18. Tag, Vopnalág - Húsafell

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Dieter Graser © 2006

Donnerstag, 21. Juli 2005


Windstille, grauer Hochnebel. Die Fliegen sind auch beim Zeltabbau lästig. Endlich über die Piste zu den berühmten Lavahöhlen - den Súrtshellir. Ich stelle meinen Rucksack am Hinweisschild ab und gehe über rötlichschwarze, flache und hin und wieder von Rissen durchzogene Lavaflächen zu den Höhlen - den angeblich größten der Welt. Von der Ferne kann man nichts entdecken. Plötzlich steht man vor einem breiten, etwa 5 m tiefem Loch - die eingestürzte Höhlendecke.

Súrtshellir
Es sind wirklich eindrucksvolle Gewölbe. Der Höhlenboden ist schwer verblockt und man kann sich nur mit einiger Vorsicht im Zwielicht bewegen. Irgendwie erschließt sich mir aber der Reiz dieser Höhlen nicht besonders. Mir geht es häufiger so, wenn an eine der in den Reiseführern hochgelobten Sehenswürdigkeiten komme, bin ich eher entäuscht. Vielleicht liegt es heute auch am Wetter? Nebelnieseln von Südwesten. Also schultere ich meinem Rucksack und mache mich wieder auf den Weg.

Hraunkarl
Die Sockel des Eríksjökulls und der umliegenden Berge verschwinden in nassen Schwaden. Die mit grauem Moos bewachsenen Lavakuppeln passen zum Himmel. Lavafelder sind an sich schon keine heiteren Landschaften. Bei diesem Wetter muß man Optimismus und Fröhlichkeit schon selber mitbringen. Etwas resigniert stapfe ich vor mich hin und bin eben dabei den Tag abzuschreiben, als aus unersichtlichen Gründen das Geniesel aufhört, die Sicht sich bessert und der Nebel steigt und Lücken zeigt. Um 11:00 Uhr herrscht dann schon wieder schönstes Islandwetter. Zwischen den Bergen Strútur und Kleppur zwängt sich der Lavastrom eine Höhenstufe hinunter. An einer neben der Piste aufragenden Lavaformation weist ein Schild auf einen "Hraunkarl" hin. Wie bitte? Ein "Lavamann"? Der ganze Felskomplex hat eigentlich keine Ähnlichkeit mirt einem Lavamann, aber beim zweiten Hinsehen entdeckt man an seiner Südseite das herausspringende, grobe Gesicht eines Trolls. Es ist nicht einmal besonders groß, so 30 - 40 cm hoch und ich glaube, ich habe es schon einmal irgendwo abgebildet gesehen.

Kalsmanstunga
Ein Blick auf die Karte bestätigt mir, daß ich auf dem Weg zu dem ersten Hof Kalsmanstunga über den kleinen Paß Skeljaháls das Tal wechseln muß. Es sind steile 100 Höhenmeter, aber dann hat man einen schönen Blick auf den Geitlandsjökull und die weiten Kuppen des südlichen Langjökulls. Die Jaki-Hütte und das Hundecamp lassen sich aus dieser Entfernung nicht erkennen. Die Schneegrenze scheint mir deutlich angestiegen zu sein und auch oberhalb dieser zeichnen sich große Flächen grauen Eises ab. Blicke ein wenig wehmütig dort hinüber und finde es nicht ganz einfach mir klar zu machen, was mir dort, vor erst zwei Wochen, widerfahren ist. Es scheint mir schon viel länger her, aber andererseits ist mir alles noch sehr, sehr gegenwärtig. Die Aufarbeitung dieser Erlebnisse wird wohl noch einige Zeit beanspruchen.

Am Hof Kalmanstunga ist die Heuernte in vollem Gange. Der vertraute Duft von frisch gemähtem Heu bedeutet für mich immer Allgäu. Hier kreuze ich auch wieder meinen Weg von 1998, der mich um die Ostseite des Eríksjökull führte. Kurz hinter dem Hof kommt mir ein großer Geländewagen entgegen. Im Vorbeifahren kann ich die Aufschrift "Landsbjörg" entziffern. Da hält der Wagen auch schon an, setzt zurück und der Fahrer lehnt sich aus dem Fenster und meint: "Hi, how are you? Is your back better?". Die Leute von Landsbjörg sind auch für den Sicherheitszustand von Straßen und Pisten zuständig und sie kontrollieren sie im Rahmen der Unfallvorsorge auf mögliche Gefahrenstellen.

