha, ha"? es soll hvađ (quath, mit englischer Aussprache des th) heißen und bedeutet „wie"? Es stört unsere gleichmäßige Ruhe und wir hören es daher ungern. Hundertmal wird es sich aber auf der Poststraße wiederholen und später werden wir es dann in der Heimat doch als eine gute Erinnerung der schönen, starken Zeit in Island herauskramen, und unsere damalige Entrüstung belächeln.

Selten sehen wir einige Halme des weißlich-grünen Sandhafers, den die. Pferde nur im Notfall nehmen. Nirgends war bisher eine Spur von Wasser, die Lava saugt alles spurlos ein. Fast ohne Rasten geht's weiter, bis wir um l Uhr eine Grasfläche an einem Gletscherbach erreichen — jetzt sind wir aus der Umarmung der Ódáđahraun. Eine Stunde ruhen die Pferde, tapfer fressend, hier aus. Weit hinter uns schon liegen die Dyngjufjöll. Finstere, schwere Wolken ballen sich über ihren Höhen, ob wieder der Schneesturm um die Wände, über den See rast? Keiner, der sie von hier sieht, kann ahnen, welch großartiges Gebiet sie umschließen. —

Nach weiteren zwei Rittstunden passieren wir die Farm Svartárkot am schieferfarbenen Svartárvatn {Schwarzwasser) und treffen um 5.40 Uhr bei unserem Tagesziel, der Farm Viđiker ein.

Wir bekamen einen geschützten Lagerplatz im Tun, dem die Farm zunächst umgebenden Grasland, das durch Wälle eingefriedigt ist und nicht ohne weiteres betreten werden darf. Unsere Zelte lehnten sich gegen die Graswände eines verfallenden Schafstalles, was uns mit dem kalten Nordwind und nur +5 1/2° aussöhnen mußte.

Am nächsten Morgen um 6 Uhr war dichter Nebel, der sich in Regen auflöste. Dies hinderte nicht die Bewohner der Farm sowie augenscheinlich zum Besuch anwesende Freunde andauernd im Tun um uns herum zu spazieren. Wir und unsere Sachen wurden wieder einmal von allen Seiten besehen. Als wir um 9 Uhr abritten, drang die Sonne durch, — ein prachtvoller Tag begann. Die Pferde hatten einen wirklichen Weg,

womit sie augenscheinlich zufrieden waren, und wir kamen gut vorwärts. Vorbei ging es an Lundarbrekka, Jarlstađir, Sandvík, alles größere und kleine Farmen, — seit Svartárkot waren wir im Bárđardalur, diesmal am östlichen Ufer des Skjálfandafljót. Drüben sahen wir Eyjadalsá liegen, das wir vom Sprengisandur kommend passiert hatten. Am Gođafoss, am Ljósavatn, an Háls ging es vorbei, durch die Fnjoská, — und wieder standen wir am Fuße des wenig geliebten zeitraubenden Zickzackweges über die Vađlaheiđi.

Trübe sank die Dämmerung, es war 6 Uhr abends, würden wir Akureyri heut' noch erreichen können? Hinter uns im Bárđardalur zogen sich ballende Wolken zusammen, — Nebel kroch durch die Flußebene, — längst war jeder Fernblick gen Süden verhüllt. Als wir die Höhe erreicht, wo der Blick ins Tal der Eyjafjarđará reichte, auch hier dasselbe Bild, Wolken und Nebel überm Lande, und auf den Fjord ziehend. Viel Schnee lag auf den hohen Bergen gegen Westen. Kurz vor 9 Uhr erklärte Sigurđur, daß es unmöglich sein würde, die Eyjafjarđará bei der Dunkelheit noch zu durchreiten. Es wurde an einem Quell an der Basaltwand hoch über dem drüben liegenden Akureyri das Lager aufgeschlagen. Der Regen ward stärker, der Wind hob sich, die Kerzen wehten aus, die Spirituskocher um, ich durfte, — alles schon ausprobiert, — meine Suppe aus dem Zelteckchen auflöffeln, oder ganz darauf verzichten. — Jenseits tief unten am Fjord lag lockend das trauliche Akureyri, wie Glühwürmchen blinkten die Lichter in den Häusern und auf den Schiffen im Hafen, — nun morgen waren wir ja dort.

