Zurück zu Inhalt

3. Tag Gullfoss - Bláfell

Inhalt Home

Copyright © Dieter Graser

Samstag 22. März 1997


Gegen halb Acht aufgewacht, sehr gut geschlafen. Es ist kuschelig warm im Schlafsack. Blick nach draußen: Nebel, wenn auch nicht sehr dicht. Orientierungsschwierigkeiten werde ich wohl keine bekommen, ich brauche nur den Spuren der Motorschlitten zu folgen, die gestern spät abends von hier aus gestartet sind. Das Innenzelt ist bedeckt mit Reif der beim Anwerfen des Kochers sofort schmilzt. Hätte doch für eine bessere Durchlüftung sorgen sollen. Frühstück, gepackt und um 9:00 Uhr los.

Bis hierher wird die Straße auch im Winter geräumt. Der Wall den der Schneepflug auf der Straße hinterlassen hat bildet nun die scharfe Grenze zwischen "Byggd" und "Óbyggd" zwischen dem bewohnten Küstensaum und dem unbewohnten Hochland. Auch im Sommer verläuft diese Grenze an den letzen umzäunten Weiden hier in dieser Gegend um den Gullfoss, aber der Übergang ist nicht so scharf. Während ich gestern noch innnerhalb des "Byggd" blieb, überschreite ich jetzt mit einem Schritt die Grenze zum Hochland und jeder weitere Schritt entfernt mich von der "Sigriðurstofa", mit Strom und fließend Heißwasser, dem letzten Außenposten der Zivilisation. Es sind etwa 100 Kilometer von hier bis zur Wetterstation von Hveravellir, dem nächsten "bewohnten" Ort in der Mitte des Hochlandes. Ein wenig mulmig ist mir schon, aber ich versuche mich auf das Nächstliegende zu konzentrieren.

In der Nacht hat es doch nur 3 - 5 cm geschneit. Der unter dem Neuschnee liegende nasse Altschnee ist gefroren und die Pulka gleitet gut im Pulver. Die Spuren zeigen, daß zwei Motorschlitten und mindestens zwei Geländewagen mit überbreiten Reifen in der Nacht Richtung Norden gefahren sind. Die Reifenspuren sind so breit, daß meine Pulka genau hineinpaßt. Bis zum Gullfoss wird die Piste auch im Winter geräumt, ab hier kommen nur noch speziell ausgerüstete Fahrzeuge weiter. Es geht zügig voran. Auf Überhose und Anorak kann ich verzichten, aber die dünne Sturmhaube vertrage ich gut. Der Nebel wird lichter. Von oben schimmert blauer Himmel durch. Nach 4 km erreiche ich meinen ersten GPS-Wegpunkt. In West-Ost Richtung kreuzt eine Überlandleitung die Piste. Die Sicht nach Westen wird zunehmend frei. Die Bergkette der Jarlhettur und der Südteil des Langjökull und etwas später auch der Blick nach Norden zum Bláfell, meinem Tagesziel - ein Wintertraum. Nur noch im Osten hängt Nebel und die Sonne scheint durch dünne, hohe Wolken. Ich folge einfach den Spuren aber auch Markierungspfähle ragen aus der dünnen Schneedecke und zeigen den Verlauf der Piste an. Nach weitern 4 Kilometern, der Wegpunkt Flugfeld mit seiner Windfahne, dann etwas in östlicher Richtung Sandá. In einer kurzen Schußfahrt gleite ich vom Talhang auf die Brücke. Östlich der Brücke eine Schaftreiberhütte und die Stelle an der ich auf meiner ersten Hochlandtour zeltete. Mittagpause mit heißem Tee und Müsliriegel. Die Sandá ist nicht zugefroren und so hole ich mir noch etwas Trinkwasser.

gifs/img0013.jpg (68 KB)Kjölur südlich des Bláfell

Weiter! Die Pulka läuft richtig gut - kein Vergleich zu gestern. Kurze Gefällestrecken wechseln sich mit kurzen Anstiegen ab. Die Schneedecke ist an etwas exponierten Stellen oft recht dünn, manchmal ist es nur der Schnee der letzten Nacht der mich vor weiteren Umwegen bewahrt. Trotzdem muß ich oft ausweichen, um mir die Ski nicht durch das kaum überbedeckte Lavageröll zu ruinieren und selbst dann kratzen die Kufen der Pulka schwer über die über die Steine. Der mäßige Wind hat nachgelassen und die Sonne ist voll aus den Schleierwolken herausgetreten. Es wird warm. Kurze Pause auf der Pulka sitzend. Das GPS gibt Auskunft: noch 3,5 km bis zum Tagesziel. Der Bláfell wächst immer weiter vor mir auf. Vom Talrand ist die verloren im Schnee stehende Brücke über die Grjotá zu erkennen, der Bach selbst ist gefroren und zugeschneit. Die Abfahrt ins Tal ist ziemlich steil und die Pulka schiebt mächtig. Ich bin froh, daß ich sie mit dem Gestänge und dem Hüftgurt gut unter Kontrolle habe, so gelingen mir selbst ein paar weite Kurven.

