Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel II.

Reykjanes und Krísuvík.


Aus lichtem Sommersonnenschein, in welchem wir Reykjavík verließen, in Njarđvík unser erstes Zeltlager aufschlugen und weiter am zweiten Tage über Kirkjuvogur ritten, waren wir, sowie wir in das Gebiet der Solfataren am Kap Reykjanes gelangten, wie in einen Nebelsack geraten. Die ganzen Tage sahen wir am Kap, wo unser Lager war, unter einem grauweißen Himmel außer Lava und ein wenig Gras nichts als Dampf, Nebel und Regen.

Der Ozean muß herrlich dort sein, wir konnten ihn nur ahnen, als wir zur Mitternachtsstunde in der sonderbar diffusen Beleuchtung seine majestätischen Wogen in rasender Wucht an den Strandwall riesiger Blöcke unterhalb der wilden Palagonitklippen, brausend branden hörten.

Aber Farben konnten wir sehen an den Solfataren von Reykjanes! Das zersetzte Gestein und mineralische Niederschläge bilden mit ihren verschiedenartigsten Tönen wundervolle Muster, wie jene verblichener alter Seidenbrokate. Die tiefsten, wärmsten und die zartesten duftigsten Töne vereinigen sich in natürlichster Harmonie; Carmin, Preußisch Blau, Schieferfarben, Gelbrot, Zinnober, alle Ockertöne, Lichtgelb des Schwefels und helles Blaugrau der kochenden Schlammpfuhle schaffen mit wenig kurzem Gras und smaragdgrünem Moos, der einzigen Vegetation, aus dieser Einöde ein Paradies für das Auge.

Ewiges Sausen und Zischen des freiwerdenden Dampfes, des gurgelnd kochenden Tons schließen das Ohr für alle von fernher dringenden Laute.

Behagliche Wärme des Bodens läßt einen fast vergessen, daß man dicht eingehüllt ist in die nebelartigen Dampfwolken.

Viele Stunden habe ich inmitten dieser geschäftigen Naturwerkstatt gesessen, ohne den Schwefeldampf als besonders lästig zu empfinden. Es ist mir rätselhaft, wie man das "Hölle" nennen kann, wo das Auge sich entzückt an den wunderbaren Farben, die keines Künstlers Pinsel den Schönheiten des ewigen Schöpfers nachzubilden fähig ist.

Als wir uns nach zwei Tagen schwer trennten von diesem hochinteressanten Gebiet, bedurfte es nur eines zweistündigen Rittes, um uns wieder aus dem Bereiche der ewigen Nebelschwaden zu bringen. Lachend im Sonnenschein, lag, mit grün bewachsener Lava und schönen Weidestrecken die Landschaft Grindavík, flach am tiefblauen Ozean entlanggestreckt vor uns.

Weiter führte uns der Ritt in malerische Gebirge, auf dessen Hängen uns erneut Nebel umhüllten, die wir aus dem Ozean ersteigen und in langen wallenden Schleppen zwischen den Bergzügen hinaufkriechen sahen. Als wir die Höhe erreicht, ritten wir über den Nebeln weiter. Das wogenlos wallende Meer überragten die höchsten Berge inselgleich, ihr dunkles Gestein stach grell ab gegen die weißen Nebelschwaden, die, ruhelos zwischen ihnen wandernd, immer neue Ausblicke schufen.

Neun Stunden, nachdem wir Kap Reykjanes ver- lassen, kamen wir nachts um l 1/2 Uhr bei der Farm von Krísuvík an. Noch ehe wir zur Ruhe kamen, ging die Sonne wieder auf.

In den prangendsten Farben schmückt sich der isländische Himmel zur Zeit der Mitternachtssonne; wie wenig Augen bewundern diese Pracht, die sich Nacht um Nacht entfaltet, ohne nach Beifall zu heischen, immer aufs neue erblüht — eine stumme Predigt. — Ein heißer Tag glühte uns entgegen, als wir drei, Herr Reck, Sigurđur und ich um 11 Uhr vormittags über Wiesengrund den Solfataren von Krísuvík zuwanderten.

Es ist zwar sehr sympathisch, daß man in Island ein gänzlich plakatfreies Land findet, — „das Betreten der Wiesen" ist überall gestattet, das Versinken in Morästen und das Verirren in den Wüsten aber dementsprechend auch. Hier nun war es weniger schwer, richtig ans Ziel zu gelangen, da wir schon vom Zelt aus die Solfataren hoch oben an der Berglehne dampfen

sahen. Im Gegensatz zu denen von Reykjanes, welche fast alle in einer Ebene liegen, befinden sich diese größtenteils auf recht abschüssigem Terrain.

