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In der Nacht noch kräftige Schauer, aber auch ruhige Phasen. Der Wind weht zwar deutlich schwächer
als gestern, aber immer noch ganz ordentlich. Um 5:30 Uhr Temperatur im Zelt 5°C; Luftdruck
seit gestern Abend auf 1013 Mb gestiegen. Carpe Diem!
Aufbruch um 7:15 Uhr. Nach 200 m wieder mal die Feststellung, wie erfrischend so ein Bach sein
kann. Leider ist der Bachgrund recht batzig und die Sandalen saugen sich fest. Ein herzhafter
Ruck und die rechte Sandale schwimmt davon. Bevor der Bach sie mir entführen kann angel ich sie
mir wieder. Die Fersenbänder habe ich aber noch am Fuß! Ich will mich nicht beklagen. 4 Touren
haben sie durchgehalten, das ist mehr als man für 25 DM erwarten kann. Die Bänder, waren nur
zwischen die Sohlen eingeklebt und nicht durchgehend. Am anderen Ufer mache ich mich erst einmal
an die Reparaturarbeiten. Mit dem Taschenmesser stoße ich eine Verbindung durch, biege mir
einen Aluhering als "Nadel" zurecht und fädle eine dünne Reepschnur doppelt durch - et voilá -
schon repariert.
Flosaskarð
Flosaskarð
Flosavatn
Gegenüber dem Schwemmfächer liegt der Þorsteinnshnúkur (773m), ein markanter, dem
Eiriksjökull vorgelagerter Sporn. Mein ursprünglicher Plan war auch den zweiten See an
seiner Südseite zu umgehen um dort am Rand der Lavafeldes unweit des Wassers einen Platz für
die Nacht zu suchen. Allerdings würde das die Überquerung etlicher Gletscherbäche und
einen ziemlichen Umweg auf dem Weg zum nächsten Wasservorkommen am Þrístapafell bedeuten. Nach
dem gestrigen Ruhetag fühle ich mich körperlich in Hochform und die Wetterbedingungen sind
eigentlich gut. Wenn ich den Tag nutze, dann kann ich einen Teil der gestern verlorenen Zeit
wieder hereinholen. Ich versuche also die Querung der Schwemmebene und halte auf den
Þorsteinnshnúkur zu. Der Boden ist tonig, teilweise sandig und klebt wie der Teufel unter
den Profilsohlen. Viele kleine Abflußrinnen, von denen die meisten jedoch trocken sind. Hin
und wieder mache ich mit dem Skistock einen Vibrationstest und suche mir den Weg über die
vermutlich trockensten Stellen. Besonders wohl fühle ich mich nicht. Trotz der Nähe zu
Gletscher kommt das Schmelzwasser wohl erst am späten Nachmittag und Abend und kann dann den
feinen Sand soweit durchfeuchten, daß er unter Druck und Vibration schlagartig flüssig werden
kann. Möglichst zügig, ohne zu fest aufzutreten oder stehenzubleiben quere vorsichtig
das Schwemmland.
Dann bleibe ich am Hangfuß des Eiríkskökull und setze meine "Halbumrundung" weiter fort.
Der Untergrund hier ist fest, trocken und sicher. Der Wind schiebt mich mächtig von hinten
an. Allerdings setzt damit auch knapp über dem Boden Sandfegen ein und bald knirscht es
zwischen den Zähnen. Die in solchen Fällen bewährte Sturmhaube kommt wieder zu Ehren.
Neben vereinzelten Moosen und Flechten kommen hier nur Steinnelken, denen es wohl nirgends zu
karg wird, vor. Für isländische Verhältnisse bemerkenswert ist, daß auch nicht ein Vogel zu
sehen war seit ich Torfabæli verlassen habe. Zeichen menschliche Anwesenheit waren an
einer günstigen Stelle nur die 3-4 Abdrücke der Stiefel von zwei Wanderern, die vor längerer
Zeit in Gegenrichtung gingen und die Überreste einer Radiosonde samt den Fetzen der Ballonhülle.
Ein amerikanischer Wetterballon?
Langjökull
In einer mit Sand gefüllten Mulde zwischen zwei Lavarücken finde ich eine Gruppe von 4-5
Sandtrichtern. Die Trichter sind etwa 5 m weit und 2 m tief. Die Böschungen der Sandtrichter
sind glatt, werden also durch Rutschungen steil gehalten. Diese seltsame Erscheinung kann
meines Erachtens nach nur dadurch erklärt werden, daß sich am Grunde der Trichter die Löcher
einer Höhlendecke befinden. Allerdings würde der stetig nach unten rieselnde Sand die
darunter liegende Höhle wie eine Sanduhr auffüllen und der Vorgang würde sein Ende finden. Es
sei denn, in der Höhle befindet sich fließendes Wasser welches den herabrieselnden
Sand weiterbefördert und somit die Entstehung einer Halde verhindert. Da die Seen der
Flosakarð keinen oberirdischen Abfluß haben und da im Hallmundarhraun auf einer Länge von
etwa 30 km das ganze Schmelzwasser des Langjökulls darin versickert, scheint mir dies nicht
abwegig. Für den Nachschub an Sand sorgt, wie ich es selbst gerade erlebe, der Wind. Da mir
die Fangtechnik von Ameisenlöwen im groben Umrissen bekannt ist und das morphologische Bild
mich auch an seine allegorische Entsprechung mahnt, verzichte ich auf eine nähere Untersuchung
des Phänomens und mache einen Bogen um diese seltsame Mulde.
