10. Tag, Zum Grímsfjall

Inhalt Home

Copyright © 2004 Dieter Graser

Dienstag, 6. Juli 2004


Morgens wieder -6°C im Zelt. Bis auf einige wenige, hohe Cirren im Osten ist der Himmel klar. Kein Wind. Der Schnee ist oberflächlich gut durchgefroren. Wann wird die Sonne ihn wieder aufgeweicht haben? Komme um 8:00 Uhr los.

Skeišarárjökull
Die Ski laufen und die Pulka rumpelt über harten, buckligen Firn. Fühle mich gut in Form. Die Moral könnte kaum besser sein. 19 km bis zum Grímsfjall. "Nur" denke ich. Ich kann deutlich den dunklen, aperen Gipfel und die hellen Streifen der Jeepspuren an seinem Nordosthang erkennen. Ich brauch keinen Kompass, nur das GPS, das mir bestätigt wie ich vorankomme. Ein erster stufenartiger Anstieg nimmt mir kurz den Blick auf mein Ziel. Ich komme gut voran. Erste Pause um 10:00 Uhr und um 12:00 Uhr Mittag. Die Uhr ist wieder wichtig. Wo natürliche Marken und Orientierungsziele fehlen unterteilen die Stunden den Tag und den Weg. So überlasse ich ihr wieder den Takt für die notwendigen Pausen. Am Nachmittag gehe ich zu einem einstündigen Pausenrythmus über.

Spuren
Ich befinde mich nun im Einzugsgebiet des Skeišarájökulls. Der Hvannadalshnúkur liegt nun schon links von mir am Horizont und wandert langsam nach hinten. Der markante Gipfel des Žúmall (Daumen) ragt aus den Skaftafellsfjöll empor. Ich kreuze die alten Spuren eines Fjallabil-Konvois. Von Ostern bis zum Frühsommer ist es ein Lieblingssport der Isländer mit ihren aufgemotzten Superjeeps über die Gletscher zu kesseln. Bin froh, daß mir eine leibhaftige Begegnung erspart bleibt. Wir hätten uns sowieso nur angeschaut wie die Marsmännchen. Autos haben meiner Meinung nach auf einem Gletscher nichts verloren.

Rast
Am Mittag habe ich über die Hälfte des Weges bis zur Hütte geschafft obwohl es die meiste Zeit leicht bergauf ging. Auf der Pulka siztend mache ich wieder ausgiebig Brotzeit. Etwas unerwartet ziehen von Westen her Wolkenfetzen über den Grímsfjall und schieben sich den Hang hinunter. Nach kurzer Zeit tauche auch ich in lichten Nebel ein. Dieser verschwindet zwar wieder so schnell wie er gekommen ist, aber es wird deutlich, daß westlich des Grimsfjall ein anderes Wetter herrscht als hier auf seiner Ostseite und den zentralen Vatnajökull. Also weiter!

Durch aufgeweichten Schnee erreiche ich den Fuß des Grímsfjall um 17:00 Uhr. Nur noch 2,3 km bis zur Hütte. Aber 250 Höhenmeter in 2 Steilstufen. Die Superjeeps der Isländer haben den Hang mit ihren überbreiten Reifen tief umgepflügt. Kein Wunder, daß ich die Spuren schon aus 30 km Entfernung deutlich erkennen konnte. Aber diesen Hang können sie bei weichem Schnee nur bergab fahren und den Spuren sieht man an, daß sie nur so heruntergeschwommen sind. Die flachere Auffahrt ist von Westen, also aus Richtung von Jökulheimar kommend. Das ist auch die üblichste Route. Sei's drum!

Langsam lege ich mich ins Zeug und beginne lange Querungen mit gerade soviel Höhengewinn, wie ich mir mit 60 kg verteilt auf Rucksack und Pulka zumuten kann. Es ist beschwerlich, sehr beschwerlich. Der Schnee wird immer weicher und näßer. Von den Gräben der Reifenspuren muß ich mich fern halten. Im zweiten Aufschwung wird die Zerrerei schließlich zur Qual. Die letzten Neuschneefälle hat der ewige Wind hier oben zu Rippen und Gräben erodiert, welche nun quer zu meinen schon flachen Serpentinen "schluzige" Wälle bilden. Jede andere Pulka wäre hier alle paar Meter entweder umgekippt oder abgerutscht. Hier zeigt sich die Stärke des breiten und flachen Base Camp Sleds mit seinen ausgeprägten Randkufen. Trotzdem, manche der Rücken schaffe ich nur unter Stöhnen und Ächzen. Jede Wende ist eine Aktion für sich an deren Ende ich keuchend zwischen den Skistöcken hänge und meinen Lungen einrede, daß sie nirgends eine bessere und reinere Luft kriegen könnten als hier! Endlich lehnt sich der Hang etwas zurück und ich schöpfe Hoffnung, daß diese Schinderei ein absehbares Ende finden könnte, aber der eisige Wind weht Nebelschwaden über den Gipfel und verwehrt mir die Sicht. Noch 400 m sagt das GPS. Es wird plötzlich heller und da sehe ich auch die drei Hütten wie sie in einer Reihe auf dem Grat stehen. Seltsame Gebäude mit angeschrägten Wänden und ohne Dachüberstände. Dunkelbraun gestrichen und alle Balken und Leisten gelb abgesetzt.