Hvítá
An der Brücke über die Hvítá noch ein paar Bilder von Eiríksjökull, dann auf einer kurvigen Teerstraße durch einen dichten Birkenwald die letzten Kilometer nach Húsafell. Tatsächlich ein Straße durch einen Wald! Für Isländer muß das etwas ganz exotisches und ungewohntes sein. Also halte ich mich ganz am Straßenrand und horche auf sich nähernde Motorgeräusche um mich gegebenenfalls in Sicherheit bringen zu können. Húsafell selbst besteht aus einem Hof, einer Kirche einer Tankstelle einer großen Sommerhaussiedlung, einem Schwimmbad und einem riesigen Campingplatz. Ach ja und da wären da noch ein Flug- und ein Golfplatz gehören in Island noch dazu - und eben viele Bäume. Hier macht Island Urlaub. Ausländische Touristen sind hier kaum anzutreffen.

An der Tankstelle kaufe ich mir erst einmal ein Leichtbier und laß es zischend die Kehle hinunterlaufen. Hier ist Islandsommer angesagt. Die Krakar stehen Schlange für Softeis, die Muttis in Shortsund Bikinioberteil überwachen sie und Papa kühlt seinen Sonnenbrand mit einer Bierdose. Baue mein Zelt anschließend auf der ersten freien von Birkengebüch umstellten Wiese auf. Dann geht es auf direktem Weg ins Freibad. Nach diesem Pflichtprogramm erkundige ich mich an der Tankstelle nach dem Busfahrplan. Bus? Fehlanzeige - Bus gibt es hier keinen! Einen Bus gibt es nur ab Reykholt und der fährt immerhin zweimal die Woche. Morgen, Freitag 17:00 Uhr. Und wie weit ist es nach Reykholt? So 20 Minuten - mit dem Auto - aber die Straße sei schlecht. Öffentliches Telephon gibt es hier auch keines. Ok - wir werden sehen.

Ich mache mir ein Abendessen. Würge es appetitlos hinunter, da ich mit einer üblen Migräne kämpfe. Diese steigert sich bis zur Übelkeit. Dunkelheit und Ruhe sind jetzt jetzt angesagt. Beides gibt es auf einem Campingplatz in Island nicht. Auf meiner Zeltwiese jagt ein Junge sein Fernsteuerfjallabil in einem Wahnsinnstempo um mein Zelt herum. Das Geräusch gleicht in meinen Ohren einer Kreissäge. Ich liege wehrlos im Zelt und leide. Isländer sind keine Bäume gewohnt und so kommt, was kommen muß: irgendwann setzt er das Bil gegen einen Birkenstamm. Schlagartig kehrt Ruhe einund ich kann einschlafen.

Um 22:00 Uhr wache ich wieder auf und tatsächlich sind die Kopfschmerzen weg. Bin nur ein wenig bennommen. Direkt neben meinem Zelt stellt eine isländische Familie ihren Klappwohnwagen auf. Oh jeh? Da brauche ich jetzt erst einmal mich an weiterschlafen denken. Also krieche ich aus dem Zelt gehe meine Wandersocken waschen und mache noch einen Abendspaziergang über den weitläufigen Campingplatz. Meine neuen Nachbarn sind aber sehr zivilisiert und leise. Um 24:00 Uhr bin ich wieder im Schlafsack und gerade am wegdämmern, als noch einmal neue Nachbarn eintreffen. Wagentüren werden zugeschmissen, Zeltheringe in den Boden gehämmert. und zwei Karakar kicken lautstark Fußbälle über die Zeltwiese und oft genug gegen mein Zelt. So um 1:00 Uhr platzt mir dann der Schlafsackkragen und ich reklamiere mein Recht auf Ruhe. Schwupps, werden die Bälle eingezogen und ganz überraschend kehrt Ruhe ein. Ich weiß, entweder ist das eine Charakterschwäche von mir, oder das Hochland hat den Effekt, daß man unnötigen Lärm einfach nicht toleriert. Irgendwie ist das ein sich regelmäßig wiederholendes Trauma für mich.


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