Jökulskrókur
Als ich den Berg erreiche sehe ich aber keinen Bach. Alles was ich finde ist ein flaches
sandiges Bachbett mit frischen Abflußspuren und ein paar Pfützen. Der Bach versickert wohl
um diese Tageszeit noch weiter in seinem Oberlauf. Den Spuren nach kann aber ziemlich breit
werden. Als Zeltplatz findet sich nur eine Sandfläche im Schutz von ein paar Lavabrocken.
Sicherheitshalber beschwere ich die Heringe noch mit Steinen. Aus einer der Pfützen vom
letzten Schmelzwasserabfluß filtere ich mir noch einen Vorrat an "Mineralwasser".
Im Zelt ausgeruht und die Lage überdacht. Es war ein harter Tag für die Fußgelenke. Über 8
Stunden nur Geröll, Sand oder Lava und die ist am schlimmsten. Aufgrund des zu erwartenden
schwierigen Geländes hatte ich für heute nur eine Strecke von 14 km vorgesehen. Tatsächlich
habe ich aber 22 km geschafft und damit einen halben Tag wieder eingeholt. Wenn die
Verhältnisse weiterhin so gut sind müßte es eigentlich möglich sein in 2 Tagen Hveravellir
zu erreichen. Im Moment sind Regenpausen aber eher selten. Mir fällt auf wie sich hier
Windböen erst durch ein Zischen ankündigen, bevor sie über das Zelt herfallen und es mit
Sand bedecken.
Spät Abends noch kurzer Gang nach draußen. Der Schmelzabluß ist angekommen und der vorher
trockene Bach führt jetzt trübes Gletscherwasser. Auf dem Eiríksjökull und ein Stück seine
Flanken herunter ist in den letzten Stunden Neuschnee gefallen. Der dämmrige Himmel zeigt
aber wieder ein paar hellblaue Flecken. Bin guter Dinge und gespannt, wie es wohl morgen sein
wird.
Inzwischen ist es 8 Uhr geworden. Nach dem Bach kommt erst mal eine üppige Sumpfwiese die sich
den Hangfuß hinaufzieht. Das GoreTex in meinen Bergschuhen leistet keinen großen Widerstand mehr
- sie werden beim Laufen schon wieder trocknen. Der Hang wird durch eine steile Runse
zweigeteilt. Ich wähle die südliche Rampe Richtung Hafragil, zum Aufstieg und quere bald in
einen steilen Geröllhang. Blick und Photos zurück nach Trofabæli und über den Skógarhlíðarhraun
hinweg. Weit hinten, am westlichen Ausläufer des Strútur sind noch die roten Dächer
von Kalmanstungur zu erkennen. Der Blick hinunter in die Schlucht Hafragil ist weniger
anheimelnd. Mit Hilfe der Skistöcke aber unproblematisch. Dann einem steilen Seitental
folgend hinauf auf die erste Verebnung (600 m) wie ich mir den Weg nach der Karte zurecht
gelegt habe. Diese dann gequert und die zweite Steilstufe angegangen. Bisher war ich sogar
von Sonne verwöhnt, aber über den Hafrafell zieht rasend schnell ein kräftiger Schauer herab.
Und so wird es den ganzen Tag bleiben: eine Schauerstaffel jagt die nächste und dazwischen reißt
die Sonne blendend helle Löcher. Kapuze auf, Kapuze runter - die Vorderseite des Anoraks bleibt
oft genug trocken während hinten alles trieft. Der erste Schauer bringt nur Regen aber die
nächsten bestehen zum größten Teil nur noch aus peitschenden Graupelkörnern.
Vom Rand der zweiten Verebnung (700 m) aus kann ich hinunter auf den See der Flosaskarð sehen.
Nach der Karte sollte dieser See einen oberflächlichen Abfluß nach Westen durch die Flosagil
haben, aber von meinem Standpunkt aus war zwischen See und der Schlucht nur eine deutliche
Schwelle zu entdecken. Demnach würde der See keinen oberirdischen Abfluß besitzen. Dieser See
ist so versteckt und abgelegen, daß er auf der Karte, trotz seiner Größe, mit keinem Namen
versehen ist. Der See ist 3 km lang und in der Mitte maximal 1 km breit. Sein Nordufer bilden
die steilen Geröllfelder unter der zerrissenen Plateauwand des Eiríksjökull. Eine Rippe mit
einem Steilabbruch, der von Westen aus nicht sichtbar ist, versperrt den Weg am Nordufer. In
den 50er Jahren soll es einmal gelungen sein das Vulkanmassiv mit einem Geländewagen zu
umfahren. Damals fuhren sie am Nordufer entlang. In dem Jahrbuch des Ferðafélag Íslands wird
erwähnt, daß man in den 70ern nur am Südufer, an den Hängen die vom nur etwa 300 m höher
liegenden Eisrand des Langjökull herunterziehen, einen gangbaren Weg vorfand. Also kommt nur
dieser Weg in Frage. Gleich zu Anfang gibt es einige steile, vom Schmelzwasser aufgeweichte
Schuttfelder zu queren. Ich halte mich möglichst hoch am Hang über den Klippen des Seeufers.
