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21. Tag; Mıri - Goğafoss - Akureyri

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Copyright © Dieter Graser

Donnerstag, 15. August 1996

Der Regen auf dem Zelt weckt mich etwas vor der Zeit. Kein Nieselregen - es "dächelet" richtig! Da mein Zelt nicht besonders hoch über dem aktuellen Wasserstand steht fühle ich mich auch nicht besonders wohl hier an diesem Platz. Während des Teekochens läßt es sich nicht mehr vermeiden kurz mal das Zelt zu verlassen. Begutachte den Fluß dem aber noch nichts anzumerken ist. Trotzdem, das Wetter sieht nicht so aus, als würde sich in den nächsten Stunden etwas ändern. Nach dem Frühstück den Rucksack im Zelt gepackt. Bis auf die Liegematte ist alles verstaut. Döse noch ein Stündchen in der Hoffnung, daß der Regen vielleicht doch ein wenig nachläßt. Tut er aber nicht, deshalb beschließe ich aufzubrechen. Beim Schuhe binden reißt der Bändel. Endlich kommt das Ersatzpaar, das ich seit meiner ersten Islandtour immer im Deckelfach des Rucksacks habe zum Einsatz. Nutze die Gelegenheit die Stiefel gleich noch etwas einzufetten.

Um 9:30 Uhr geht es dann wirklich los. Erst an der steilen Uferböschung entlang und dann hinauf zur Piste. Über die Mjóidalsá führt eine Brücke und dann geht es flach hinauf, vorbei an Weiden und Mähwiesen zum Hof Mýri. Von da an immer geradeaus der Straße folgend nach Norden. Es regnet und regnet. Die Straße führt duch einen leibhaftigen Birkenwald, aber das kann mich heute nicht freuen. Ich trotte durch große hellbraune Lachen und von der Kapuze trieft es auf die fest eingewickelte Phototasche. Es macht keinen Spaß - die Moral ist wieder mal mit Erreichen des ersten Hofes eingebrochen. Jetzt bin ich wieder beim Kapitel "Talhatscher" angelangt. Es ist wie bei manchen langen Bergtouren: man steigt auf einen Berg hinauf und auf einem anderen Weg wieder ab und eigentlich ist die "Berg"-tour damit vorbei, aber nun muß man wieder zurück zum Ausgangspunkt - dann folgt eben der berüchtigte "Talhatscher". Nur der Bárðardalur-Talhatscher ist 36 km lang! An einem Tag ist der Goðafoss also nicht zu erreichen aber heute sollte es mindestens die 15 km bis zur Brücke und dann noch soweit wie möglich gehen. Trotz des Lederfettes fühlt sich der rechte Fuß langsam feucht an und der Anorak ist zwar aus GoreTex aber er ist 5 Jahre alt, hat 4 Islandtouren hinter sich und läßt nun etwas Feuchtigkeit durch. Zu allem Überfluß frischt der Nordwind auf und ich darf gegen den Regen anlaufen.

Gegen Mittag eine erste Regenunterbrechung die ich für eine kleine Pause nutze. Langsam komme ich aus dem Motivationsloch wieder etwas heraus. Nach einer Viertelstunde weiter durch das breite Tal nach Norden. Ich begrüße jede Biegung der Straße als Abwechslung. Irgendwo weit voraus zwei senkrechte, helle Striche in der Talmitte - die Betonpfeiler der Hängebrücke über die Skjálfandafljót. Selten begegnet oder überholt mich ein Auto. Ich rechne mir aus, daß der Hochlandbus erst spät am Abend auf dieser Strecke vorbeikommen wird. Wird er an der Brücke auch die Talseite wechseln? Eine Straße gibt es auf beiden Seiten des Flußes, aber der Haltepunkt Fosshóll am Goðafoss liegt auf der Ostseite. Der Regen läßt in den frühen Nachmittagsstunden an Intensität nach. Ab und zu gibt es längere trockene Abschnitte, aber der Nordwind ist weiter unangenehm kalt. Gegen 14:30 Uhr wechsle ich über die Brücke auf die andere Talseite. Noch 21 km bis zum Goðafoss. Ich komme an ein paar kleinen, etwas ärmlich wirkenden Höfen vorbei.

