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30. Tag, Öxnadalsdrög - Ytri Lambá

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Copyright © Dieter Graser

Montag, 6. August 2001


Der Wecker hat mich kaum wachgekriegt. Noch eine halbe Stunde weitergedöst, dann mühsam ein Blick nach draußen: Nebel, Sichtweite 200 m. Sofort weitergedöst. Gegen 7 Uhr siegt die Vernunft. Langsam bereite ich mein Frühstück und genauso langsam packe ich zusammen.

Es ist 9:40 Uhr bis ich endlich loskomme. Wettermäßig kaum eine Änderung: Nebel bei leichtem Nordostwind. Nach etwa 2 km komme ich an einen schönen, kleinen Bach, der aus einer starken Quelle, direkt am Ende eines Lavaströmchens entspringt. Einen halben Kilometer weiter, ein noch schönerer Platz mit einem kleinen Wasserfall über Säulenbasalt. Den Spuren nach wird dieser Platz wohl öfters zum Rasten benützt. Das hätte ich gestern wissen sollen! Die halbe Stunde Weg wäre es mir noch wert gewesen.

Eigentlich hätte ich schon längst die Abzweigung der Piste ins Báršardalur erreichen sollen. Die Koordinaten habe ich aus der Karte ermittelt, aber schon vorher hatte ich Abweichungen von mehreren Kilometern feststellen müssen. Wo ist also der Abzweig? Einige hundert Meter nach dem kleinen Wasserfall führen ein paar alte Fahrspuren nach halblinks, während die Hauptpiste nach rechts den Hang hinaufsticht. Die Nebenpiste ist durch eine Steinreihe "gesperrt". Zwei Fußspuren, die mir schon seit längerem von Zeit zu Zeit aufgefallen waren, biegen auf diese Nebenpiste ab, kommen aber hundert Meter weiter wieder auf die Hauptpiste zurück. Ich bin der Meinung, daß das hier noch nicht der Abzweig der Piste ins Báršardalur ist und beschließe erst mal weiter der Hauptpiste zu folgen. In einigen Windungen und Stufen geht es höher hinauf und ich hoffe, daß ich irgendwann einen Überblick darüber bekomme, ob sich die Hauptpiste jetzt vollends nach Nordosten, also auf die Askja zu, wendet oder nicht. Allein Nebel und Gelände lassen diesen Überblick nicht zu. Eine GPS-Messung ergibt, daß ich mich im 45 Gard-Winkel und um einen Kilometer von meinem Kurs zum nächsten sicheren Wegpunkt entfernt habe. Ich schließe daraus, daß ich nun doch schon unfreiwillig auf dem Weg zur Askja bin. Dann war also die "gesperrte" Piste doch die richtige?

Also wieder zurück, abgekürzt und im rechten Winkel auf die Nebenpiste zu. Zwischendurch reißt mir eine Lasche an meiner Phototasche und ich muß sie behelfsmäßig anders befestigen, daß sie mir beim Gehen nicht vor dem Bauch herumschlackert. Wieder in tieferem Gelände wird auch die Sicht wieder besser. Von einer Hangkante aus meine ich zu erkennen, daß die Nebenpiste scheinbar zur Öxnadalsá hinunter wendet und das ist wiederum zu weit westlich und führt in eine Sackgasse. Im Sand der Piste entdecke ich nur zwei frischere Reifenspuren, die anderen stammen wohl vom letzten Sommer. Bin ich hier also auch nicht richtig?

Mein nächster Wegpunkt liegt auf der Báršardalurpiste, östlich der Höhe P-837 auf Kurs 23 Grad, in 3,5 km Entfernung. Ich wünsche alle Pisten zum Teufel, stelle den Kompass auf 23 Grad und peile halbrechts an dem Höhenzug vorbei, den der Nebel gnädiger- und andeutungsweise erahnen läßt. Weglos über grobes Geröll und eine steile Basaltstufe hinweg gehe ich Kurs in Richtung auf meinem Wegpunkt. Dort irgendwo muß ich auf die richtige Piste treffen! Nach einiger Zeit bemerke ich im feinen Grus wieder die zwei Fußspuren. Sie gehen wie ich weglos und genau auf Kurs 23 Grad. Ich muß unwillkürlich lachen. Da haben die zwei vor mir also auch verzweifelt nach dem richtigen Weg gesucht! Hinter einer Geländekante eine kleine Überraschung: ein Markierungspfahl, ein paar alte und zwei frische Reifenspuren die von Westen den Hang den Hang heraufkommen. Allen Anschein nach hat die "Nebenpiste" sich weiter unten geteilt und ich konnte nur den westlich weiterführenden Teil sehen. Auch die Fußspuren, vor mir im Sand, haben angehalten, deuten aufeinander zu und haben den Platz ein wenig zertrampelt. Aha - die haben hier auch erst mal eine Beratung abgehalten. Ich klinke mich in diese Piste ein, komme nach einer gewissen Zeit auch schön brav zu meinem Wegpunkt P-837 und auch die folgenden Positionen liegen genau auf Kurs. Ich - oder besser gesagt "wir" sind also auf der richtigen Piste.

