|
|
---|
Kverkfjallahryggur
Erst flach, dann steiler werdend geht es den Hang hinauf, den ich mir gestern aufgespart habe.
Finde meinen Gehrythmus sofort und schaffe den Anstieg in 1,5 Stunden. Bin ohne Pause und
kontinuierlich durchgeangen. Fühle mich stark und leistungsfähig. Was für ein Unterschied zu gestern.
Das sind die Spielchen, welche die Psyche mit einem treibt. Während des Aufstiegs nehme ich
deutlich Schwefelgeruch wahr! Ein schwacher Nordwestwind schickt mir schon mal einen kleinen
"Gruß aus der Küche". Die Hveradalir in den Kverkfjöll, denen ich mich langsam nähere, sind das
größte Hochtemperaturgebiet Islands - und das will schon etwas heißen.
Kverkfjallahryggur
Blick zurück
Hveradalir
Kverkfjöll
Den Hang direkt zur Hütte steige ich erst einmal nur mit Rucksack und ohne Pulka hinauf. An der Hütte
sind im Moment zwar keine Personen anwesend, aber dem herrschenden, mittleren Chaos nach ist
sie offensichtlich voll belegt. Die Aufschriften auf den Plastiktüten verweisen auf die Schweiz. Enge und
überfüllte Hütten sind nicht meine Fall und ich halte nach einem möglichen Zeltplatz in einiger
Entfernung Ausschau. Weiter unten, Richtung Kratersee, scheint ein günstiges Plätzchen zu sein, das mir
Komfort und Distanz verspricht. Bald ist das Zelt vor spektakulärer Kulisse eingerichtet und und nach
einer Speckbrotzeit (... die Pulka brigt noch wahre Schätze!) gönne ich mir ein Nachmittagsnickerchen
im sonnendurchwärmten Zelt. Fast minütlich unterbrochen von schußartigem Knallen oder Donnern der
sich lösenden Eisbrocken die von der Bruchwänden in den See stürzen. Hier ist wirklich was geboten!
Bad
Enggepackt wie die Heringe liegen wir nebeneinander im doch sehr flachen Wasser. Immer mal wieder schreit
einer der Badgenossen auf, weil er plötzlich zu sehr etwas von der heißen Wasserströmung abgekriegt hat
welche noch nicht mit dem Eiswasser vermischt war. Überhaupt scheint die Temperaturregelung ein
gewisses Problem zu sein. Aber was für ein exklusives Vergnügen! Auge in Auge mit einem Eisberg im
selben Wasser zu dümplen und darüber zu sinnieren, wann wohl der riesige Eisblock dort drüben, dessen
Spalten sich seit heute Morgen deutlich vergrößert haben, mit ohrenbetäubendem Donnern herabstürzen wird.
Bei mir hat das Bad auch noch einen hygienischen Aspekt, denn seit meiner letzten Grundreinigung sind
schon zwei Wochen vergangen und ich habe auf dem Vatna mehr geschwitzt, als ich es jeh für möglich
gehalten hätte. Ich werde deshalb nicht müde Wert und Wirkung dieses Bades zu loben.
Eisbären?
Ruhige, windstille Nacht. Mit dem Wecker um 5:00 Uhr scheint auch die Sonne auf das Zelt. Die
übliche Morgenprozedur durchlaufen und noch ein paar Bilder vom Zeltplatz gemacht. Aufbruch um 7:30 Uhr.
Pause auf einer ersten, kilometerweiten Kuppe. Noch 10 km bis zur Kverkfjöll-Hütte. Die Eislandschaft
hier sieht deutlich anders aus als auf dem Kartenbild. Den ganzen Hang, den ich mich heraufgearbeitet
habe gibt es auf der Karte nicht. Wenn es nach der Karte ginge wäre ich auf der selben Höhe von 1540 m
(GPS: 1565 m) wie meine Zeltplatz heute Morgen. Laut GPS bin ich aber nun 110 m höher. Zudem tut
sich in meiner Kursrichtung eine nach Westen offene Senke auf, die nicht in der Karte verzeichnet ist.
Wenn ich also den direkten Weg gehe, dann komme ich zwar zu einer kurzen Abfahrt darf aber dann alles
wieder aufsteigen. Ich bleibe auf dem östlichen Rand der offenen Schüssel (offensichtlich ein subglazialer
Krater). Ist nur ein kleiner Umweg,
erspart mir aber etliche Höhenmeter und ermöglicht mir einen Blick zur Ostseite der Kverkfjöll und auf
den Brúarjökull den ich vor einem Jahr überquert habe. Langsam wird mir bewußt, daß sich nun, da ich
Blick auf eine schon begangene Route habe, der Kreis zu schließen beginnt.
Um einen besseren Blick in die Ostflanke der Kverkfjöll zu haben fahre ich ein wenig in der langsam steiler
werdenden Osthang des Kverkfjallhryggur ein. Leider wird nicht, wie erhofft, der Blick auf auf den
Gletscherrandsee Žórbergsvatn frei. Letztes Jahr habe ich nur einen kleinen Teil von ihm zwischen zwei
Moränenhügeln erspähen können. Ich verzichte auf einen weiteren Vorstoß um mir keinen Wiederanstieg
einzuhandeln. Ich quere über einen Schneerücken nach Nordwesten und halte auf die weite Kuppe zu, welche
noch zwischen mir und der Kverkfjöll Hütte liegt. Damit habe ich die unvorhergesehene, westliche Mulde
umgangen. Der Anstieg zur letzten Kuppe hat sich dadurch verkürzt. Trotzdem fordert er mir einige
Serpentinen ab. Der Schnee ist durch die starke Sonneneinstrahlung schon stark aufgefirnt.
