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Gegen mittag waren wir auf der Höhe des Svinaskarđ
gewesen, lang war der Ritt durch die Mosfellsheiđi.
Wir genossen aber dabei noch einmal den Anblick der
über 600 m hohen Basaltburg Esja, zu welcher ich in
den ersten drei Tagen unseres Aufenthaltes in Island
den ersten und einzigen unvergeßlichen Ritt im
Damensattel unternahm! Von den schönen Bergen, dem klaren
Himmel, der lebenspendenden Luft hieß es jetzt Ab-
schied nehmen, mit der nur Ungewissen Hoffnung auf
ein fernes Wiedersehen.
Je mehr wir uns dem Weichbild Reykjavíks
näherten, um so belebter wurde die Gegend. Ganze
Familien kamen geritten, die in der Kirche gewesen
waren. Einzelne Reiter, zu zweien und dreien. Mochten
sie uns elegant und modern erscheinen oder nicht, —
reiner als wir waren sie ohne Frage — ihre Mienen
spiegelten diesen Vorzug uns gegenüber wieder.
Andererseits konnten sie sich einer gewissen Ehrfurcht nicht
erwehren, sprach doch unsere von Regen und Luft,.
von Schlamm und Lava verfärbte und zerrissene
Kleidung deutlich genug davon, daß wir ein ehrliches
Stück Arbeit in Island, in ihrer geliebten Heimat,
geleistet hatten. So ward uns trotz des strolchhaften
Aussehens manch freundlicher Gruß zu teil.
Jäger mit ihren Hunden zogen an uns vorbei in
die Heide, vermutlich zur Hühnerjagd; hätte ich mein
Pferd wenden und zurücksprengen können in all' die
herrliche Wildnis!
Die See sahen wir, schieferfarben und schaum-
gekrönt, blitzend im Sonnenschein.
Abb. 55. Farm bei Reykjavík.
Immer näher kamen wir der Stadt. Nun noch
einmal den bekannten Weg durch die hügeligen Straßen,
wir biegen ab in die Austurstraeti, die Hauptstraße von
Reykjavík. Rechts die Gebäude von Konsul Thomsen,
die Bank, die Post, das Museum, links unser „Hotel
Reykjavík".
Eine Menschenmenge wie wir sie seit langer Zeit, —
wie wir sie noch nie in Island gesehen, füllt den großen
Rasenplatz hinter dem Hotel. Wie wir später erfahren,
ist eine wichtige politische Versammlung, ein neues
Gesetz betreffend, welches das Kronland Dänemark
einführen will. Im Augenblick ist uns aber die
Menschenansammlung vor dem Hotel wichtiger. Ungefähr sechzig
bereits stark illuminierte Norweger, Fischer im
Sonntagszeug, stehen laut redend und gestikulierend in
Gruppen. Sie umdrängen, in ihre Gespräche vertieft,
unsere Pferde, die unruhig werden. Nicht genug damit,
es scheint mit unserer Ankunft ein entscheidender
Moment gekommen zu sein. Mehrere Bündel von fünf
oder sechs, dem Dorsch ähnlichen toten Fischen, die
auf der Straße liegen, stehen, wie wir schon früher
beobachteten, im dunklen Zusammenhang mit diesen
Versammlungen. Einer der Männer hebt so ein Bund
Fische auf und fuchtelt seinem Nachbar damit in
Ohrennähe herum. Das ist diesem unangenehm,
andere beteiligen sich und der Streit wird lebhafter.
Den Pferden ist aber die allgemeine Unruhe noch
viel unangenehmer, wenig fehlte, so hätte mich mein
scheuend und zur Seite springendes Tier am Schluß
der Expedition noch auf die Straße gesetzt. Glücklich
erreiche ich die, wie immer am Sonntag verschlossene
Haustür, wiederholtes Klopfen veranlaßt dann Jemanden
uns einzulassen.
Mißlich war es für uns, daß die „Ceres" erst an
diesem Tage von Akureyri eingelaufen, und des
Sonntags wegen unsere Koffer noch nicht an Land gesandt
hatte. Wir mußten daher in recht fragwürdigem Kostüm
uns an dem, für uns reich besetzten, Tisch niederlassen.
(Von der Farm Grund aus hatte Sigurđur telephonisch
unser Kommen gemeldet.) Vom Balkon ertönte die
jeweilige Stimme eines der politischen Redner,
bisweilen von zustimmenden Rufen aus der Menge
begleitet, und dann und wann kam einer der Herren,
um im Eßzimmer seine Kehle durch einen Schluck
„Rosenborg-Sodavand" zu Weiterem zu beleben.
Glücklicherweise beschäftigte ihn „das alte und das neue
Tractat" so sehr, daß er uns und unser reduziertes
Aussehen nicht bemerkte.
