7. Tag, Torfabæli - Þrístapafell

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Mittwoch, 6. August 1997


In der Nacht noch kräftige Schauer, aber auch ruhige Phasen. Der Wind weht zwar deutlich schwächer als gestern, aber immer noch ganz ordentlich. Um 5:30 Uhr Temperatur im Zelt 5°C; Luftdruck seit gestern Abend auf 1013 Mb gestiegen. Carpe Diem!

Aufbruch um 7:15 Uhr. Nach 200 m wieder mal die Feststellung, wie erfrischend so ein Bach sein kann. Leider ist der Bachgrund recht batzig und die Sandalen saugen sich fest. Ein herzhafter Ruck und die rechte Sandale schwimmt davon. Bevor der Bach sie mir entführen kann angel ich sie mir wieder. Die Fersenbänder habe ich aber noch am Fuß! Ich will mich nicht beklagen. 4 Touren haben sie durchgehalten, das ist mehr als man für 25 DM erwarten kann. Die Bänder, waren nur zwischen die Sohlen eingeklebt und nicht durchgehend. Am anderen Ufer mache ich mich erst einmal an die Reparaturarbeiten. Mit dem Taschenmesser stoße ich eine Verbindung durch, biege mir einen Aluhering als "Nadel" zurecht und fädle eine dünne Reepschnur doppelt durch - et voilá - schon repariert.

Flosaskarð
Inzwischen ist es 8 Uhr geworden. Nach dem Bach kommt erst mal eine üppige Sumpfwiese die sich den Hangfuß hinaufzieht. Das GoreTex in meinen Bergschuhen leistet keinen großen Widerstand mehr - sie werden beim Laufen schon wieder trocknen. Der Hang wird durch eine steile Runse zweigeteilt. Ich wähle die südliche Rampe Richtung Hafragil, zum Aufstieg und quere bald in einen steilen Geröllhang. Blick und Photos zurück nach Trofabæli und über den Skógarhlíðarhraun hinweg. Weit hinten, am westlichen Ausläufer des Strútur sind noch die roten Dächer von Kalmanstungur zu erkennen. Der Blick hinunter in die Schlucht Hafragil ist weniger anheimelnd. Mit Hilfe der Skistöcke aber unproblematisch. Dann einem steilen Seitental folgend hinauf auf die erste Verebnung (600 m) wie ich mir den Weg nach der Karte zurecht gelegt habe. Diese dann gequert und die zweite Steilstufe angegangen. Bisher war ich sogar von Sonne verwöhnt, aber über den Hafrafell zieht rasend schnell ein kräftiger Schauer herab. Und so wird es den ganzen Tag bleiben: eine Schauerstaffel jagt die nächste und dazwischen reißt die Sonne blendend helle Löcher. Kapuze auf, Kapuze runter - die Vorderseite des Anoraks bleibt oft genug trocken während hinten alles trieft. Der erste Schauer bringt nur Regen aber die nächsten bestehen zum größten Teil nur noch aus peitschenden Graupelkörnern.

Flosaskarð
Vom Rand der zweiten Verebnung (700 m) aus kann ich hinunter auf den See der Flosaskarð sehen. Nach der Karte sollte dieser See einen oberflächlichen Abfluß nach Westen durch die Flosagil haben, aber von meinem Standpunkt aus war zwischen See und der Schlucht nur eine deutliche Schwelle zu entdecken. Demnach würde der See keinen oberirdischen Abfluß besitzen. Dieser See ist so versteckt und abgelegen, daß er auf der Karte, trotz seiner Größe, mit keinem Namen versehen ist. Der See ist 3 km lang und in der Mitte maximal 1 km breit. Sein Nordufer bilden die steilen Geröllfelder unter der zerrissenen Plateauwand des Eiríksjökull. Eine Rippe mit einem Steilabbruch, der von Westen aus nicht sichtbar ist, versperrt den Weg am Nordufer. In den 50er Jahren soll es einmal gelungen sein das Vulkanmassiv mit einem Geländewagen zu umfahren. Damals fuhren sie am Nordufer entlang. In dem Jahrbuch des Ferðafélag Íslands wird erwähnt, daß man in den 70ern nur am Südufer, an den Hängen die vom nur etwa 300 m höher liegenden Eisrand des Langjökull herunterziehen, einen gangbaren Weg vorfand. Also kommt nur dieser Weg in Frage. Gleich zu Anfang gibt es einige steile, vom Schmelzwasser aufgeweichte Schuttfelder zu queren. Ich halte mich möglichst hoch am Hang über den Klippen des Seeufers. Nach dieser mühsamen und Trittsicherheit verlangenden Passage mache ich zwischen zwei Schauern Mittagspause auf einer Felsenkanzel über dem Wasser und genieße den Ausblick. Von Süden wälzen sich permanent zerfasernde Wolken vom Langjökull herunter und lösen sich meist auf. Aber genauso regelmäßig verdichtet sich diese Mauer, bricht herunter und jagt graupelbeladene Sturmböen über den See die sich dann an der Flanke des Eiríksjökulls zu einem blendend weißen Wolkenkranz stauen. Über dem See liegt meist Sonne mit tiefblauem Himmel und so komme ich mit jedem Schauer in den Genuß eines eindrucksvollen Regenbogens.

