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Morgens wieder -6°C im Zelt. Bis auf einige wenige, hohe Cirren im Osten ist der Himmel klar. Kein Wind.
Der Schnee ist oberflächlich gut durchgefroren. Wann wird die Sonne ihn wieder aufgeweicht haben? Komme
um 8:00 Uhr los.
Skeišarárjökull
Spuren
Rast
Durch aufgeweichten Schnee erreiche ich den Fuß des Grímsfjall um 17:00 Uhr. Nur noch 2,3 km bis zur
Hütte. Aber 250 Höhenmeter in 2 Steilstufen. Die Superjeeps der Isländer haben den Hang mit
ihren überbreiten Reifen tief umgepflügt. Kein Wunder, daß ich die Spuren schon aus 30 km Entfernung
deutlich erkennen konnte. Aber diesen Hang können sie bei weichem Schnee nur bergab fahren und den Spuren
sieht man an, daß sie nur so heruntergeschwommen sind. Die flachere Auffahrt ist von Westen, also aus
Richtung von Jökulheimar kommend. Das ist auch die üblichste Route. Sei's drum!
Langsam lege ich mich ins Zeug und beginne lange Querungen mit gerade soviel Höhengewinn, wie ich mir mit
60 kg verteilt auf Rucksack und Pulka zumuten kann. Es ist beschwerlich, sehr beschwerlich. Der Schnee wird
immer weicher und näßer. Von den Gräben der Reifenspuren muß ich mich fern halten. Im zweiten Aufschwung
wird die Zerrerei schließlich zur Qual. Die letzten Neuschneefälle hat der ewige Wind hier oben
zu Rippen und Gräben erodiert, welche nun quer zu meinen schon flachen Serpentinen "schluzige" Wälle
bilden. Jede andere Pulka wäre hier alle paar Meter entweder umgekippt oder abgerutscht. Hier zeigt sich
die Stärke des breiten und flachen Base Camp Sleds mit seinen ausgeprägten Randkufen. Trotzdem, manche
der Rücken schaffe ich nur unter Stöhnen und Ächzen. Jede Wende ist eine Aktion für sich an deren Ende
ich keuchend zwischen den Skistöcken hänge und meinen Lungen einrede, daß sie nirgends eine bessere
und reinere Luft kriegen könnten als hier! Endlich lehnt sich der Hang etwas zurück und ich schöpfe
Hoffnung, daß diese Schinderei ein absehbares Ende finden könnte, aber der eisige Wind weht
Nebelschwaden über den Gipfel und verwehrt mir die Sicht. Noch 400 m sagt das GPS. Es wird plötzlich
heller und da sehe ich auch die drei Hütten wie sie in einer Reihe auf dem Grat stehen. Seltsame Gebäude
mit angeschrägten Wänden und ohne Dachüberstände. Dunkelbraun gestrichen und alle Balken und
Leisten gelb abgesetzt.
Grímsfjall Hütte
Meine Enttäuschung läßt sich nicht beschreiben - sie wird nur noch durch meine Dummheit übertroffen.
Ich hätte mich vorher auch erkundigen können und den Schlüssel bei bei JÖRFÍ bzw. Bei Valdi "Rakari"
abholen können. Aber nachden jeder isländische Pseudoabenteurer, der sich einen Kredit für ein
Fjallabil leisten kann, meint er müßte einmal seine Lammkeule hier oben gegrillt haben, und einen
entsprechenden Saustall hinterläßt, hat sich der Verein entschlossen die Hütte nicht mehr frei
zugänglich zu machen. Vielleicht hätten die Leute von Landsbjörg mich auch drauf hinweisen können.
Trotzdem, der Fehler liegt eindeutig bei mir selbst. Soll ich wieder runter vom windexponiertesten Punkt
des ganzen Vatnajökull? Nein, dafür kann ich heute ohne Zwang keine Kräfte mehr mobilisieren. Etwas neben der
Hütte liegt in einer flachen Mulde sauberer Neuschnee. Dort trete ich mir einen Zeltplatz fest,
hoffe daß kein Sturm aufkommt und vertraue in Bo Hilleberg. Abendessen um 20:00 Uhr. Während des Kochens
ein paar Schluck schottischen Pure Malt - haut voll rein. Später stöpsel ich mir die Ohren zu - will den
Wind gar nicht hören - stelle den Wecker ab und schlafe wenig später erschöpft ein. Selten hat mich ein
Tag in Island so viel Kraft gekostet.
