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Um 5:40 Uhr aufgewacht. In der Nacht kein Regen mehr, dafür aber ein heftiger Wind. Jetzt ist es ruhiger. Am Himmel
4/8 Cum.- im Osten über der Trölladyngja, im Lee das Vatnajökull, ist es am schönsten. Also haben
wir immer noch eine Südlage. Während des Frühstücks lebt der Wind wieder auf. Beim Packen
bemerke ich, daß im Süden, etwa bei Nýidalur, eine tiefe, aufliegende Wolkenbank steht. Als ich den
Rucksack schultere und zum Afbruch fertig bin hat die Wolkenbank schon den ganzen Túngnafell verschluckt.
Bei dem herrschenden Südwind kann ich mir abfingerln, wann sie mich eingeholt haben wird. Allerdings gehe ich
nach Norden und habe noch das schönste Wetter vor den Augen! Der Abstand der Warten beträgt 200 - 300 m. Sie waren wohl nie besonders hoch, eben bessere Steinhaufen, aber
fast alle machen den Eindruck als wären sie eingestürzt. Ein letzter Blick zum See zurück. Die
Wolkenwand vereinnahmt gerade die Fjóðungsalda und die ersten Fetzen treiben dicht über den See.
Ich bin noch in der Sonne. Vor dieser eigenartig niederen Wolkenfront zeigt sich im Westen ein Regenbogen. Im Stein-
und Kiespflaster des Untergrundes sinken die Fersen ein wenig ein, aber nicht soweit, daß es behindern würde,
im Gegenteil es dämpft jeden Schritt und so komme ich gut voran. Mit dem GPS kontrolliere ich meine Abweichung
vom Kurs - alles im Lot. Das System der Warten funktioniert nur wenn sie in einer Reihe stehen - aus der Verbindung von
zwei Warten muß sich die Richtung zur nächsten Warte ergeben. Manchmal kann ich drei Warten im voraus
sehen, dann wieder keine einzige und ich erkenne sie erst, wenn ich direkt vor der Ruine stehe. Die Wolkenwand
verhält sich weiter sehr eigenartig - sie ist am Fjórðungsvatn hängengeblieben, obwohl der
Südwind sogar noch zugenommen hat und ich nun trotz Sonne den Anorak als Windschutz brauche. Der Blick nach Osten ist einmalig. Der Riesenschild der Trölladyngja, weiter nördlich dann die
Dyngjufjöll, die Umrahmung der Askja, dahinter die Pyramide des Úpptyppingar. Nach Süden zu
die Kverkfjöll, der Kistufell und der Vatnajökull mit seinem höchsten Punkt, der flachen Eiskuppe der
Bárðarbunga. In dessen Vorland das Gebiet der Gæsavötn. Über dem Gletscher steht die
Föhnmauer. Überraschenderweise komme ich an einer kleinen Hütte mit einer automatischen
Wetterstation vorbei (Sandbúðir). Die auf meinem Weg in der Karte verzeichneten Bäche führen
zuverlässig Wasser und ich brauche mir deswegen keine Sorgen zu machen. Der Klyfberadrag ist ein besonders
hübscher Bach. Hier eine aufallend große Warte - Graugänse. Am Botnadrag muß ich sogar die
Stiefel ausziehen um hinüberzukommen. Mittagspause mit Harðfiskur, Tee und Müsliriegel. Meine
Wolkenwand hat sich inzwischen über die kaum merkliche Wasserscheide nach Norden hin vorgearbeitet, aber
sie liegt nicht mehr am Boden auf und ist löcherig geworden. Sie ist wohl auch nur auf eine Art Föhnmauereffekt
zurückzuführen. Apropos Südwind: alle größeren Steine und Brocken, die aus den Kiespflaster herausragen sind zu
Windkantern überformt. Ihre Luvseite ist Süden. Das "Sandstrahlgebläse" der Südstürme
präpariert dabei die Struktur des Gesteins so heraus, daß man meinen könnte sie seien weich wie Holz.