Nach dieser mühsamen und Trittsicherheit verlangenden Passage mache ich zwischen zwei Schauern Mittagspause auf einer Felsenkanzel über dem Wasser und genieße den Ausblick. Von Süden wälzen
sich permanent zerfasernde Wolken vom Langjökull herunter und lösen sich meist auf. Aber
genauso regelmäßig verdichtet sich diese Mauer, bricht herunter und jagt graupelbeladene
Sturmböen über den See die sich dann an der Flanke des Eiríksjökulls zu einem blendend
weißen Wolkenkranz stauen. Über dem See liegt meist Sonne mit tiefblauem Himmel und so komme
ich mit jedem Schauer in den Genuß eines eindrucksvollen Regenbogens.
Nach Überschreiten eines großen, flachen, trockenen Schwemmfächers, weicht der Hang vom See
zurück. Am einfachsten ist es nun direkt auf dem festen schwarzen Sand direkt am Seeufer zu
gehen. Ein Wohltat und Erholung nachdem ich seit dem Morgen nur über Geröll und Blockschutt
gestopstelt bin. Ein größerer, in viele Arme verzweigter Gletscherbach des Langjökull zwingt
mich jedoch wieder zwischen kantigem Blockwerk nach trockenen Übergängen zu suchen. Am Ostende
geht der See in eine flache, sandige Schwemmebene über. Sie ist etwa hier etwa 1 km breit
und erstreckt sich 4 km nach Osten bis zu einem zweiten, kleineren See. Die Karte zeigt sie
die beiden auf gleicher Höhe liegenden Seen durch einem Netz von Wasserläufen verbunden.
Tatsächlich aber gibt es diese Verbindung nicht. Die Ebene ist ein vom Osten vorstoßender,
sehr flacher Schwemmfächer eines oder mehrere Gletscherbäche des Langjökulls, dessen
im Ablagerungsbereich divergierende Teilströme jeweils zum nördlichen oder zum südlichen
See abfließen.
Die häufigen Schauer haben auch ihr Gutes, denn sie halten den Boden feucht und binden den Sand
und die Tonpartikel im Schwemmland in meinem Rücken, anderenfalls gäbe es heute die
schönsten Staubstürme. Aber sobald es auch nur ein wenig abtrocknet geht es wieder los.
Langsam komme ich wieder in die ersten, hier sandüberdeckten, Ausläufer des Hallmundarhraun.
Ich halte mich weiter am Hangfuß des Eiríksjökull um dem weichen Sand zu vermeiden. Hinter
einem großen Felsblock als Windschutz, kurze Pause mit Tee und Müsliriegel. Zum Schutz gegen
Regen und Sand hatte ich die Phototasche gut verpackt und geschlossen gehalten, aber nun wage
ich ein paar Bilder zu machen. Vor dem dunklen Hintergrund eines Lavafeldes eine weite
Sandfläche über die der Wind helle Staubfahnen treibt. Darüber die eisigen Blau- und Weißtöne
des Langjökulls über den die nächsten Schnee- und Graupelschauer Eis und Wolken ineinander
verschwimmen lassen. Geben die Wolken einmal die nur ganz leicht geschwungene Horizontlinie
des Gletschers frei so taucht mitten im Eis, völlig unwirklich, die Felsenburg der Þrúsaborg
auf und verschwindet wieder.
Langsam erschließt sich auch der Blick auf den ersten der 3 Hängegletscher die mit
eindrucksvollen Gletscherbrüchen über der Nordostseite des Eiríksjökull herunterziehen.
Der Ögmundarjökull ist meine nächste Wegmarke. Von ihm aus sind es noch 3 km nach NNE
zum Þrístapafell, einem einsamen, gerade mal um die 100 m hohen Berg, mitten in dieser so
treffend als Jökullskrókur (Gletscherwinkel) benannten Ecke des Hallmundarhraun. Am Westhang
des Þrístapafell fließt laut Karte ein Gletscherbach vom Þrístapajökull (eine Gletscherzunge
des Langjökull) kommend in einen weiteren abflußlosen See am Nordwestrand des Þrístapafells.
Nach einem kurzen Abstieg gehe ich über eine weite Sandfläche, aus der ab und zu die
Lava herausspitzt, direkt auf den Þrístapafell zu. Daß es nur 3 km bis zu diesem Berg sein
sollen kann ich kaum glauben. Immer wieder muß ich feststellen wie schwierig es ist im
Hochland Entfernungen zu schätzen. Mit dem GPS überprüfe ich mein Vorankommen und lasse
mich überzeugen. Langsam wird es auch Zeit, denn ich spüre meine Füße nach diesem
anstrengenden Marsch auf dem ich nur zwei kurze Pausen gemacht habe.
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