Wir hatten die Entfernung vom Zelt zu den Solfataren, der klaren Luft Islands nicht gedenkend, bedeutend unterschätzt; das für „inzwischen mal" verabredete Frühstück am Zelt entbehrten wir lieber als daß wir den mühsamen Weg über die mehr als eine Stunde breite Mýri noch zweimal extra gemacht hätten.

Mýri nennt der Isländer eine sehr feuchte Wiese, bei welcher, aus einem oft mit stehendem Wasser oder Morast erfüllten tiefer liegenden Niveau, Hügel dicht an Hügel sich erhebt. Dieselben sind durchschnittlich 2—3 Fuß hoch und meist gleich Maulwurfshügeln seitlich stark abfallend. Im glatten kurzen Gras, das sie

bedeckt, gleitet man leicht und da die kleinen Gräben fast ohne Ausnahme jeden einzelnen abtrennen, gehört ein tüchtiger Schritt dazu, um ohne auf- und abzuklettern, auf den Spitzen sprungweise vorwärtszukommen. Für den Zuschauer, der uns in Island fast ausnahmslos fehlte, muß diese Art Vorwärtsbewegung sehr vergnüglich sein, — man wird recht warm dabei.

Dieser Mýri hatten wir es zu danken, daß wir ohne das geringste zu essen oder zu trinken, — denn —außer lauwarmen Solfatarenabflüssen fanden wir nichts —volle zwölf Stunden in Sonnenhitze bergauf und bergab kletterten.

Inzwischen wurde hier und da gerastet, alsdann machte Herr Reck mit Sigurđurs Hülfe Vermessungen, zeichnete Profile und machte seine wissenschaftlichen Notizen, während ich skizzierte. Steine wurden auch gesammelt und zum ersten Mal betätigte ich mich hierbei erfolgreich, indem ich ein sehr schönes großes Stück alter Lava mit Schrammen fand, das sich jetzt im geologischen Museum zu Berlin befindet. Bei unserem stundenlangen Umherstreifen lernten wir die malerische Gegend gut kennen.

Der Gebirgszug, — Sveifluháls (spr. ßwehblühauls) — an dessen Ostflanke die Solfataren von Krísuvík hervortreten, besteht aus dem in Island sehr häufigen gelbbraunen Palagonit, dessen malerische, oft ans Groteske streifende Bergbildung weit abwechslungsreichere Landschaftsbilder bietet, als die im Norden und Nordwesten der Insel so stark vertretene Basaltformation, deren wagerechte Lagerung an den tief eingeschnittenen Fjorden oft meilenlang in ununterbrochener Eintönigkeit hervortritt.

Von einem hohen lavabedeckten Palagonithügel, der mit kurzem Birkengestrüpp, Heidekraut und silbergrauem Moos bezogen war, bot sich ein weiter Fern- blick über die Ostseite des Sveifluháls. An seinem Fuße zog sich ein langgestreckter ultramarinfarbener See hin. In der sinkenden Sonne hoben sich die wunderbar gezackten Bergschatten in tiefblauen Tönen von dem grellgelben, beleuchteten Gestein ab. Tief unten vom Wiesengelände am See erklangen die melancholischen Rufe des Spói.*) Professor Heusler sagt, daß die „eigentümliche Melodie seines Schlages, die in ruhigen Tönen aufsteigt und mit einem Triller endigt zu der isländischen Heidestimmung gehört".

In den „Eislandblüten" J. C. Poestions, einer Sammlung neuisländischer Lyrik, findet sich folgendes hübsche Gedicht:

Der kleine Brachvogel.
Frühlingslied von Pal Olafsson.

Du Unrast in dem Vogelreiche,
Du fliegst und singst zu allen Stunden,
Wie sinnlos immer an die gleiche
Gesangesweise festgebunden.

Doch mag dein Lied auch gleich erschallen,
Klingt stets die gleiche Weise wieder,
Mir kann kein Vogelsang gefallen,
Als deine Laute, deine Lieder.

Und jedes Lied, wie jede Weise,
Es gilt — so ganz nach meinem Sinne —
Dem gleichen Hoffen, einem Preise,
Derselben Lust, derselben Minne.

