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8. Tag Sandfell - Þjófadalur

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Copyright © Dieter Graser

Donnerstag 27. März 1997


Es weht immer noch, aber es stürmt nicht mehr. Die Sicht ist zwar nicht klar, aber die umliegenden Berge sind mehr als nur schemenhaft zu erkennen. Ein, zwei Schluck aus der Wasserflasche (on the rocks!) und zwei Müsliriegel müssen als Frühstück reichen. Das ganze Innenzelt und die Innenseite des Außenzeltes sind dick mit Reif überzogen und alle nassen Klamotten (... es waren alle naß, auch wenn sie in keiner Pfütze lagen) sind gefroren. Auch meine Faserpelzjacke ist ziemlich steif. Gepackt und das Zelt zusammen mit viel Schnee irgendwie zusammengewurstelt in die Pulka gestopft. Aufbruch nach 9:00 Uhr.

Vor mir der Sandfell der mich gestern nicht vorbei ließ. Links von meiner Route sind 2 - 3 Warten zu sehen. Es geht weiter flach bergauf aber der Wind kommt immer noch von vorn und ist stark genug um den Weg beschwerlich zu machen. Der Sturm hat seine Spuren im Schnee hinterlassen. Blankeis wechselt mit weichen Sastrugis ab. Auf dem Eis greifen die Schuppen nicht und in den Sastrugis wird der Schlitten zum Schleppanker. Zur Abwechslung Windharsch, in dem dann die Ski einbrechen. Das Vorwärtskommen ist von Anfang an mühsam und der Vortag hat viel Kraft und noch mehr Moral gekostet. Bis zur nächsten Hütte im Þjófadalur sind es 5 Kilometer. Immer wieder anhalten und verschnaufen, dann die Pulka wieder anziehen und weiter. Das übliche blendende Zwielicht läßt mich die vereisten Stelle die immer häufiger werden kaum erkennen. Ich muß die Felle aufziehen, um Halt zu finden. Manchmal halte ich alle 100 Meter an um etwas auszuruhen. Die Warten ragen schwarz aus dem Schnee. Ein Wegweiser bezeichnet die Stelle an der sich der alte Weg vor dem Hang des Þjófafell gabelt. Entweder östlich am Rand des Kjalhrauns entlang, oder westlich durch das Þjófadalur und über den Þröskuldur. Nördlich des Berges treffen sich dann die beiden Wege wieder im Sóleyjardalur. Heute Morgen war ich noch der Meinung, daß es eigentlich kein Problem sein sollte noch die weiteren 15 km nach Hveravellir zu machen. Diesen Gedanken habe ich recht schnell aufgegeben. Die 5 km bis zur Hütte im Þjófadalur reichen mir für heute vollkommen.

Der schmale Eingang in das Þjófadalur, das "Tal der Diebe", ist noch gut erkennbar, aber dann wird es weiter und die Hänge weichen zurück. Einmal aus der Taldüse heraus wird der Schnee wieder weniger eisig, aber der Nebel verdichtet sich. Der Talgrund des Þjófadalur bildet ein Oval von gerade mal 2 km Länge und maximal 1 km Breite, begrenzt im Osten vom Þjófafell, im Nordosten vom Rücken des Þröskuldur und im Westen überragt von der Pyramide des Rauðkollur. Die Hütte liegt in der westlichen Talhälfte etwa auf Höhe des Rauðkollur, aber nichts ist zu sehen. Allenfalls für Sekunden tauchen schemenhaft ein paar Felsen als graue Schatten an den Talhängen aus dem Nebel auf. Eine Entfernungsschätzung ist kaum möglich. Dann wird alles wieder vom Weiß verschluckt. Wenn ich versuche in die Talmitte zu kommen, dann müßte die Hütte linker Hand liegen. Zeit mal wieder das Satellitenorakel zu befragen. Es empfängt 1,2 schließlich 3 Staelliten aber berrechnet keine Position. Die Anzeige "Low Battery" erscheint. Die Ladeanzeige der Batterien ist im Keller. Also aushängen, nach hinten zur Pulka und Batterien wechseln. Dann ein erneuter Versuch. Diesesmal klappt es. Die Position sagt: Entfernung zur Hütte 200 m auf selbem Kurs! Naja, zu sehen ist nichts, aber die Lagefehler der Karte eingerechnet kann es trotzdem nicht mehr weit sein. Also Augen auf! Kurze Zeit später taucht sie tatsächlich kurz aus dem Nebel auf und verschwindet wieder, aber die Richtung habe ich. Das Spiel wiederholt sich.