Flosavatn
Nach Überschreiten eines großen, flachen, trockenen Schwemmfächers, weicht der Hang vom See zurück. Am einfachsten ist es nun direkt auf dem festen schwarzen Sand direkt am Seeufer zu gehen. Ein Wohltat und Erholung nachdem ich seit dem Morgen nur über Geröll und Blockschutt gestopstelt bin. Ein größerer, in viele Arme verzweigter Gletscherbach des Langjökull zwingt mich jedoch wieder zwischen kantigem Blockwerk nach trockenen Übergängen zu suchen. Am Ostende geht der See in eine flache, sandige Schwemmebene über. Sie ist etwa hier etwa 1 km breit und erstreckt sich 4 km nach Osten bis zu einem zweiten, kleineren See. Die Karte zeigt sie die beiden auf gleicher Höhe liegenden Seen durch einem Netz von Wasserläufen verbunden. Tatsächlich aber gibt es diese Verbindung nicht. Die Ebene ist ein vom Osten vorstoßender, sehr flacher Schwemmfächer eines oder mehrere Gletscherbäche des Langjökulls, dessen im Ablagerungsbereich divergierende Teilströme jeweils zum nördlichen oder zum südlichen See abfließen.

Gegenüber dem Schwemmfächer liegt der Þorsteinnshnúkur (773m), ein markanter, dem Eiriksjökull vorgelagerter Sporn. Mein ursprünglicher Plan war auch den zweiten See an seiner Südseite zu umgehen um dort am Rand der Lavafeldes unweit des Wassers einen Platz für die Nacht zu suchen. Allerdings würde das die Überquerung etlicher Gletscherbäche und einen ziemlichen Umweg auf dem Weg zum nächsten Wasservorkommen am Þrístapafell bedeuten. Nach dem gestrigen Ruhetag fühle ich mich körperlich in Hochform und die Wetterbedingungen sind eigentlich gut. Wenn ich den Tag nutze, dann kann ich einen Teil der gestern verlorenen Zeit wieder hereinholen. Ich versuche also die Querung der Schwemmebene und halte auf den Þorsteinnshnúkur zu. Der Boden ist tonig, teilweise sandig und klebt wie der Teufel unter den Profilsohlen. Viele kleine Abflußrinnen, von denen die meisten jedoch trocken sind. Hin und wieder mache ich mit dem Skistock einen Vibrationstest und suche mir den Weg über die vermutlich trockensten Stellen. Besonders wohl fühle ich mich nicht. Trotz der Nähe zu Gletscher kommt das Schmelzwasser wohl erst am späten Nachmittag und Abend und kann dann den feinen Sand soweit durchfeuchten, daß er unter Druck und Vibration schlagartig flüssig werden kann. Möglichst zügig, ohne zu fest aufzutreten oder stehenzubleiben quere vorsichtig das Schwemmland.

Dann bleibe ich am Hangfuß des Eiríkskökull und setze meine "Halbumrundung" weiter fort. Der Untergrund hier ist fest, trocken und sicher. Der Wind schiebt mich mächtig von hinten an. Allerdings setzt damit auch knapp über dem Boden Sandfegen ein und bald knirscht es zwischen den Zähnen. Die in solchen Fällen bewährte Sturmhaube kommt wieder zu Ehren. Neben vereinzelten Moosen und Flechten kommen hier nur Steinnelken, denen es wohl nirgends zu karg wird, vor. Für isländische Verhältnisse bemerkenswert ist, daß auch nicht ein Vogel zu sehen war seit ich Torfabæli verlassen habe. Zeichen menschliche Anwesenheit waren an einer günstigen Stelle nur die 3-4 Abdrücke der Stiefel von zwei Wanderern, die vor längerer Zeit in Gegenrichtung gingen und die Überreste einer Radiosonde samt den Fetzen der Ballonhülle. Ein amerikanischer Wetterballon?

Langjökull
Die häufigen Schauer haben auch ihr Gutes, denn sie halten den Boden feucht und binden den Sand und die Tonpartikel im Schwemmland in meinem Rücken, anderenfalls gäbe es heute die schönsten Staubstürme. Aber sobald es auch nur ein wenig abtrocknet geht es wieder los. Langsam komme ich wieder in die ersten, hier sandüberdeckten, Ausläufer des Hallmundarhraun. Ich halte mich weiter am Hangfuß des Eiríksjökull um dem weichen Sand zu vermeiden. Hinter einem großen Felsblock als Windschutz, kurze Pause mit Tee und Müsliriegel. Zum Schutz gegen Regen und Sand hatte ich die Phototasche gut verpackt und geschlossen gehalten, aber nun wage ich ein paar Bilder zu machen. Vor dem dunklen Hintergrund eines Lavafeldes eine weite Sandfläche über die der Wind helle Staubfahnen treibt. Darüber die eisigen Blau- und Weißtöne des Langjökulls über den die nächsten Schnee- und Graupelschauer Eis und Wolken ineinander verschwimmen lassen. Geben die Wolken einmal die nur ganz leicht geschwungene Horizontlinie des Gletschers frei so taucht mitten im Eis, völlig unwirklich, die Felsenburg der Þrúsaborg auf und verschwindet wieder.