Längst wäre es Zeit für eine Mittagspause. Direkt vor mir, nur knapp über dem gewölbten Horizont der
Kuppe, entsteht und vergeht stetig eine kleine Wolke die deutlich tiefer ist als die vereinzelten
Kummulanten welche die Sonnenthermik an den Felsen der östlichen Kverkfjöll entstehen läßt. Wieder
meine ich leichten Schwefelgeruch zu riechen. Es kann nicht mehr weit sein. Ich verschiebe die Pause und
strebe weiter. Inzwischen habe ich wieder meine Kurslinie erreicht. Die Steigung hat sich abgeflacht
und langsam wachsen im Westen Kistufell und Trölladyngja über den Horizont.
Der Widerstand der Pulka wird geringer, die Ski fangen leicht zu gleiten an - ich habe den höchsten
Punkt überschritten. Schnell werfe ich einen doch etwas wehmütigen Blick zurück auf riesige, gleißende Weite
des Vatnajökull bevor mir die Kuppe endgültig die Sicht verstellt. Ich weiß ich habe es geschafft, ober besser:
es ist mir geglückt, oder vielleicht hat er mir einfach eine Chance gegeben. Sehr emotionaler Moment.
Ich bin aufgeregt, glücklich, etwas traurig und gespannt - alles zur gleichen Zeit. Der Vatnajökull ist
hinter mir verschwunden und hundert Meter weiter, wie nach der Überquerungs einen Niemandslandes
zwischen den Grenzen, schieben sich die Berge der Askja und der Heršubreiš über den Horizont. Meine wichtige
Landmarke mehrerer Touren, die Pyramide des Upptyppingar taucht schließlich auf und es
öffnet sich der Blick auf das atemberaubende Panorama der Kverkfjöll mit dem
von Eiswänden umstandenen Kratersee, den leuchtend, ockerfarbenen Hveradalir, ihren aufsteigenden
Dampfsäulen und den zerklüfteten Lobus des Dyngjujökull aus dessen Vorland gelbliche Staubfahnen Richtung
Askja ziehen und schließlich auf den die Weiten des Ódaušahraun beherrschenden Heršubreiš.
Vor mir liegt der Gratrücken des westlichen Kverkfjöll mit der Hütte des Verbandes der Isländischen
Gletscherforscher JÖRFÍ. Gerade mal zwei Kilometer sind es noch bis dorthin. Es ist 13:00 Uhr. Ich mache eine
kleine Pause, setzte mich auf die Pulka, mache in Ruhe ein paar Photos und nehme den Anblick in mich auf.
Direkt neben der Hütte entdecke ich zwei Zelte - nanu, so ein Andrang hier? Gemächlich abfahrend kreuze
ich in weiten Schlägen zur "Brücke". Nach rechts ist Vorsicht geboten, denn dort beginnt die konzentrische
Spaltenzone rund um den Kratersee. Links ein steiler Abbruch zu den Hveradalir. Kein Problem bei guter
Sicht wie heute, aber bei Nebel und unter "Instrumentenflugbedingungen" wäre das etwas heikler.
Später steige ich noch einmal zur Hütte hinauf und besuche die inzwischen eingetroffene Gruppe. Es ist
eine Gruppe Schweizer Höhlenforscher aus Genf, welche die Eishöhlen des Kverkfjöllgebietes untersuchen. Ein
bunt gemischer Haufen unter der Leitung von Gérald Favre. Von ihnen erfahre ich, daß Elisabet und Sirra
auch dieses Jahr wieder die Siguršarskáli betreuen. Meine Freude die beiden bald wiedersehen zu
können ist groß. Später begleite ich die Schweizer hinunter zum See. Ich lasse es mir nicht nehmen in
den Hang von meinem Zelt hinab zum See ein paar Telemarkschwünge zu zirkeln. Zwei der jungen Schweizer
sind noch eifrig dabei im flache Wasser einen Damm um das Delta eines Zuflusses einiger
heißer Quellen aufzuschichten um ein "Strandbad" einzugerichten. Ihr gestiger Damm wurde von einer
durch eine von einem kalbenden Eisberg hervorgerufenen "Tsunami" zerstört. Ganz unbedenklich ist das
Badevergnügen also nicht, denn von der gegenüberliegenden Eiswand können auch mehrer hundert Kubikmeter
auf einmal losbrechen und eine meterhohe Flutwelle erzeugen. Es empfiehlt sich also Kleidung und Schuhe
(sowie Ski) erhöht und in respektvoller Entfernung vom Ufer zu deponieren. Windstille und einen kräftige
Sonne erlauben es uns auch außerhalb des warmen Wassers im Badezeug aufzuhalten ohne gleich Frostbeulen zu
bekommen.
Zwei der Schweizer sticht der Hafer. Sie gehen am Ufer entlang bis zu einer Stelle an der in relativ
kurzer Entfernung ein größerer Eisberg vor Anker gegangen ist. Sie schwimmen etwa 20 m bis zum Eisberg
und es gelingt ihnen diesen zu entern. Ihr Siegesgebrüll und unser Gelächter hallt über den Kratersee. Schnell
schnappe ich mir die Kamera, ziehe das Zoom voll aus und hoffe, daß ich das Bild vor lauter Lachen
nicht verwackle. In Anbetracht der Wassertemeratur sind sich alle Anwesenden sich einig, daß die
Bilder, trotz Teleobjektiv, jugendfrei geraten werden. Als die Sonne über dem Kraterrand verschwindet
räumen wir das Feld. Müde aber sauber steige ich wieder zu meinem Zelt auf und koche mir ein Abendessen.
Danach noch gelesen und versucht mich beim Einschlafen vom Knallen des berstenden Eises nicht
stören zu lassen.