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Auf der Höhe des Jónskarđ nahm ich Abschied
von der Askja in der sicheren Hoffnung sie noch
einmal wiedersehen zu dürfen.
Vor uns gen Norden lag weit die Ebene
ausgebreitet. Der Bláfjall, Sellandafjall, später gegen Osten
die Kolotta Dyngja und der,Herdubreiđ, wir begrüßten
sie alle wieder gleich alten Freunden. Silbern erglänzte der
60 km ferne Mývatn, — aus fremden Welten kamen
wir wieder in die Alltäglichkeit zurück. Zuerst aber
verlangten noch zwei harte Arbeitstage unsere Kraft.
Der Abstieg vom Jönskarđ ist gegen Norden
allmählicher als zum Askjakessel, daher mußten wir eilen
die Ebene zu erreichen, ehe der gefrorene Schnee in
der Sonne taute und alles überrieselnd den
Bimsteinboden für die einsinkenden Hufe der Pferde schwerer
passierbar machte.
In der Ebene konnten wir dann bisweilen Trab
reiten. Die Lava der nördlichen Odáđahraun besteht
großenteils aus enormen schwach gewölbten Platten,
die vielfach geborsten sind und in breiten Spalten'
klaffen. Dazwischen befinden sich sandüberwehte
Strecken. Alles lichtgrau, blendend, ermüdend,
eintönig. Groteske Formen dazwischen, die hohe wilde
Klippe Lockstindur (Auf deutsch Lock's Zinne, nach dem
Engländer Lock benannt, der 1878 und 1880 die Askja besuchte),
ein steiler Lavagang. Sonst sieben
Stunden lang immer dasselbe, ein wenig anders, dann
noch einmal und wieder so. Man kennt das nun schon,
erwartet gar keinen Wechsel und ertappt sich dennoch
hie und da über dem Gedanken: ob wohl dort ganz
weit vorn doch irgend etwas Neues, noch nie
Dagewesenes in die Erscheinung treten könne? Es kommt
aber nichts Anderes und man schläft wieder so halb
ein auf dem Pferde, das von selbst treu der Spur der
Vorgänger folgt. Die Führer mit den Packpferden sind
voraus. Sie unterhalten sich lebhaft. Obgleich sie alle.
drei sehr laut sprechen, scheinen sie sich nie zu
verstehen, denn immer wieder erklingt ihr lautes „ha, ha"?
es soll hvađ (quath, mit englischer Aussprache des th)
heißen und bedeutet „wie"? Es stört unsere
gleichmäßige Ruhe und wir hören es daher ungern.
Hundertmal wird es sich aber auf der Poststraße wiederholen
und später werden wir es dann in der Heimat doch
als eine gute Erinnerung der schönen, starken Zeit in
Island herauskramen, und unsere damalige Entrüstung
belächeln.
Selten sehen wir einige Halme des weißlich-grünen
Sandhafers, den die. Pferde nur im Notfall nehmen.
Nirgends war bisher eine Spur von Wasser, die Lava
saugt alles spurlos ein. Fast ohne Rasten geht's weiter,
bis wir um l Uhr eine Grasfläche an einem
Gletscherbach erreichen — jetzt sind wir aus der Umarmung
der Ódáđahraun. Eine Stunde ruhen die Pferde, tapfer
fressend, hier aus. Weit hinter uns schon liegen die
Dyngjufjöll. Finstere, schwere Wolken ballen sich über
ihren Höhen, ob wieder der Schneesturm um die
Wände, über den See rast? Keiner, der sie von hier
sieht, kann ahnen, welch großartiges Gebiet sie
umschließen. —
Nach weiteren zwei Rittstunden passieren wir die
Farm Svartárkot am schieferfarbenen Svartárvatn
{Schwarzwasser) und treffen um 5.40 Uhr bei unserem
Tagesziel, der Farm Viđiker ein.
Wir bekamen einen geschützten Lagerplatz im
Tun, dem die Farm zunächst umgebenden
Grasland, das durch Wälle eingefriedigt ist und nicht ohne
weiteres betreten werden darf. Unsere Zelte lehnten
sich gegen die Graswände eines verfallenden
Schafstalles, was uns mit dem kalten Nordwind und nur
+5 1/2° aussöhnen mußte.
Am nächsten Morgen um 6 Uhr war dichter Nebel,
der sich in Regen auflöste. Dies hinderte nicht die
Bewohner der Farm sowie augenscheinlich zum Besuch
anwesende Freunde andauernd im Tun um uns herum
zu spazieren. Wir und unsere Sachen wurden wieder
einmal von allen Seiten besehen. Als wir um 9 Uhr
abritten, drang die Sonne durch, — ein prachtvoller
Tag begann. Die Pferde hatten einen wirklichen Weg,
womit sie augenscheinlich zufrieden waren, und wir
kamen gut vorwärts. Vorbei ging es an Lundarbrekka,
Jarlstađir, Sandvík, alles größere und kleine Farmen, —
seit Svartárkot waren wir im Bárđardalur, diesmal am
östlichen Ufer des Skjálfandafljót. Drüben sahen wir
Eyjadalsá liegen, das wir vom Sprengisandur kommend
passiert hatten. Am Gođafoss, am Ljósavatn, an Háls
ging es vorbei, durch die Fnjoská, — und wieder
standen wir am Fuße des wenig geliebten zeitraubenden
Zickzackweges über die Vađlaheiđi.
Trübe sank die Dämmerung, es war 6 Uhr abends,
würden wir Akureyri heut' noch erreichen können?
