5. Tag, Grænalón - Núpsstaðarskógar

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Dieter Graser © 2014

Dienstag, 20. Juli 2010


Bach
Die Sonne weckt weckt mich - es ist warm geworden im Zelt. Das Wetter wird mir langsam unheimlich - es ist einfach zu gut! Um 9:00 Uhr verlasse ich meinen Zeltplatz im Talgrund und suche meinen Weiterweg am westlichen Talhang, da die Schlucht selbst nicht gangbar ist. Die GPS Punkte sind hifreich, aber es ist wichtiger einen guten Blick für das Gelände zu haben. Schließlich stehe ich hoch über dem Beinadalur mit dem Zusammenfluss von meinem Schluchtbach und der Bergvatnsá, die ab hier Núpsá heißt. Von meinem Standpunkt aus kann ich sogar einen Pfad entdecken, der einen kurzen Talhang auf der anderen Seite der Schlucht hinaufführt. Beim Abstieg zum Zusammenfluss muss ich noch einmal eine steile Rinne umgehen und nach einem weiteren steilen, grasigen Hang stehe ich an der Mündung des Talbaches. Tatsächlich führt er vielleicht nur ein, zwei Liter pro Sekunde glasklaren Wassers. Es braucht schon etwas den Blick für die Natur, um den Gegensatz zu der tiefen Schlucht, in der dieser Bach nun fließt zu erkennen. Erst wenn man sich vergegenwärtigt, dass noch vor etwa einhundert Jahren hier der Abfluss des Graenalóns hindurchrauschte, erklärt sich dieses Tal.


Beinadalur

Über ein paar Steine balanciere ich über meinen freundlichen Bach hinweg und nehme dankbar den Pfad an, der mich aus der Schlucht hinaus auf die Ebene Sléttur über dem linken Ufer der Núpsá führt. Die Sonne brennt, es ist heiß und es weht kaum ein kühlendes Lüftchen. Der Weg verliert sich in Gras und Heide, aber immer mal wieder finde ich sechs Fußspuren einer "Vorgängergruppe". Zwischendurch taucht, wie aus dem Nichts, auch wieder die Pfadspur auf. In dem scheinbar einfachen und flachem Gelände der Slétta trotte ich in Gedanken vor mich hin und verpasse ganz dass der Pfad und die Spuren scharf zum linken Talhang hinauf abbiegen. Während die Núpsá weiter oben fast eben im breiten Talboden verläuft hat sie sich nun eine steilwandige Schlucht gegraben und die kleineren Zuflüsse auf meiner Talseite haben sich dem Erosionniveau angepasst und verlaufen nun ebenfallls in steil eingegrabenen, und somit nicht querbaren, Rinnen und Schluchten.

Arktisches Weidenröschen
Ich muss also erst ein paar Höhenmeter machen, bevor ich den Bach, der sich mir in den Weg stellt queren kann. Gut, dass ich auch Wegpunkte und die Mapsource-Karte auf dem GPS habe und verdichte und korrigiere die Wegpunkte wo nötig. Die Mittagspause mache ich in einer kleinen Schlucht mit klarem Wasser und einigen schönen Expemplaren des Arktischen Weidenröschens. Während ich nun weiter bergauf gegangen bin hat sich die Núpsá derweielen noch tiefer in ihre Schlucht eingegraben und ich nähere mich der ersten heiklen Stelle dieser Tagesetappe. Aus Beschreibungen und GPS-Wegpunkten weiß ich, dass mir bald der Abstieg in den sogenannten "Kessel" bevorsteht.