An die scheue Zutraulichkeit des Spói, mit der er besonders den einsamen Wanderer begleitet, gewöhnt man sich gern; er fliegt stundenlang vor und neben einem her, hier und da von höheren Plätzen ausschauend, wohin man sich wenden möge, dabei unaus- gesetzt seinen langgezogenen Ruf ertönen lassend; man entbehrt ihn auf wochenlangen Ritten durch die todes- stillen Einöden Zentral-Islands und begrüßt erfreut den kleinen Freund, wenn man in der Nordlandsheide wieder seine Stimme hört.

Der Isländer sagt, es bringe Unglück einen Spói zu schießen; wer die zutrauliche Harmlosigkeit der Tierchen beobachtete, wird dies kaum als einen Aber- glauben auffassen, sondern vielmehr hierin die mensch- liche Gesinnung gegen Tiere anerkennen, von der Richard Wagner erklärt, sie sei die der Selbsterhaltung nächste und schönste Pflicht.

Der Isländer liebt auch sein Pferd außerordentlich, er versorgt es stets aufs beste; nach anstrengenden, tagelangen Ritten, wie wir sie fast durchweg aus- führten, ist ihm das Wohlergehen der Pferde wichtiger als eigene Ruhe, Essen und Trinken. Auch an mir selbst mußte ich dauernd erfahren, daß die Pferde bedeutend wichtiger waren als ich, hing doch in letzter Linie unser aller Existenz mehr als einmal von der Zähigkeit, Ausdauer und Kraft unser treuen Tiere ab.

Die Sage erzählt, daß in alter Zeit, als in der Almannagjá noch das Thing Gericht sprach, ein Mann wegen schweren Vergehens zur Todesstrafe verurteilt wurde. Gewandtheit und sein schnelles Pferd ließen ihn aus dem Kreise der Richter entkommen, aber viel Volks war zugegen und schnell schwangen sich einige Männer aufs Pferd, ihm, der einen guten Vorsprung gewonnen, nachzujagen. Auf dem weglosen Terrain sahen sie keine Spur, der sie folgen konnten, die Entfernung ward größer, Hügel verdeckten ihn, — dort vorn hielt einer und ließ sein Pferd trinken, in aller Ruhe _ konnte das ein dem sicheren Tode entfliehender Schuldiger sein? Nimmermehr! Die Verfolger wählten eine andere Richtung und der Mann, denn es war jener, den sie suchten, war gerettet. Gerettet, wenn es als eine Rettung zu bezeichnen ist, zwanzig Jahre in den Wüsten Islands als Ütilegumaöur (Geächteter, Professor Maurer übersetzt Útilegumađur mit Draußenlieger) vogelfrei weiterzuleben und auf diese Weise — wie es in alter Zeit der Brauch war — seine Strafe abzubüßen.

Im Andenken an obige alte Mär zitiert der Isländer

oft: Sei nie in solcher Eile, daß du nicht deinem Pferde einen Trunk gönnen könntest.

In mancher Dichtung wird auch der treue Gefährte des Menschen auf langer mühevoller Reise, das islän- dische Pferd, gefeiert.

Den folgenden Tag hatten wir nur fünf Stunden zu reiten, was uns recht, willkommen war, denn da wir, wie üblich, unser Mittagessen erst um 12 Uhr p. m. eingenommen hatten, fiel die Nachtruhe nicht sehr lang aus.

Unser Ritt führte uns noch einmal durch die malerische Gegend, welche wir gestern auf unseren Streifzügen so gut kennen gelernt hatten. Ein schroffer Abstieg an der westlichen Seite des Sveifluháls brachte uns auf sehr üble, mit tückischen Spalten durchsetzte Lava, darauf über einen Hügelrücken und jetzt führte Herr Reck nach der Karte und auf gutes Gelingen südwärts durch die Bergwildnis weiter; — unser Führer hatte diesen Teil der Halbinsel noch nie betreten. Um 9 Uhr abends erreichten wir wohlbehalten einen außer- ordentlich hübschen Zeltplatz dem Keilir (spr. Kjehlir) gegenüber am Fuße der Trölladyngja (spr. Tröddla- dingja).

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*) Der kleine Brachvogel (Scolopax phaeopus L.), isländisch Spói, ist eine Schnepfenart mit langem gebogenem Schnabel und gilt bei den Isländern als Singvogel. (J. C. Poestion.)


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