Wenn wir auch aus sehr trauriger Veranlassung
unsere Reise nach Island antraten, ungeahnten Mühsalen
und körperlichen Strapazen entgegengehend, so waren
wir doch froh als an einem regenreichen Junimorgen
die „Ceres" (der Forenede Dampskibs-Selskab) ihren
Anker am Islandquai lichtete und wir Kopenhagen
verließen.
Die monatelangen Vorbereitungen für unsere Reise
durften wir hiermit als beendet ansehen und wir traten
in eine neue Phase unserer Expedition.
Wir hatten starken Sturm während der drei Tage
bis wir Edinburgh erreichten. Dort genossen wir bei
herrlichem Wetter den wundervollen Blick von King-
Arthur's Seat, über Meer und Land bis zur fernen Firth-
of-Forth-Brücke. Ein ruhiger Reisetag im Schütze der
schottischen Küste folgte. Wir passierten die, unserem
Kurse fernerliegenden Orkney-Inseln. Am Tage darauf
lag die „Ceres" mehrere Stunden vor Thorshavn auf der
Faer-Øe Strømø und wir konnten einige Zeit an Land
gehen. Wir unternahmen einen sehr schönen
Spaziergang auf die hinter dem malerischen Fischerstädtchen
sich erhebenden Höhen. Im Genuß des festen Bodens
unter unseren Füßen und des herrlichen Sommerwetters
dehnten wir ihn fast zu lang aus, so daß wir erst
drei Minuten vorm Lichten des Ankers wieder an Bord
waren.
Die Stufenlagerung des Basalts, der Faer-Øer
(Schafinseln)*) wurde in den höheren Teilen der Inseln
durch feine Schneestreifen noch stärker
hervorgehoben. Breite Grasflächen bedeckten zum Teil die
schroffen Hänge, auf denen viele Schafe, gewandt
herumkletternd, weideten. Silberschlangen gleich jagten
Schmelzbäche an den Wänden herab, an jeder Stufe
*) H. Erkes gibt in seiner Broschüre „Reisebilder von den
Faer-0er" in den Deutschen Geographischen Blättern ein
lebensvolles Bild von der Natur und den Bewohnern der Inseln.
schäumende Fälle bildend. Unzählige Kare in allen
Stadien der Entwicklung unterbrachen die großen Linien
der hohen Bergwände. Selten nur zeigten sich an
niedrigen geschützten Stellen bescheidene menschliche
Ansiedlungen.
Als wir nach mehrstündiger Fahrt zwischen den
Inseln und kurzem Aufenthalt in Klaksvík auf Borde,
wo Passagiere und Post an Bord genommen wurden,
wieder in den Atlantic steuerten, setzte ein Sturm ein,
der sich von Stunde zu Stunde steigerte.
Die tapfere, kleine „Ceres" hielt sich bewunderns-
wert, denn 60 Fuß hohe Wellen waren etwas viel für
sie. Nach 48 Stunden hatten wir kurze Zeit
Windschutz an den zu Island gehörigen
Westmänner-Insein. Von jetzt an führten wir außer dem Danebrog
auch die isländische Flagge, einen weißen Falken im
blauen Felde. Noch einen Tag und eine Nacht mußten
wir gegen Sturm und Meer kämpfen, bis wir am
24. Juni vorm. endlich Reykjavík erreichten.
Selbst hier im Hafen gingen die lichtgrünen Wogen
hoch, was beim Ausbooten mannigfache Schwierigkeiten
verursachte.
Auf der Mole — eine Landungsbrücke existiert
nicht — die von Isländern aller Geschlechter und
Menschenalter dicht besetzt war, mußten wir durch die
hochaufbrandenden Wellen patschen und uns mühsam
durch die Menschenmenge hindurchwinden. Man war
in unseren Anblick so versunken, daß man vergaß uns
Platz zu machen. Wir sahen, daß die ganze Stadt
beflaggt war und setzten den wenig gastfreundlichen
Empfang der biederen Leutchen auf Kosten eines
hohen Festtages; wie erstaunt waren wir hernach zu
erfahren, daß nur den „Ceres"-Passagieren zur Ehre
die Fahnen wehten - trockene Stiefel zu behalten,
wäre uns lieber gewesen.
Nach zehn Minuten aber entschädigte dafür
die angenehme Aufnahme, die uns im „Hotel
Reykjavík" durch Frau Zoega zuteil wurde. Zwar
zahlten wir englische Preise, wurden aber auch —
wenn man bedenkt, wie viel Mühe und Kosten die
Beschaffung vieler Lebensmittel dort verursacht — sehr
gut verpflegt. So lange wir in ihrer Hut waren, sorgte
Frau Zoega mütterlich für uns und noch oft bringen
mir die Schiffe Grüße von ihr und der fernen,
schönen Insel.
Auch dem deutschen Konsul, Herrn Ditlev
Thomsen in Reykjavík, der uns mit Rat und Tat
unermüdlich zur Seite stand, sind wir zu großem Dank
verpflichtet.