Südlich von Nýidalur oder bei Versalir war diese Erscheinung längst nicht so ausgeprägt. Immer
wieder Strukturböden und Steinpolygone. Auffallend: Warten, die auf großen Steinen als Basis aufgeschichtet
sind nicht eingestürzt, die hingegen, die direkt auf dem Boden gebaut wurden sind trotz breiter Basis (1,5 - 2 m)
eingefallen und nur noch maximal 2-3 Lagen hoch. Das spricht gegen die Erdbebentheorie und eher für Permafrost
der den Boden zu stark arbeiten läßt. Um 13:00 Uhr komme ich zu den Seen des Hældrag. Im Höhenzug westlich des Weges die auffallende
Scharte Vegaskarð. Eigentlich hatte ich vor heute nur bis hier zu gehen. Aufgrund des weglosen Geländes
habe ich die Länge der Tagesetappe etwas niedriger angesetzt. Keine Frage, jetzt ziehe ich noch die 8 Kilometer
bis zur Kiðagil durch! Ab dem Hældrag beweisen die Spuren von etwa einem Dutzend Pferden, daß der
alte Sprengidansvegur noch nicht ganz vergessen ist. Finde eine Warte in der ein eine blau emaillierte Kaffekanne mit
eingebaut ist. Die lange Strecke fordert am Nachmittag ihren Tribut und ich lege eine längere Pause ein. Das
Wetter hält ja. Zwar ist es meist bedeckt, aber immer wieder kommt die Sonne durch. Ab und zu verlieren sich
die alten Hufspuren, aber die Warten leiten mich verläßlich über weite Sandflächen. Nähere
mich der Kiðagilsá und damit einer interressanten Stelle. Nach der Karte teilt sich hier der markierte
Sprengisandsvegur in zwei alternative Routen. Entweder der Schlucht folgend 300 Höhenmeter hinunter in das
enge Tal der Skjálfandafljót zu einem geschützten, bewachsenen Platz. Dældir, "Mulden"
und Áfangatorfur "Rastwiese" steht in der Karte neben der grünen Signatur. Es ist eben dieser Ort den das
Sprengisandurlied meint, man müsse "...reiten, reiten über den Sand ..." um bald zur Kiðagil zu kommen,
denn dort unten war man erst einmal sicher vor den gefürchteten Wetterumschwüngen und Stürmen des
Hochlandes. Der andere Weg quert den Fluß oberhalb der Schlucht und bleibt auf der direkten und kürzeren
Route. Ich bin zwar (heute) nicht auf ihren Schutz angewiesen, aber trotzdem ist es für mich ein Ereignis besonderer
Bedeutung die Kiðagil erreicht zu haben. Ich fühle mich hier im Einklang mit der Geschichte und dem Mythos
des Sprengisandurs. Nahe am Fluß findet sich eine besonders auffällige Warte. Weiter flußaufwärts
wären die Uferböschungen zwar weniger steil, aber weiter unten geht nichts mehr. Der Karte nach
müßte die Furt noch etwa einen Kilometer weiter flußabwärts liegen, was aber offensichtlich
nicht sein kann, denn dort kann man die Schlucht nicht queren. Ich nehme also den Wegpunkt aus der im GPS
gespeicherten Route und ersetze ihn durch die Position der Warte. Auf der anderen Seite des Flußes glaube
ich eine weitere Warte, ein paar kleine Bäche einige moosige Plätzchen erkennen zu können. Die
Furt ist knietief und breit, aber das Wasser ist kristallklar. Dann die Bergschuhe wieder angezogen und die steile
Uferböschung hinauf. Gleich der zweite der kleinen Bäche entspricht meinen Bedürfnissen. Das Zelt
steht zwar etwas schräg am Hang, aber gut gegen den immer noch kräftigen Wind ausgerichtet. Ich habe
klares Wasser gerade mal 3 m neben dem Zelt - was kostet die Welt? Die Sonne heizt mir das Zelt auf und ich kann
erst mal eine Runde dösen und den brennenden Fußsohlen Erholung gönnen. Mit den heute gewonnenen
Kilometern habe ich ein Polster für die nächsten Tage - falls das Wetter oder der Weg etwas Schwierigkeiten
machen sollten. Zum Abendessen Curryhuhn mit Reis, Kaffee und Schokolade. Dann an den Aufzeichnungen. Später
abgespült, etwas Körperpflege am Bach und noch einen ausgedehnten Abdendgang unternommen. Etwas
oberhalb des Zeltes finden sich wieder die Hufspuren. Die Reiter haben den Fluß wohl weiter am Oberlauf gequert,
wo die Uferböschungen nicht so steil sind. Auch auf die Anschlußwarten stoße ich, finde ein paar
Schafsknochen und einen schöner Blick hinunter in die Kiðagil. Im Osten der Herðubreið, die Askja
und die Trölladyngja. Es geht immer noch ein empfindlich kalter Wind. Zurück zum Zelt und im Schalfsack
liegend die Aufzeichnungen fortgesetzt. Ich bin zufrieden. Es lief sehr gut die letzten beiden Tage. Ich war mir nicht ganz
sicher, ob der alte Sprengisandurweg zu finden sein würde. Er war zu finden - und ich bin "... bald zur Kiðagil"
gekommen. Das "Hauptproblem" der Tour ist also gelöst. Zum Góðafoss sind es trotz allem noch 4
Tagesmärsche, aber die sollten weniger kritisch werden. Ha! Mir geht“s gut!!!
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19. Tag: Kišagil - Mjóidalur