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Nachts mal kurz aus dem Zelt geschaut: roter Himmel mit dunkelblauen Linsenwolken. Am Morgen
schütteln Böen und Nieselschauer das Zelt. Willkommen zurück im wirklichen Island! So einen Tag wie
gestern kann es nicht zweimal hintereinander geben. Zumindest nicht in diesem Jahr. Das Morgenritual
mit Frühstück und Zusammenpacken ist Routine. Wegen des kalten Ostwindes habe ich auch gleich
den Anorak angezogen.
Als erstes noch mal die Sóra Laxá furten. Das ist nun das sechste Mal und das Wasser ist jetzt
nicht sonnengewärmt. Um 8:45 Uhr breche ich vom anderen Ufer auf. Vor der Hütte stehen einige
der Isländer und blicken zu den Pferden auf der Koppel hinüber. Eines muß man den "Horsepeople"
ja lassen, sie stehen früher auf als andere. Sichtlich amüsiert ahmt einer von ihnen, mit
weit schwingenden Armen, mein Gehen mit den Trekkingstöcken nach. Ts, ts - dabei gehe ich mit dem
großen Rucksack doch immer in Doppelstocktechnik! Der Rucksack behindert eine
Verwindung zwischen Schultern und Hüften, weshalb ich kaum den "Diagonalschritt" benutze.
Die Kommentare, die sie jetzt austauschen kann ich aufgrund der Entfernung nicht hören - besser
so. Aber nun winken sie zum Abschied herüber und ich zurück.
Heute Morgen läuft es sich gut. Die Gehmoral scheint wieder da zu sein. Auch bleibt es trocken,
obwohl der Himmel von einer dichten, mit blaugrauen Wellen durchzogenen, Wolkendecke bedeckt ist.
Vielleicht sind es die Lichtverhältnisse, aber mir scheint die Fernsicht heute durch leichten
Dunst getrübt. Inzwischen hat die Piste, nach ein paar Schlenkern um das sich zunehmend
eintiefende Tal der Laxá herum, wieder zu der Hochspannungsleitung zurückgefunden. Die letzte
kleine Furt des Línuvegur ist an der Leirá. Nach ihrem flachen Tal geht es von dem Bergland
langsam hinunter zur Hvítá. Der Blick hinüber auf den südlichen Langjökull müßte bei besseren
Verhältnissen phantastisch sein. Immerhin kann ich in der Ferne die Dampfsäulen der
regelmäßigen Ausbrüche des Strokkurs beobachten. Einmal läßt auch der alte Geysir Dampf ab.
Bis zum Geysir sind es 15 Kilometer Luftlinie, aber ich werde erst morgen dort ankommen, denn
vorher muß muß ich einen Umweg zu der weiter südlich liegenden Brücke über die Hvítá machen.
Der Gullfoss ist nur an seinem Gischtvorhang zu erkennen. Dort drüben, auf der anderen Flußseite
ist auch das Café, in dem es diesen sündhaften Schokoladenkuchen gibt!
Es scheint eine Regel zu sein, daß ich an den letzten Tagen einer Tour - unabhängig von ihrer
Länge - von Freßgelüsten geplagt werde. Seit heute Morgen verfolgen mich kulinarische Gedanken.
Schon der Geruch des arktischen Thymians läßt mich von einer provenzalischen Lammkeule phantasieren.
Es geht stetig leicht bergab bis zur beschilderten Kreuzung mit dem Ásgraðsleið. Hier endet
dieser Abschnitt des Línuvegur östlich der Hvítá. Der westliche Abschnitt beginnt jenseits der Hvítá.
Nach Süden, zur Brücke und weiter bis zum Geysir, bin
ich auf dem Weg, den ich schon vor zwei Jahren in Gegenrichtung begangen habe. Mittagspause am
ersten geeigneten Platz. Pünktlich dazu auch die ersten schüchternen Regentropfen. Habe schon den
ganzen Vormittag jede Minute damit gerechnet. Vom Línuvegur her kommt ein Fahrzeug. Es ist
der Isländer, mit dem ich mich gestern Abend vor der Hütte unterhalten habe. Er erzählt mir die
haarstäubende Nachricht, die er gerade in den Radionachrichten gehört hat. Demnach soll gestern
ein Auto von der Brücke in die Hvításchlucht gestürzt sein. Bin irgendwie froh, daß ich heute
nicht mehr dorthin komme. Wir verabschieden uns und machen uns auf unsere Wege.
Ítalir
15 Minuten später bin ich die zwei Kehren hinunter ins Tungufellsdalur mit seinen lichten
Birkenwäldern. Ja, hier gibt es wirklich etwas, was zumindest nach isländischen Maßstäben, als
Wald angesehen wird. Viel mehr als 2 Meter sind die Bäumchen aber nicht hoch. Entdecke etwa
ein- bis zweihundert Meter oberhalb meines alten Zeltplatzes einen weit günstigeren. Den
Spuren nach wird er offensichtlich öfters von Wochenendausflüglern besucht. Aufgebaut, Wasser
geholt und die letzte Tütensuppe aus meinem Vorrat gekocht. Nun beginnt es richtig zu regnen.
Mittagsschläfchen. Später angefangen zum zweiten Mal in den "Schiffsmeldungen" zu lesen. Nach dem
Abendessen die täglichen Aufzeichnungen. Zwischedurch kübelt es richtig heftig. Wo die
beiden Italiener jetzt wohl sind?
Am Schild mit dem Hinweis auf den Wanderweg zur Ostseite des Gullfoss bin ich versucht meinen
Rucksack zu deponieren und zu dem Wasserfall zu gehen. Aber es ist trübe, der Wind schickt wieder
Regentropfen und die "Schokoladenseite" des Gullfoss liegt sowieso eindeutig am anderen Ufer!
Also weiter zu meinem nahen Tagesziel dem Tungufellsdalur. Kommen mir doch da tatsächlich zwei
berucksackte Gestalten entgegen. Außer auf dem Laugavegur die erste Begenung mit Wanderern auf
freier Strecke in 3 Wochen! Sonst traf ich nur welche an den Hütten. Natürlich Fragen nach
dem Woher und Wohin. Das Paar aus Italien will den Línuvegur gehen und so kann ich ihnen neben
ein paar Tips noch meinen Routenplan und meinen Kartenausdruck mit auf den Weg geben.
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