Unser brieflich engagierter, telegraphisch nach
Reykjavík bestellter Führer Sigurður Sumarlidason,
traf am nächsten Tage mit seinen eigenen acht Pferden
aus Akureyri, der Hauptstadt des Nordlandes ein.
Unser, noch aus Berlin an ihn gerichtetes Telegramm
hatte ihm vollkommen Zeit gelassen, den achttägigen
Ritt auf der Poststraße von Akureyri-Reykjavík bis zu
unserem Eintreffen in Island auszuführen.
Jetzt wurde allerseits eine eifrige Tätigkeit
entwickelt.
Herr Reck und er kauften an zwei Tagen die
vorläufig für unsere Expedition noch nötigen weiteren
zehn Pferde, bei der großen Bedächtigkeit der Isländer
war dies eine bewundernswerte Leistung. Ich hatte
25 aus Deutschland mitgebrachte Proviantkisten
auszupacken und deren Inhalt in drei große Hauptrationen
für die verschiedenen Teil-Expeditionen, diese dann
wiederum in Wochenportionen für drei bezw. vier
Personen einzuteilen.
Der Proviantteil für die Askja-Expedition wurde
wieder verpackt und der nach Akureyri fahrenden
„Ceres" mitgegeben und der für die Südland-Expedition
bestimmte Teil bei Seite gestellt. Die jetzt noch
zurückbleibenden Dosen verschiedenartigster Größe verpackte
der Führer mit viel Geschicklichkeit in einige kleine,
schmale Packkisten, für den ersten kurzen Ritt von
einer Woche in die Halbinsel Reykjanes. Alle
Packkisten sind von gleicher Größe, ca. 60 cm lang, 50 cm
hoch und 30 cm breit. Je zwei derselben müssen genau
gleiches Gewicht haben, das 3/4 Zentner nie überschreiten
darf, da jedes Packpferd stets mit zweien belastet wird,
die seitlich am Packsattel aufgehängt werden.
Nach mannigfachen Ratschlägen erfahrener
Reisender hatten wir unseren Proviant zusammengestellt.
Die Wahl desselben, sowie die Art der Verteilung auf
zwei Mahlzeiten des Tages hat uns dauernd befriedigt.
Alle Suppen-, einen Teil der Gemüse- und die Fleisch-
konserven hatten wir von der bekannten Firma Carstens
in Lübeck bezogen, ihren Nährwert und ihren Wohl-
geschmack haben wir vom ersten bis zum letzten Tage
unserer Expedition gleich wohltuend empfunden.
Zur Arbeit jener ersten Tage in Reykjavík
gehörte auch ein „Vergnügungsritt", den wir zum Fuße
des ungefähr 20 km entfernten Vorgebirges Esja
unternahmen. Nach diesem siebenstündigen Ritt, bei welchem
mein aus Deutschland [mitgebrachter Damensattel
ausprobiert wurde, erklärte der Führer rundweg, ich müßte
im Herrensattel reiten, er übernehme sonst keine
Garantie, mich sicher durch jauch nur einen einzigen
Gletscherfluß [zu [bringen. Da auch Konsul Thomsen
und Ögmundur Sigurdsson Sigurðurs Behauptung als
absolut berechtigt unterstützten, mußte ich mich dazu
entschließen. Die Praxis des Reitens in Island zeigte
mir bald genug, wie notwendig es gewesen, der
wohlgemeinten Forderung nachzukommen.
Erst abends wurde mit aller Arbeit Schluß gemacht.
Nachdem dann noch einige Stunden zum Briefeschreiben
benutzt waren, genossen wir Ruhe und Abwechslung,
indem wir mit einigen jungen Isländern, die wir auf
der „Ceres" kennen gelernt hatten, unseren
Mitternachtsspaziergang unternahmen. Meist endete derselbe auf
dem Arnarhöll (spr. Arnarhoddl), einem sagenumwobenen
kleinen Hügel, direkt am Hafen. Eigenartig waren
diese linden, hellen Sommernächte. Wir saßen dort,
hinausschauend auf das unendliche Meer, dessen Wogen
im mächtigen Schwung heranrauschten, den Blick gen
Westen gewendet. Im breiten, roten Streif, unter
dunkler Wolkenbankung, versank allmählich eine
glutfarbige Sonne, um nach kurzer Zeit wieder aufgehend,
alles erneut in zartes, klarstes Licht zu tauchen.
Die Isländer erzählten aus ihren Sagas — draußen
im Hafen lagen mehrere Fischdampfer verankert,
vereinzelte Ruderschläge ertönten, auch wohl ein Ruf von
Boot zu Boot — ein Reiter sprengte in geringer
Entfernung durch die stillen Straßen seiner fernen Farm
zu und einige Katzen schlichen durch das hohe, mit
farbenglühenden Feldblumen durchstickte Gras, das
uns umgab.
Schon nach vier Tagen waren wir marschfertig und
ritten nun, um wie erwähnt, meine Ausdauer im Reiten
zu prüfen, für eine Woche in die südlich von Reykjavík
gelegene, von alten und jungen Laven bedeckte
Halbinsel Reykjanes.
|