der "Kessel"
Am Wegpunkt "Kessel oben" angekommen überprüfe ich etwas ungläubig die Position. Das GPS meint: stimmt schon, genau hier ist's! Als hätte ein Riese mit einer Axt in den Berg geschlagen, pfeift hier eine steile Geröllrinne zwischen senkrechten Felswänden in gerader Linie etwa 150 Höhenmeter zur schäumenden Núpsá hinunter. Nichts für Unentschlossene, Höhenängstige oder nicht Trittsichere. Tatsächlich entdecke ich auch Spuren von Vorgängern, die diesen Ein- oder Austieg aus der Rinne benutzten. Ohne GPS-Hilfe hätte ich, von oben kommend kaum die richtige Bresche in der Schluchtwand gefunden die als einziger Weg hinunter zum Fluss führt. Da ich alleine unterwegs bin, muss ich mir wenigsten keine Gedanken darüber machen, dass jemand über mir einen Stein auslösen könnte. Steinschlag als Folge natürlicher Erosion, sollte man, solange man sich in diesem Kanonenrohr aufhält, einfach aus seinen Gedanken verbannen.


Núpsárgljúfur

Also los! Das Geröll ist am Rande der Rinne etwas feiner und die Hacken tief eingegraben kann man mit etwas Vorsicht fast "abfahren". Was bergab von Vorteil ist, ist bergauf sicher eine böse Schinderei. Für Botaniker: entlang meiner Rundtour habe ich nur vereinzelt Exemplare der seltenen Rosenwurz gesehen. Hier in der Rinne gedeiht sie prächtig. Schließlich habe ich den Abstieg geschafft und ebenso den etwas heiklen, seitlichen Ausstieg aus der Rinne gefunden. Das Unangenehme ist, dass die Rinne nach unten hin sogar noch steiler wird und man zum Schluss, oberhalb einer senkrechten Felsstufe über der Núpsá, sich ein paar windige Tritte für die Bergschuhkante in den feinen Grus scharren muss, um sich auf sichereres Terrain zu schwindeln.

Durst
Von unten her kommend führt ein schmaler, gut erkennbarer Pfad, zum Einstieg in die Rinne. Sobald ich aus dem Schatten der Felswände bin, mache ich eine verdiente Pause und gönne mir einen guten Schluck Wasser für die etwas angetrocknete Kehle. Was für ein Glück, dieses Panorama bei einem solchen Prachtwetter genießen zu dürfen! Nur nur gut hundert Meter weiter weitet sich die Schlucht der Núpsá an der Mündung der Skessutorfugljúfur von Osten und einer namenlosen Schlucht von Westen zur sogenannten Skessutorfur. Trotz des düsteren Hexennamens ein recht lieblicher Ort mit Birkengebüsch und überraschend dichter Vegetation.

Núpsá
Der nun meist gut sichtbare Pfad führt nun die nächsten drei Kilometer oberhalb der Núpsá entlang und bietet schöne Blicke auf den Fluss. Während man in etwa auf gleicher Höhe bleibt, tieft sich die Núpsá erneut in eine Schlucht ein und schließlich führt der Pfad einen durch dichtes Birkengebüsch auf eine nur wenige Quadratmeter große Felskanzel, die auf drei Seiten senkrecht zur Schlucht hin abfällt. Dieser winzige Platz bietet einen atemberaumenden Tiefblick in einem Felsenkessel und auf den Zusammenfluss der beiden Wasserfälle Núspárfoss und Hvítárfoss.


Núpsárfoss

Núpsá
Ich verlasse die kleine, ausgestezte Kanzel und zwänge mich zwischen den Birken hindurch. Der Blick geht nun nach Süden hinaus auf das breite, kastenförmige Tal der Núpsá die kurz nach dem Wasserfall die Schlucht Núpsárgljúfur verlässt und in weiten Schleifen in ihrem Schotterbett pendelt bis sie die Ebene des Skeiðarársandur erreicht. Dieser Blick von oben auf die Núpsá erinnert mich daran, dass ich da auch hinunter muss. Und tatsächlich, nur wenig weiter erreiche ich dann die zweite Schlüsselstelle der heutigen Etappe: das Kliff mit der Kette. Um es gleich zu sagen: es macht einen erheblichen Unterschied, ob man diese Stelle im Auf- oder Abstieg begeht. Und ich stehe am Rand der Klippe und muss runter! Was ich sehe: ein schwere Eisenkette, die erst ein eine steile Verschneidung führt und dann über eine Felskante im Nichts verschwindet!