Piste
Was mich überrascht, ist die Tatsache, daß diese Route offensichtlich nur sehr selten befahren wird. Den Spuren nach, in diesem Sommer erst von zwei Fahrzeugen! In Island lernt man Spuren lesen wie ein Indianer! Ich nehme an, daß meine zwei Vorgänger ein Mann und eine Frau waren. Die Frau hat eine Vorliebe dafür Kurven einer Piste abzukürzen und hat ein sicheres Gespür für den "komfortableren" Weg. Von Zeit zu Zeit fand ich aber auch noch eine dritte, ältere Spur eines Einzelgängers. Nach der Tour nahm ich per E-Mail wieder Kontakt mit dem Holländerer Peter Lupke, dessen Eintrag ich im Hüttenbuch von Nżidalur gelesen hatte, auf und fragte ihn welchen Weg nach Norden er genommen hätte. Er schrieb mir, daß er mit seiner Frau Els auch die östliche Route in Báršardalur gegangen wäre - somit war das "Rätsel der zwei Spuren" gelöst.

Gegen 13:00 Uhr wird die Sicht besser. Die Wolken haben die Bodenhaftung endlich verloren und heben sich langsam. Die Sockel der Trölladyngja und der Dyngjufjöll sind zu erkennen. Im Südwesten, am Horizont, gerade eben noch der Hofsjökull, dann die sanft geschwungene Fjoršungsalda und drüben, der nördliche Sprengisandur und das Gebiet der Kišagil. Erinnerungen an eine alte Tour!

Ich bin spät dran. Der schlafmützige Start und das lange Suchen nach der richtigen Piste haben mich gut zweieinhalb Stunden gekostet. Ich rechne mir aus, daß ich nicht vor 17:30 Uhr an der Ytri Lambá sein werde. Also gebe ich Gas. Die Piste macht erfreulicherweise wenig Schnörkel, dafür nimmt sie an Steigungen mit, was gerade am Weg liegt. Bin selbst überrascht welches Tempo ich heute auch bergauf hinlegen kann. Andererseits, nach einem Monat und 440 Kilometern sollte man auch langsam in Topform sein, oder? Am höchsten Punkt eines langgezogenen Rückens stoße ich auf einen Vermessungsmarke in der Mitte eine 2x2 Meter großen Quadrates aus (ehemals) weißem Segeltuch - ein Referenzpunkt für Vermessungen anhand von Senkrechtluftbildern. Mit dem GPS bestimme ich die Höhe auf 750 m - die Karte gibt 745 m an. Nicht schlecht! Der Wind kommt jetzt genau von Nord und ist empfindlich kalt geworden. Bei einer letzten Rast ziehe ich den Anorak über und schlürfe etwas heißen Tee. Ab jetzt geht es zur Ytri Lambá nur noch bergab.

Skjálfandafljót
Im Abstieg habe ich nach Westen Blick in das tiefe Tal der Skjálfandafljót. Auch nach Norden ist die Sicht klar und ausgezeichnet. Am Horizont kann ich die Berge bei Húsavík erkennen. Ich sehe auch schon die Hütte Réttartorfa, mein morgiges Tagesziel nur 12 km entfernt, als hellen Punkt im Talgrund. Im flachen Hochtal der Ytri Lambá zeigt sich das erste Grün. An einem kleinen Bach finde ich einen kleinen, moosigen und flachen Platz unter einer Terrassenkante. Das gefällt mir und mir reicht es auch für heute. Um 17:30 Uhr steht das Zelt, ist eingeräumt und wenig später gibt es einen "Ungarntopf". Ich liege auf dem Schlafsack und schreibe ein wenig im Tagebuch. Tiefe Sonnenstrahlen fallen auf das Zelt und locken mich noch zu einem Abendspaziergang. Ich gehe nach Westen über die Hochfläche zum Abbruch in das Tals der Skjálfandafljót und genieße den weiten Blick über das von der Abendsonne mild beleuchtete Tal und den tief unter mir fließenden Fluß.


Zeltplatz an der Ytri Lambá


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