Den folgenden Tag besorgten wir zuerst die Arbeit
des Briefelesens, — wir fanden deren reichlich fünfzig
vor, — und im wesentlichen wurde dann das
Einpacken der Ausrüstung beendet. Darauf hatten wir
sowohl unseren Führer Sigurđur Sumarlidason, als auch
denjenigen meines Verlobten Ögmundur Sigurdssón zu
einem kleinen Abschiedsmahl gebeten. Das Essen war
tadellos, nur entsprach die Temperatur des Sekts, den
wir der Sitte gemäß tranken, nicht der, an die wir
gewöhnt sind und, die man bei Ísafold „der
Eisumschlungenen" als normal voraussetzt. Die Isländer
schienen aber mit allem zufrieden zu sein.
Am nächsten Tage waren wir bis 5 Uhr
nachmittags vollauf beschäftigt, ungefähr 200 photographische
Films und Platten zu bestimmen, zu notieren und zu
nummerieren. Darauf besuchte uns Herr Blöndal
zum Essen, den Abend waren wir mit ihm zusammen
beim Domprediger, wo wir einen in Berlin studierenden
Japaner nur flüchtig sahen, da er am nächsten Tage
sehr früh zum Großen Geysir reiten wollte. Inzwischen
hatte Sigurđur mit vieler Gewandtheit die noch in
unserem Besitz befindlichen acht Pferde verkauft; es
war traurig, auch von ihnen, die uns unermüdlich treu
gedient hatten, Abschied nehmen zu sollen. Sicher
hatten sie, außer dem Grasfressen, den Sinn unserer
Reise nicht entfernt für einen nützlichen gehalten.
Der letzte Tag unseres Aufenthaltes in Island, der
9. September, war wieder ein herrlicher Sommertag.
Wir beschäftigten uns mit allerhand Einkäufen und
sonstigen wichtigen und nützlichen Dingen, bis wir,
erst am Abend um 11 Uhr vom đuai zur „Ceres"
hinüberfahren mußten. Es war ein herzlicher Abschied
von Frau Zoega, die mir ein großes Boukett in ihrem
Garten gezogener Mohnblumen mitgab, gewiß eine
Seltenheit in Island. Sigurđur begleitete uns. Am
Quai stand Herr Blöndal mit seiner kleinen Braut
Gudda, überall hieß es »Auf Wiedersehen".
Es ist völlig dunkel, die See liegt sehr ruhig.
Die bunten Laternen von Passagier- und Fischdampfern
zeichnen ihre zitternden Reflexe auf die schwarze Flut, —
die Ruder zerstören die Linien und formen sie zu
Kreisen um, funkelnd fallen die Tropfen zurück. Die
Nacht ist so still, daß man die Stimmen auf den einzelnen
Fahrzeugen unterscheidet.
Am Fallreep der „Ceres" steht der wohlbekannte
Kellner, Serviette unterm Arm, der Koch neben ihm
uns zu begrüßen; sie kennen's schon, daß wir immer
die letzten sind, die an Bord kommen. Einige Minuten
noch sprechen wir mit unsrem treuen Sigurđur, es
wird uns schwer ihm Lebewohl zu sagen. Mit welcher
Treue, Gewissenhaftigkeit, Ehrlichkeit und körperlicher
Zähigkeit hat er sich während der ganzen Zeit bewiesen,
ein wesentlicher Anteil an dem Erfolg unserer Expedition
gebührt ihm. Wie viel teilten wir mit ihm an Mühen
und Gefahren und doch war es uns dessen scheinbar
noch nicht genug — alle Drei sprachen wir vom
„nächsten Male".
Bis die Ruderschläge seines Bootes verklingen,
wir seine Stimme nicht mehr hören, bleiben wir an
der Bordwand stehen, das Fallreep wird hinaufgezogen,
der Anker gelichtet, und wir wenden uns den festlich
erleuchteten Räumen der „Ceres" zu.
Zurück geht es in die alte Heimat, zu den Pflichten
der Zeit, die sich leichter erfüllen lassen, wenn das
Lebensschiff unvergänglichen Ballast lud.
Das Rätsel, das wir in menschlicher Weise zu
lösen suchten, ist ungelöst geblieben, und nach irdischem
Schema ßndet die Frage nach dem „Wie" und „Warum"
des 10. Juli 1907 keine Beantwortung. Wir müssen
uns bescheiden, die Grenze des Verstehens erreicht,
den Hauch der Ewigkeit gefühlt zu haben. — Materielle
Reste haben wir vergebens gesucht, aber wir haben
empfinden gelernt, daß sie nur unserem menschlichen
Blick Träger des Lebens sind. Das wahre Leben
kommt und geht nicht mit der Materie, die
Wiederspiegelung göttlicher Wahrheit bleibt bestehen!
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