Wir ließen uns am nächsten Vormittag, während die Führer mit den Pferden durch die Eyjafjarđará ritten, mit einem Boot über den Fjord setzen. Ein freundlicher Farmer besorgte dies mit seinem Knecht. Die Fahrt währte wohl eine halbe Stunde, und wir wurden dabei von seilen des englisch sprechenden Farmers einem gründlichen Verhör unterzogen über unser „Woher" und „Wohin". Wir überdachten, während das Boot in den stürmisch erregten Wogen schaukelte, der Schaum uns umpeitschte, und wir höflich und ausreichend antworteten, daß es, heute wenigstens, im Fjord angenehmer war im Boot zu sitzen als zu Pferde. In Akureyri angekommen war dann das Telegraphieren nach Hause das Erste.

Da dieser Tag ein Donnerstag war, wir aber am Sonnabend früh fort wollten, mußte jede Stunde ausgenützt werden. Sigurđur übernahm gleich die Sorge für die Pferde, veranlaßte nötige Reparaturen am Sattelzeug etc. zum Heimritt. Er leitete den Verkauf überflüssiger Konserven ein, über die ich eine Preisliste ausgefertigt hatte. Er packte mit mir die Packkisten für den Ritt auf der Poststraße und war in Läden und bei Verhandlungen unentbehrlich. —

Der sehr tüchtige Photograph entwicktelte dreizehn Dutzend Aufnahmen für uns. Einige hundert Handstücke (ausgewählt schöne Steine), die wir während der Wochen seit unserem Abritt von Reykjavík gesammelt, mußten vielfach neu verpackt werden. Bei den langen Touren auf dem Pferderücken waren ihre Papierhüllen zerscheuert, manche auch bei Flußübergängen aufgeweicht und die Etikettes kaum mehr leserlich. Mehrere Frachtkisten wurden damit gefüllt und für den Transport mit der „Ceres" fertig gemacht zur Reise nach Deutschland.

Den Koffern wurde das zivilisierte Zeug entnommen, und noch einmal genossen wir die herzliche Gastfreundschaft der liebenswürdigen Familie Havsteen. Daß wir mit dem Sohn des Etatsrats, der in Kopenhagen studiert, wieder (wie während der Ausreise von Kopenhagen) auf der „Ceres" zusammen sein würden, war uns eine angenehme Aussicht.

Wir waren jetzt mit den Verhältnissen in Akureyri recht vertraut, in den Kaufläden bekannt. Auf dem Postbureau wurden wir ins Amtszimmer gelassen und es wurde uns gestattet die eingegangene Post selbst mit durchzusehen! — Herr Reck hatte eine Unterredung mit dem Redakteur der Zeitung „Norđurland", die einen Artikel über seine Erstbesteigung des Herdubreiđ brachte. Er empfing ferner in seinem Zimmer den unerwarteten Besuch eines fremden jungen Mannes, der in Herrn Recks Anwesenheit in Akureyri eine will- kommene Gelegenheit sah, ein deutsches Fünfmark- stück, dessen Besitz für ihn freudlos war, gegen dänische Kronenstücke einzutauschen.

Wir telephonierten an Konsul Thomsen in Reykjavík unsere glückliche Rückkehr aus der Askja, und fanden über der reichlich bemessenen Arbeit leider kein freies Stündchen mehr, um noch einmal in die Berge zu wandern, zu dem hübschen Gleráfall.

Am Freitag abend waren dafür aber auch alle Pflichten erledigt und unsere Koffer standen gepackt zur Mitnahme mit der „Ceres", die nach zwei Tagen von Kopenhagen kommend in Akureyri erwartet wurde. Selbst die 156 Films hatten wir noch durchgesehen, einigermaßen nach den Daten geordnet und ungenügende Aufnahmen gleich beseitigt.

Draußen war es finster und unbehaglich, der Sturm heulte, der Regen peitschte gegen die Scheiben der kleinen Fenster. Es schien wenig verlockend noch einmal zehn Tage im Zelt zu kampieren. Bei stürmischem, vielleicht unsichtigem Wetter in sechs bis sieben Tagen auf der „Ceres" um die Nord-West-Halbinsel nach Reykjavík zu fahren, war aber noch weniger einladend. Es blieb bei dem ursprünglichen Plan auf der Post- straße nach Reykjavík zu reiten. —


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