Hinter uns im Bárđardalur zogen sich ballende Wolken
zusammen, — Nebel kroch durch die Flußebene, —
längst war jeder Fernblick gen Süden verhüllt. Als
wir die Höhe erreicht, wo der Blick ins Tal der
Eyjafjarđará reichte, auch hier dasselbe Bild, Wolken und
Nebel überm Lande, und auf den Fjord ziehend. Viel
Schnee lag auf den hohen Bergen gegen Westen. Kurz
vor 9 Uhr erklärte Sigurđur, daß es unmöglich sein
würde, die Eyjafjarđará bei der Dunkelheit noch zu
durchreiten. Es wurde an einem Quell an der
Basaltwand hoch über dem drüben liegenden Akureyri das
Lager aufgeschlagen. Der Regen ward stärker, der
Wind hob sich, die Kerzen wehten aus, die
Spirituskocher um, ich durfte, — alles schon ausprobiert, —
meine Suppe aus dem Zelteckchen auflöffeln, oder ganz
darauf verzichten. — Jenseits tief unten am Fjord lag
lockend das trauliche Akureyri, wie Glühwürmchen
blinkten die Lichter in den Häusern und auf den
Schiffen im Hafen, — nun morgen waren wir ja dort.
Wir ließen uns am nächsten Vormittag, während die
Führer mit den Pferden durch die Eyjafjarđará ritten,
mit einem Boot über den Fjord setzen. Ein
freundlicher Farmer besorgte dies mit seinem Knecht. Die
Fahrt währte wohl eine halbe Stunde, und wir wurden
dabei von seilen des englisch sprechenden Farmers
einem gründlichen Verhör unterzogen über unser
„Woher" und „Wohin". Wir überdachten, während
das Boot in den stürmisch erregten Wogen schaukelte,
der Schaum uns umpeitschte, und wir höflich und
ausreichend antworteten, daß es, heute wenigstens, im
Fjord angenehmer war im Boot zu sitzen als zu Pferde.
In Akureyri angekommen war dann das Telegraphieren
nach Hause das Erste.
Da dieser Tag ein Donnerstag war, wir aber am
Sonnabend früh fort wollten, mußte jede Stunde
ausgenützt werden. Sigurđur übernahm gleich die Sorge für die
Pferde, veranlaßte nötige Reparaturen am Sattelzeug etc.
zum Heimritt. Er leitete den Verkauf überflüssiger
Konserven ein, über die ich eine Preisliste ausgefertigt
hatte. Er packte mit mir die Packkisten für den Ritt
auf der Poststraße und war in Läden und bei
Verhandlungen unentbehrlich. —
Der sehr tüchtige Photograph entwicktelte dreizehn
Dutzend Aufnahmen für uns. Einige hundert
Handstücke (ausgewählt schöne Steine), die wir während
der Wochen seit unserem Abritt von Reykjavík
gesammelt, mußten vielfach neu verpackt werden. Bei
den langen Touren auf dem Pferderücken waren ihre
Papierhüllen zerscheuert, manche auch bei
Flußübergängen aufgeweicht und die Etikettes kaum mehr
leserlich. Mehrere Frachtkisten wurden damit gefüllt
und für den Transport mit der „Ceres" fertig gemacht
zur Reise nach Deutschland.
Den Koffern wurde das zivilisierte Zeug
entnommen, und noch einmal genossen wir die herzliche
Gastfreundschaft der liebenswürdigen Familie Havsteen.
Daß wir mit dem Sohn des Etatsrats, der in
Kopenhagen studiert, wieder (wie während der Ausreise von
Kopenhagen) auf der „Ceres" zusammen sein würden,
war uns eine angenehme Aussicht.
Wir waren jetzt mit den Verhältnissen in Akureyri
recht vertraut, in den Kaufläden bekannt. Auf dem
Postbureau wurden wir ins Amtszimmer gelassen und
es wurde uns gestattet die eingegangene Post selbst
mit durchzusehen! — Herr Reck hatte eine
Unterredung mit dem Redakteur der Zeitung „Norđurland",
die einen Artikel über seine Erstbesteigung des
Herdubreiđ brachte. Er empfing ferner in seinem Zimmer
den unerwarteten Besuch eines fremden jungen Mannes,
der in Herrn Recks Anwesenheit in Akureyri eine will-
kommene Gelegenheit sah, ein deutsches Fünfmark-
stück, dessen Besitz für ihn freudlos war, gegen dänische
Kronenstücke einzutauschen.
Wir telephonierten an Konsul Thomsen in
Reykjavík unsere glückliche Rückkehr aus der Askja, und
fanden über der reichlich bemessenen Arbeit leider
kein freies Stündchen mehr, um noch einmal in die
Berge zu wandern, zu dem hübschen Gleráfall.
Am Freitag abend waren dafür aber auch alle
Pflichten erledigt und unsere Koffer standen gepackt
zur Mitnahme mit der „Ceres", die nach zwei Tagen
von Kopenhagen kommend in Akureyri erwartet wurde.
Selbst die 156 Films hatten wir noch durchgesehen,
einigermaßen nach den Daten geordnet und ungenügende
Aufnahmen gleich beseitigt.
Draußen war es finster und unbehaglich, der Sturm
heulte, der Regen peitschte gegen die Scheiben der
kleinen Fenster. Es schien wenig verlockend noch
einmal zehn Tage im Zelt zu kampieren. Bei stürmischem,
vielleicht unsichtigem Wetter in sechs bis sieben Tagen
auf der „Ceres" um die Nord-West-Halbinsel nach
Reykjavík zu fahren, war aber noch weniger einladend.
Es blieb bei dem ursprünglichen Plan auf der Post-
straße nach Reykjavík zu reiten. —
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