In einer mit Sand gefüllten Mulde zwischen zwei Lavarücken finde ich eine Gruppe von 4-5 Sandtrichtern. Die Trichter sind etwa 5 m weit und 2 m tief. Die Böschungen der Sandtrichter sind glatt, werden also durch Rutschungen steil gehalten. Diese seltsame Erscheinung kann meines Erachtens nach nur dadurch erklärt werden, daß sich am Grunde der Trichter die Löcher einer Höhlendecke befinden. Allerdings würde der stetig nach unten rieselnde Sand die darunter liegende Höhle wie eine Sanduhr auffüllen und der Vorgang würde sein Ende finden. Es sei denn, in der Höhle befindet sich fließendes Wasser welches den herabrieselnden Sand weiterbefördert und somit die Entstehung einer Halde verhindert. Da die Seen der Flosakarð keinen oberirdischen Abfluß haben und da im Hallmundarhraun auf einer Länge von etwa 30 km das ganze Schmelzwasser des Langjökulls darin versickert, scheint mir dies nicht abwegig. Für den Nachschub an Sand sorgt, wie ich es selbst gerade erlebe, der Wind. Da mir die Fangtechnik von Ameisenlöwen im groben Umrissen bekannt ist und das morphologische Bild mich auch an seine allegorische Entsprechung mahnt, verzichte ich auf eine nähere Untersuchung des Phänomens und mache einen Bogen um diese seltsame Mulde.

Jökulskrókur
Langsam erschließt sich auch der Blick auf den ersten der 3 Hängegletscher die mit eindrucksvollen Gletscherbrüchen über der Nordostseite des Eiríksjökull herunterziehen. Der Ögmundarjökull ist meine nächste Wegmarke. Von ihm aus sind es noch 3 km nach NNE zum Þrístapafell, einem einsamen, gerade mal um die 100 m hohen Berg, mitten in dieser so treffend als Jökullskrókur (Gletscherwinkel) benannten Ecke des Hallmundarhraun. Am Westhang des Þrístapafell fließt laut Karte ein Gletscherbach vom Þrístapajökull (eine Gletscherzunge des Langjökull) kommend in einen weiteren abflußlosen See am Nordwestrand des Þrístapafells. Nach einem kurzen Abstieg gehe ich über eine weite Sandfläche, aus der ab und zu die Lava herausspitzt, direkt auf den Þrístapafell zu. Daß es nur 3 km bis zu diesem Berg sein sollen kann ich kaum glauben. Immer wieder muß ich feststellen wie schwierig es ist im Hochland Entfernungen zu schätzen. Mit dem GPS überprüfe ich mein Vorankommen und lasse mich überzeugen. Langsam wird es auch Zeit, denn ich spüre meine Füße nach diesem anstrengenden Marsch auf dem ich nur zwei kurze Pausen gemacht habe.

Als ich den Berg erreiche sehe ich aber keinen Bach. Alles was ich finde ist ein flaches sandiges Bachbett mit frischen Abflußspuren und ein paar Pfützen. Der Bach versickert wohl um diese Tageszeit noch weiter in seinem Oberlauf. Den Spuren nach kann aber ziemlich breit werden. Als Zeltplatz findet sich nur eine Sandfläche im Schutz von ein paar Lavabrocken. Sicherheitshalber beschwere ich die Heringe noch mit Steinen. Aus einer der Pfützen vom letzten Schmelzwasserabfluß filtere ich mir noch einen Vorrat an "Mineralwasser".

Im Zelt ausgeruht und die Lage überdacht. Es war ein harter Tag für die Fußgelenke. Über 8 Stunden nur Geröll, Sand oder Lava und die ist am schlimmsten. Aufgrund des zu erwartenden schwierigen Geländes hatte ich für heute nur eine Strecke von 14 km vorgesehen. Tatsächlich habe ich aber 22 km geschafft und damit einen halben Tag wieder eingeholt. Wenn die Verhältnisse weiterhin so gut sind müßte es eigentlich möglich sein in 2 Tagen Hveravellir zu erreichen. Im Moment sind Regenpausen aber eher selten. Mir fällt auf wie sich hier Windböen erst durch ein Zischen ankündigen, bevor sie über das Zelt herfallen und es mit Sand bedecken.

Spät Abends noch kurzer Gang nach draußen. Der Schmelzabluß ist angekommen und der vorher trockene Bach führt jetzt trübes Gletscherwasser. Auf dem Eiríksjökull und ein Stück seine Flanken herunter ist in den letzten Stunden Neuschnee gefallen. Der dämmrige Himmel zeigt aber wieder ein paar hellblaue Flecken. Bin guter Dinge und gespannt, wie es wohl morgen sein wird.


Zurück zu Inhalt
nächster Tag