Grímsfjall Hütte
Nach zwei letzten, weiten Schleifen zerre ich die Pulka über die letzten Meter schmutzigen von schwarzer Vulkanasche durchsetzten Schnee. Die 3 Hütten sind mir einer Art Laufsteg untereinander verbunden und zwischen ihnen strömt, vom Wind verblasen, Dampf aus den Überdruckventilen der geothermischen Heizungsanlage. Die erste Doppeltüre, die ich öffne, führt zu den sauberen und beheizten Toiletten - na schön. Da kann man also, wenn man muß. Hinter der Außentür daneben verbirgt sich eine verschlossene Tür. Nanu, vielleicht ist das der Raum für die Meßgeräte und deshalb nicht öffentlich zugänglich. Auf der Rückseite der Hütte der Zugang zu der ebenfalls verschlossenen Werkstatt. Dann schau ich mal zu den anderen beiden Hütten. Hinter der Außentüren der mittleren Hütte stoße ich ebenfalls nur auf verschlossene Innentüren. Langsam keimt in mir ein schlimmer Verdacht. Die dritte Tür eröffnet mir wenigstens einen schmalen Vorraum in dem man Schuhe abstellen und naße Klamotten aufhängen kann. Sogar ein Stuhl steht drin. Die ebenfalls verschlossene zweite Tür hat eine Glasscheibe durch die ich einen Blick ins Hüttenparadies werfen kann. Stockbetten, ein Tisch, zwei Bänke, Herd und Spüle - richtig gemütlich eingerichtet. Neben der Tür an der Wand zwei flache Kästen mit Glasscheibe. Im größeren der beiden ein Bergseil, ein Eispickel und weiteren Kletterhardware. Im zweiten, kleinen Kasten ein Haken mit einem Schüssel dran - dahinter ein Zettel: "Im Notfall einschlagen". So weit lasse ich es nicht kommen, denn schließlich gehört zu meiner Winterstandardausrüstung auch ein Kreuzschlitzschraubendreher! So gelange ich endlich an den Schlüssel. Dieser passt aber nicht für die Tür zum Paradies, sondern für die Notfallausrüstung im Kasten daneben. Logisch! Hätte ich mir doch gleich denken können! Hmmm - zur Not würde meine Liegematte gerade in den Vorraum passen.

Meine Enttäuschung läßt sich nicht beschreiben - sie wird nur noch durch meine Dummheit übertroffen. Ich hätte mich vorher auch erkundigen können und den Schlüssel bei bei JÖRFÍ bzw. Bei Valdi "Rakari" abholen können. Aber nachden jeder isländische Pseudoabenteurer, der sich einen Kredit für ein Fjallabil leisten kann, meint er müßte einmal seine Lammkeule hier oben gegrillt haben, und einen entsprechenden Saustall hinterläßt, hat sich der Verein entschlossen die Hütte nicht mehr frei zugänglich zu machen. Vielleicht hätten die Leute von Landsbjörg mich auch drauf hinweisen können. Trotzdem, der Fehler liegt eindeutig bei mir selbst. Soll ich wieder runter vom windexponiertesten Punkt des ganzen Vatnajökull? Nein, dafür kann ich heute ohne Zwang keine Kräfte mehr mobilisieren. Etwas neben der Hütte liegt in einer flachen Mulde sauberer Neuschnee. Dort trete ich mir einen Zeltplatz fest, hoffe daß kein Sturm aufkommt und vertraue in Bo Hilleberg. Abendessen um 20:00 Uhr. Während des Kochens ein paar Schluck schottischen Pure Malt - haut voll rein. Später stöpsel ich mir die Ohren zu - will den Wind gar nicht hören - stelle den Wecker ab und schlafe wenig später erschöpft ein. Selten hat mich ein Tag in Island so viel Kraft gekostet.


Zurück zu Inhalt
nächster Tag