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Für den Nachmittag habe ich mir den Arnarfell, der direkt hinter dem Zelt steil aufragt,
vorgenommen. Das sind 500 Höhenmeter auf 1,2 km Horiontalentfernung. Das sagt wohl alles. Die
ersten 300 Höhenmeter geht es zügig über erst blumenreiche und dann mehr moosige Hänge nach
oben. Es ist deutlich wärmer als am Vormittag und ich komme gehörig ins Schwitzen. Dann wird es
gnadenlos steil und im faust- bis kopfgroßen Geröll rutscht jeder Schritt einen halben zurück.
Immer wieder hänge ich keuchend zwischen den Stöcken.
Endlich lehnt sich der Hang zurück und
auf der Gipfelkuppe empfängt mich eine Steinwarte, Sonne, Windstille und ein atemberaubender
Rundblick. Im Süden der Múlajökull, im Südwesten die Kerlingarfjöll und dann der Eisschild des
Hofsjökull mit den beiden Nunataka der Hásteinar. Im Norden der "kleine Arnarfell" (Anarfell hið
litla) und die lange Gletscherfront des Þjórsárjökull. Im Nordosten die Askja, Trölladyngja,
Tungnafell und die höchste Erhebung des nördlichen Vatnajökulls, die Bárðarbunga. Im Südosten
verdecken Regenvorhänge Vatnajökull und Hekla, aber die Veiðivötn sind zu erkennen. Vor mir
ausgebreitet der Sprengisandur mit seinen riesigen Stauseen und das vielhundertarmige Flußge-"kvísl" der
Þjórsárver. Fast zwei Stunden sitze ich in der Sonne und genieße den Sonntagnachmittag auf meine
Weise. Wo könnte es jetzt schöner sein? Einiges an Film spult durch den Photo. Schöne
Wolkenbildung im Norden, fast schon ein Cummulus Nimbus mit der Andeutung eines Amboß -
selten in diesen Breiten. Nehme auch meine morgige Route in Augenschein.
Der Abstieg ist nicht so komfortabel wie der von heute Morgen. Die Blöcke sind zu grob und bei
jedem Schritt komt ein Viertel Kubikmeter Geröll mit in Begeung. In tieferen Gefilden
beschäftige ich mich noch mit ein paar Pflanzenphotos (Enziane, Dryas). Gegen 19:00 Uhr wieder
zurück am Zelt. Wasser geholt, gekocht und den Tag gefeiert. Koordinaten für morgen vorbereitet
und an den Aufzeichnungen.
Hochlandwetter
Bis gegen 8:00 Uhr ausgeschlafen. Gefrühstückt und dann zu einer Vormittagstour auf den dem
Arnarfell gegenüberliegenden Berg Jökulbrekka aufgebrochen. Das Wetter ist gut, wenngleich
nicht so klar wie gestern Nachmittag. Der Wind hat auf Nordost gedreht und ist leicht bis mäßig
stark. Der Aufstieg über den steilen und im oberen Drittel mit feinem Schutt bedeckten Hang dauert
etwa 40 Minuten. Vorsichtig nähere ich mich der auf der andere Seite steil zum Múlajökull
abfallenden Felswand. Gestern hab ich von dort unten zweifelnd heraufgeschaut. Schöner Blick auf
den Múlajökull und den deutlich höheren Arnafell. Vom Ostende des Berges aus habe ich einen
atemberaubenden Tiefblick auf den tobenden Quelltrichter des Arnarfellskvísl. Am interessantesten
ist jedoch der scheinbar chaotisch aufgelöste Gletscherrand des Múlajökulls zwischen Jökulbrekka
und Kerfjall. Genaueres ist jedoch von meinem jetzigen Standpunkt aus nicht zu sehen und so
steige ich in das vom Gletscher abgeriegelten Tal Jökulker ab.
Jökulker /geom. Skizze
Von einer Hangkante aus kann ich endlich den ganzen Talschluß überblicken. Die Situation stellt
sich wie folgt dar. Vor dem Talausgang liegt die kompakte Eismasse des Mulajökull und bildet
einen hohen Damm. Taleinwärts folgt eine Zone in der der Talboden mit chaotisch zerbrochenen
Eistrümmern bedeckt ist, zwischen denen noch Eistürme von etwa 20 m Höhe senkrecht stehen.