die "Kette" oben
Von unterhalb des "Nichts" leuchten grüne Baumktonen herauf. Richtig: Baumkronen- kein Gebüsch. Das also ist der Núpsstaðarskógur, der "Wald von Núpsstaðir"! Und da ist die Kette - einen anderen Weg gibt es nicht. Also setze ich erst mal den Rucksack ab und klettere langsam in die Verschneidung um mir die Sache genauer anzusehen. Ist lange her, dass ich das letzte mal so richtig Fels in der Hand hatte. In der Verschneidung ist ein guter Standplatz. Ein altes, reichlich verwittertes Bergseil ist dort mit einem Karabiner in die Kette eingeklinkt. Zuerst erkunde ich mich mit beiden Händen an der Kette hängend, wie das "Nichts" hinter und unter der Kante aussieht. Na ja, ist ja gar nicht sooooo tief, dafür aber senkrecht - wenigstens fast - zumindest sieht es von oben senkecht aus. Könnte also gehen. Aber mit dem großen Rucksack? Dafür scheint das Bergseil da zu sein. Ein Menschneleben würde ich dem nicht mehr anvertrauen.

die "Kette" unten
Also wieder hinauf zum Standplatz in der Verschneidung, das Seilende zum Rucksack hinaufgeworfen und den dann gut eingebunden. Danch auf den Hosenboden gesetzt, die Füße eingestemmt und den Rucksack langsam abgelassen. Er kommt genau die drei Meter bis zum Stand und verkeilt sich dann in der Verschneidung. Schnell sichere ich den Rucksack mit einer Schlinge die nur mit etwas Mühe in den tieferliegenden Karabiner einhänge. Schnell zum Stand hinunter geklettert. Von hier aus lasse ich dann den Rucksack über die Kante hinab, wobei ich das Seil über den Karabiner laufen lasse, so habe ich den Zug nach oben umgeleitet. Mein guter Gregory tut mir leid und erst recht das außen am Rucksack verstaute Hillebergzelt. Bin überrascht, dass so schnell kein Zug mehr auf dem Seil ist. Kurz nachgeschaut, ja - der Rucksack ist unten. Nun die Phototasche über die Schulter gehängt und an der Kette hinterher. Die Kette fasst sich hervorragend und die kleinen Tritte in der Wand nutzend geht es viel einfacher, als gedacht in das "Nichts" hinunter. Als ich bei meinem Rucksack angekommen bin und mir das kleine "Wandl" betrachte, frage ich mich: "Und? Wo war jetzt das Problem?" tatsächlich habe ich für die ganze Aktion ein knappe Stunde gebraucht.

Núpsstaðarskógar

Am Fuße der Felswand mit der Kette schlage ich mich, einer undeutlichen Pfadspur folgend, durch dichtes Birkengehölz zu der Schottereben im Talgrund durch. Es ist 17:00 Uhr und mir reitcht's für heute. Ich brauche einen Platz für das Zelt und Wasser zum Trinken und Baden. Beides finde ich in unmittelbarer Nähe am Ausgang einer kleinen Seitenschlucht. Der Gumpen zwischen den Felswänden ist tief genug, dass ich ganz untertauchen kann. Ich liebe diese klaren Bäche am Ende eines Sommertages! Ich liege noch nackt im sonnendurchwärmten Zelt und döse. Nach dem Abendessen fallen, aus welcher der kleinen Wolken auch immer - ein paar Regentropfen. Bei einer Tasse Kakao an den Aufzeichnungen. Ein lautes Krachen in der Schlucht hinter mir, erinnert mich daran, dass Steinschlag immer eine sehr reale Gefahr sein kann. Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass ich nur noch 12 km bis zur Ringstraße habe. Da liegt aber noch einiges an Wasser dazwischen. Ist also morgen der Tag der Furten?
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