Der Schwung reicht bis zur Brücke. Etwa 50 m weiter, mitten im Talboden, trete ich mir mit den Ski den Schnee für einen Platz für das Zelt fest. Ich richte es nach dem schwachen SO-Wind aus. Die breiten Schneeheringe müssen mit dem Absatz tief in den Schnee gedrückt werden. Stimmt ihr Belastungswinkel, so halten sie hervorragend. Die in den Schnee gesteckten Ski bilden die Hauptverankerungspunkte in Windrichtung. Der Seesack der Pulka ist schnell im Zelt verstaut, das Zuggestänge ausgehängt und die Schlittenwanne umgedrecht in eine flache Mulde neben dem Zelt gelegt. Dann grabe ich mir in der Nähe des Zeltes mit der Lawinenschaufel ein Loch und suche nach einer möglichst sauberen Schneeschicht, steche ein paar große Brocken heraus und deponiere sie als Wasservorrat in der Zeltapsis. So, alles fertig. Nach dem üblichen kurzen Schlummer gekocht und gefuttert. Anschließend noch einen Verdauungsspaziergang.

Bláfell

Der Himmel ist klar und wolkenlos. Der Talboden liegt schon längst im Schatten. Es ist kalt geworden. Aber die Hänge des Bláfells über mir verfärben sich in einem milden Abendlicht. Ich schnappe mir meinen Photo und steige den Hang wieder hinauf der mir die nette Abfahrt beschert hatte. Von der Talschulter aus habe ich einen weiteren Blick ins Umland. Die Schatten kriechen immer weiter die Hänge hinauf während die Farbe des Gipfelaufbaus des Bláfells von Rosa nach Orange wechselt. Als wäre das nicht schon genug, geht im Osten auch noch der Vollmond auf. Langsam und immer wieder das sich stetig ändernde Bild betrachtend zurück zum Zelt. Vom Bláfellsháls nähert sich, zwar leise noch, nervöses Motorengeräusch - Motorschlitten. Wenig später tauchen ihre Scheinwerfer über eine Hankante auf und verharren wartend. Drei Jeeps folgen langsam. Ihre Lichtkegel fingern schaukelnd in der blauen Dämmerung über den Schneehang. Die Motorschlitten sägen in direkter Linie den Hang herunter und halten bei meinem Zelt. Die dick vermummten Fahrer steigen ab und wir halten einen Schwatz. Inzwischen treffen auch nacheinander die Jeeps bei uns ein. Ich habe richtig vermutet.

Kjalvegur im Winter

Es ist die Gruppe die gestern Nacht vom Gullfoss aufbrach und in deren Spuren ich heute teilweise so gut voran kam. Sie haben in einer Hütte an der Hvítábrücke übernachtet, sind dann bis zu den Kerlingarfjöll nach Osten, von dort aus wieder nach Süden über die zugefrorene Hvítá und wiederum über den Bláfellháls zurück. Eine ganz schöne Schleife, die sie da gedreht haben! Sie photographieren mich vor meinem Zelt und geben mir den Tip, daß ich in der Hütte an der Hvítábrücke übernachten könnte, wenn ich es morgen nicht bis nach Hvítárnes schaffen sollte. Nur welche Hütte sie meinen wird mir nicht ganz klar. Einer holt über Funktelephon noch die aktuelle Wettervorhersage, die man so oder so interpretieren kann, für mich ein. Sie müssen weiter. In einer Stunde etwa werden sie am Gullfoss sein, für mich war das eine Tagesetappe.

Zelt bei Kór am Fuß des Bláfell

Ich bin wieder allein. Die Stille ist vollkommen. Im Zelt mache ich noch meine Aufzeichnungen aber es wird kalt, die Finger werden beim Schreiben klamm und die Schrift beginnt zu verkrakeln. Ein Blick aus dem Zelt bietet das einzigartige Bild des Kometen Hale-Bopp der mit seinem leicht gebogenen Doppelschweif am NW-Himmel hängt. Es ist immer noch sternenklar aber der Wind hat gedreht und kommt jetzt den schneidend vom Bláfellsháls herunter. Ich verkrieche mich in meinen Schlafsack.


Zurück zu Inhalt
4. Tag Bláfell - Hvítárnes