Die winzige, gelbe Hütte scheint halb im Schnee begraben zu sein, aber es ist eine angenehme Überraschung, daß der Graben des Windkolkes den Eingang vollkommen freigehalten hat. Die Außentür braucht nur unten ein wenig vom Eis befreit zu werden und schon ist sie offen. Der verwitterte Strick, mit der sie verschlossen war zerreißt dabei zwar, aber ich ersetze ihn später durch ein Stück Reepschnur. Die Pulka in den Graben heruntergezerrt und den Packsack ins Innere gebracht. Der Fußboden des Hüttenraumes ist zum Teil mit einer Eisschicht überzogen, auf dem Tisch unter dem Fenster liegt etwas Schnee und ein vereister Busfahrplan für 1996/97. Eine Heizmöglichkeit gibt es hier nicht, der Raum ist wohl zu klein um noch irgendwo einen Ofen aufzustellen. Die Temperatur in der Hütte beträgt -5 °C. Ich schaufele etwas Schnee in die leere Pulka und stelle sie in den winzigen Vorraum - mein Trinkwasservorrat. Beginne mit dem Schneeschmelzen und koche mir einen Tee, das Thermometer in der Hütte klettert langsam Richtung Null. Eintragungen im Hüttenbuch. Die Sonne kommt etwas durch die vereisten Rechtecke der Fensterscheiben. Die vorbeijagenden Schatten des Triebschnees vermitteln den Eindruck, als würde man mit dem Schnellzug durch eine Winterlandschaft fahren. Das leichte Rütteln und das an- und abschwellende Fauchen des Windes verstärken diesen Eindruck noch.

Es ist 14:00 Uhr und die Kälte kriecht langsam vom Boden zu den Füßen hoch. Ich verziehe mich in meinem Schlafsack in einem der oberen Stockbetten. Den Füßen hilft es heute allerdings zunächst nichts. Ich verdöse den restlichen Nachmittag, bis mich Geräusche an der Tür aufwecken. Besuch! Ein Mann mit signalrotem Overall, Sturmhaube und Skibrille tritt herein. Hi! Er ist der erste einer Gruppe von 4 Isländern, die von Hveravellir her kommen. Die anderen kreuzen gerade den Hang vom Þörskuldur herunter. Nachdem ich die ganze Hütte vereinnahmt habe und überall etwas zum Trocknen aufgehängt ist, muß ich wirbeln um Platz für die Neuankömmlinge zu schaffen. Die Hütte hat zwar 9 Schlafplätze aber zu fünft, jeder mit Winterausrüstung, wird es ganz schön eng. Als letzter kommt ein Zweimeter-Wikinger und beäugt mißtrauisch die kurzen Kojen und vor allem die Aufhängung der oberen Betten, und nimmt schließlich eines der unteren. Mit zwei Benzin- und einem Gaskocher heizen wir der Bude ein. Die Kerzenlampe hilft mit und ist außer den Stirnlampen die einzige Beleuchtung. Allerdings gibt es an dem winzigen Tisch nur vier Sitzplätze. Der Tisch quillt über mit Kochern und Futtervorräten. Immer wieder muß einer Schnee in die Töpfe füllen und die Benziner fauchen vor sich hin. Diese Geräte sind und bleiben mir nicht ganz geheuer. Wenn sie mal laufen ist es in Ordnung, aber die Anheizprozedur scheint mir etwas kritisch.

Hütte des FÍ im Þjófadalur

Die vier Isländer kommen von Norden und haben heute 60 Kilometer gemacht! Wie bitte? Ja, sie haben Segel und bei dem Wind haben sie ein gutes Tempo vorgelegt. Sie erklären mir das Prinzip. Die Segel sind verkleinerte Rundkappenfallschirme mit etwa 2m Durchmesser und nur 6 Leinen. Je 3 Leinen werden zusammengefaßt und um die Enden eines etwa 70 cm langen Stabes (Besenstiel) gewickelt. Der Stab kann in der Mitte an einem Gurtzeug befestigt werden. Durch Schrägstellen des Stabes wird die Kappe gesteuert. Wird der Zug zu stark, oder im Falle eines Sturzes gibt man ein Ende des Stabes frei. Drei der Leinen lösen sich dann vom Stab und die Kappe öffnet sich zur Fahne. Simpel aber effektiv - solange der Wind aus dem Rückenwindsektor kommt. Die Schirme werden in Island von einem ausgebildeten Fallschirmnäher zu den Segeln umgebaut, und unter Freunden weitergegeben.

Satt und müde beginnen wir die Kojen herzurichten. Beim obligatorischer Gang nach draußen trifft mich fast der Schlag. Der Himmel ist Sternenmeer, hinter der winzigen Hütte erhebt sich die dunklen Shiluette des Rauðkollur und über diesem hängt wie weiland der Stern von Bethlehem, Hale-Bopp. Der Komet ist weit größer und heller als alle Sterne und deutlich ist sein gebogener Schweif zu sehen. Versuche das ultimative Weihnachtsphoto zu machen, scheitern am fehlenden Drahtauslöser, den ein bissiger Wind läßt mir den Finger auf dem Auflöser abfrieren. Also ab in den Schlafsack. Die Isländer schnarchen schon um die Wette und ich stöpsel mir vorsorglich die Ohren zu. Gute Nacht.


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9. Tag Þjófadalur - Hveravellir