Es ist auffallend wie stark sich die beiden Talseiten unterscheiden. Die deutlich höhere westliche Talflanke ist meist mit Birkenwald bestanden und viele Bäche ziehen herab. Die östliche Talflanke ist stark erodiert, kaum Birken und auch kaum ein Rinnsal das Wasser führt. Die Weiden entlang der Straße sind alle eingezäunt. Die Wiesenbäche sind schmutzigbraun vom Niederschlag - schlechte Karten für einen Zeltplatz, ich bin halt nicht mehr im Hochland. Aber es ist auch noch zu früh, also weiter! Als sich nach langer Zeit von hinten wieder mal ein Auto nähert halte ich einfach mal den Daumen raus. Der Wagen, ein großer Van, "Polar Hestar" steht an der Tür, hält an, das Fenster wird runtergekurbelt: "Do you want a lift?" Ich zögere nicht lange, klar doch! Irgendwie verstaue ich meinen Rucksack und mich selbst zwischen einer Gruppe schweizer Teenager die in Grenivík Reiterurlaub machen.

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(71 KB)Góðafoss

Obwohl ich "saichnaß" bin und sicher ganz schön vor mich hin muffele werde ich gut aufgenommen und bekomme "kleinur" Gebäck (isl. "Hasenöhrl") angeboten. Nach einigen verspeisten Hasenöhrl sind wir dann schon am Góðafoss und damit an der Ringstraße. Es regnet noch immer und selbst dieser Wasserfall wirkt, wenn das Wasser auch noch vom Himmel fällt, fast bemitleidenswert banal! Kurzer Aufenthalt. Von einer Telephonzelle aus rufe ich in Dæli an. Dann geht es weiter in Richtung Akureyri. Etwa 5 Kilometer vor Akureyri zweigt die Straße nach Grenivík ab, kein Problem ich komme schon irgendwie weiter - vielen Dank für´s Mitnehmen. Ich bin noch nicht ganz ausgestiegen als ein Auto aus Richtung Grenivík kommt. Der Fahrer des Vans gibt ihm eine Zeichen, schließlich kennt hier jeder jeden, und schon habe ich den Anschluß nach Akureyri! Diese Hilfsbereitschaft ist erstaunlich. Der zweite Fahrer setzt mich am Busterminal in Akureyri ab. Dort erfahre ich, daß mein Bus nach Dalvík um 18:30 Uhr, also in einer Stunde abfährt. Genug Zeit die nassen Regenklamotten endlich auszuziehen, den Rucksack etwas umzubauen, eine Fahrkarte zu kaufen und in München und nochmal in Dæli anzurufen. Allerdings vergesse ich total, daß hier am Gepäckschalter, seit drei Wochen meine Tasche mit den "zivilen" Klamotten auf mich wartet. Aber das fällt mir erst ein, als der Bus Akureyri schon längst verlassen hat. Irgendwie werde ich vor dem Rückflug schon noch zu der Tasche kommen. In Dalvík holen mich mein ehemaliger Studienkollege Hans mit Maria und Markus von der "Arbeitsgruppe Island" ab. Wir fahren noch kurz bei Lene und Óskar in Dæli vorbei und dann erwartet mich erst mal eine heiße Dusche und trockene Kleidung.

Vollkommen "unheroisch", der Abschluß dieser Tour. Es hat nicht einmal zu einem "Zielphoto" bei Mýri oder am Goðafoss gereicht. Aber das macht nichts - ist sogar gut so. Ganz im Sinne von "der Weg ist das Ziel" darf der Schluß ruhig auch unspektakulär ausklingen. Die Dramaturgie mit dem abwechslungsreichen Laugavegur am Anfang und dann den Weiten des Sprengisandurs, widerspricht eigentlich jeder motivationsorientierten Tourenplanung - aber das wußte ich schon vorher. Der Weg ist so wie er ist.


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