Die Ski laufen und die Pulka rumpelt über harten, buckligen Firn. Fühle mich gut in Form. Die Moral
könnte kaum besser sein. 19 km bis zum Grímsfjall. "Nur" denke ich. Ich kann deutlich den dunklen,
aperen Gipfel und die hellen Streifen der Jeepspuren an seinem Nordosthang erkennen. Ich brauch keinen
Kompass, nur das GPS, das mir bestätigt wie ich vorankomme. Ein erster stufenartiger Anstieg nimmt mir
kurz den Blick auf mein Ziel. Ich komme gut voran. Erste Pause um 10:00 Uhr und um 12:00 Uhr Mittag.
Die Uhr ist wieder wichtig. Wo natürliche Marken und Orientierungsziele fehlen unterteilen die Stunden den
Tag und den Weg. So überlasse ich ihr wieder den Takt für die notwendigen Pausen. Am Nachmittag gehe ich
zu einem einstündigen Pausenrythmus über.
Ich befinde mich nun im Einzugsgebiet des Skeišarájökulls. Der Hvannadalshnúkur liegt nun schon links von
mir am Horizont und wandert langsam nach hinten. Der markante Gipfel des Žúmall (Daumen) ragt aus den
Skaftafellsfjöll empor. Ich kreuze die alten Spuren eines Fjallabil-Konvois. Von Ostern bis zum
Frühsommer ist es ein Lieblingssport der Isländer mit ihren aufgemotzten Superjeeps über die Gletscher
zu kesseln. Bin froh, daß mir eine leibhaftige Begegnung erspart bleibt. Wir hätten uns sowieso nur
angeschaut wie die Marsmännchen. Autos haben meiner Meinung nach auf einem Gletscher nichts verloren.
Am Mittag habe ich über die Hälfte des Weges bis zur Hütte geschafft obwohl es die meiste Zeit
leicht bergauf ging. Auf der Pulka siztend mache ich wieder ausgiebig Brotzeit. Etwas unerwartet
ziehen von Westen her Wolkenfetzen über den Grímsfjall und schieben sich den Hang hinunter. Nach
kurzer Zeit tauche auch ich in lichten Nebel ein. Dieser verschwindet zwar wieder so schnell wie
er gekommen ist, aber es wird deutlich, daß westlich des Grimsfjall ein anderes Wetter herrscht als
hier auf seiner Ostseite und den zentralen Vatnajökull. Also weiter!
Nach zwei letzten, weiten Schleifen zerre ich die Pulka über die letzten Meter schmutzigen von
schwarzer Vulkanasche durchsetzten Schnee. Die 3 Hütten sind mir einer Art Laufsteg untereinander
verbunden und zwischen ihnen strömt, vom Wind verblasen, Dampf aus den Überdruckventilen der
geothermischen Heizungsanlage. Die erste Doppeltüre, die ich öffne, führt zu den sauberen und
beheizten Toiletten - na schön. Da kann man also, wenn man muß. Hinter der Außentür daneben verbirgt
sich eine verschlossene Tür. Nanu, vielleicht ist das der Raum für die Meßgeräte und deshalb nicht
öffentlich zugänglich. Auf der Rückseite der Hütte der Zugang zu der ebenfalls verschlossenen Werkstatt.
Dann schau ich mal zu den anderen beiden Hütten. Hinter der Außentüren der mittleren Hütte stoße ich
ebenfalls nur auf verschlossene Innentüren. Langsam keimt in mir ein schlimmer Verdacht. Die dritte
Tür eröffnet mir wenigstens einen schmalen Vorraum in dem man Schuhe abstellen und naße Klamotten
aufhängen kann. Sogar ein Stuhl steht drin. Die ebenfalls verschlossene zweite Tür hat eine
Glasscheibe durch die ich einen Blick ins Hüttenparadies werfen kann. Stockbetten, ein Tisch, zwei
Bänke, Herd und Spüle - richtig gemütlich eingerichtet.
Neben der Tür an der Wand zwei flache Kästen
mit Glasscheibe. Im größeren der beiden ein Bergseil, ein Eispickel und weiteren Kletterhardware. Im
zweiten, kleinen Kasten ein Haken mit einem Schüssel dran - dahinter ein Zettel: "Im Notfall einschlagen".
So weit lasse ich es nicht kommen, denn schließlich gehört zu meiner Winterstandardausrüstung auch
ein Kreuzschlitzschraubendreher! So gelange ich endlich an den Schlüssel. Dieser passt aber nicht für die
Tür zum Paradies, sondern für die Notfallausrüstung im Kasten daneben. Logisch! Hätte ich mir doch gleich
denken können! Hmmm - zur Not würde meine Liegematte gerade in den Vorraum passen.