Den Übergang zwischen dem kompakten Eis und der Trümmerzone bildet eine vielleicht 30 - 50 m
hohe Bruchwand. Oberhalb der Trümmerzone liegen ein gutes Dutzend hausgroßer Eisblöcke
isoliert an den Hängen. Am gegenüberliegenden Hang sind zwei Moränenwälle zu unterscheiden.
Ein jüngerer, schwach ausgeprägter, nahe dem aktuellen Eisrand und ein auffallender Wall, der
einem deutlich höheren Eisstand zuzurechnen ist. Dünne Moosvegetation gibt es nur außerhalb des
zweiten Walles. Am Gegenhang lassen sich 15 verschiedene "Strandlinien" unterscheiden von
denen die 2 höchsten nur außerhalb der alten Moräne zu finden sind. Das Eis der isolierten
Eisblöcke war "morsch" und es ließen sich einzelne, faustgroße Gletschereiskristalle von Hand
herauslösen.
Eistürme
Offenbar dämmt das Eis des Múlajökull das Tal des Jökulker so vollkommen ab, daß sich
wiederholt Eisstauseen bilden können. Diese Seen können sich wahrscheinlich auch über längere
Zeit (mehrere Jahre?) halten, so daß sich ausgeprägte Strandlinien am Hang bilden. Etwa 15 Linien
dier Art lassen sich unterscheiden. Das leichtere Gletschereis beginnt in dem sich bildenden See
aufzuschwimmen und verliert am Rand somit den Bodenkontakt. Vom Rand lösen sich einzelne
Eisberge und verdriften im See. Das Eis aber ist ein sehr unuverlässiges Baumaterial für
Staudämme und so kommt es regelmäßig zu Dammbrüchen, die katastrophalen Charakter
annehmen können. Die Situation im Sommer 2001 zeigt das Tal im Zustand nach einem solchen
Ausbruch. Die Höhe des Wasserspiegels des Eistausees müßte auf etwa 775 m ü. NN gelegen
haben. Mit Entleerung des Eisstausees ist der aufgeschwommene Teil des Gletschers vom festen
Rand abgebrochen und kollabiert. Die verdrifteten Eisberge sind an den Talhängen gestrandet,
wobei die höchsten Eisblöcke auf der selben Höhe am Hang liegen. Aufgrund der "morschen"
Eisbeschaffenheit der gestrandeten Eisberge vermute ich, daß diese schon längere Zeit, also schon
vor diesem Sommer, trockengefallen sind. Ein Schrägluftbild (aufgenommen vermutlich im Herbst
2000) auf der Infotafel bei der Hütte von Nýidalur läßt den gleichen Zustand erkennen. Ein älteres
Luftbild (U. Münzer: Iceland a dynamic country, S. 133) veröffentlicht 1991, zeigt auch einen
ähnlichen Zustand mit einer deutlichen Abbruchkante und einem Trümmerfeld, jedoch keine
isolierten Eisberge. Der Múlajökull selbst war zum Zeitpunkt dieser Aufnahme im Vorstoß
begriffen (1986 Vorstoß um 318 m!) und sehr stark von Spalten durchzogen.
Eisberg
Das Tal Jökulker liegt so versteckt, daß es nur von den Bergen Jökulbrekka und Jökulker oder vom
Flugzeug aus zu sehen ist. Bin fasziniert und mache viele Bilder. Finde auf dem
Talboden auch viele schöne Obsidiane. Schließlich verlasse ich das Tal und steige wieder hinauf
zur Jökulbrekka. Der Abstieg zum Zelt dauert nur 5 Minuten. Der feine Gesteinsgrus, der den Aufstieg
teilweise beschwerlich gemacht hat, erlaubt perfektes Geröllfeldrutschen. Ich tobe den Steilhang
hinunter, daß es eine Freude ist. Schaue mir noch die Schlucht im hintersten Talwinkel ein wenig an.
Zurück am Zelt kleines Mittagessen mit Kaffee und Schokolade zum Nachtisch. Etwas gedöst.