Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel VII.

Laki.


Th. Thoroddsen, der bekannte Islandreisende, war vor zwanzig Jahren, geführt von dem Vater des jetzigen Farmers von Holt, — einem sehr alten Manne — in Laki gewesen; so bestand noch eine Überlieferung bezüglich der Erreichung unseres Zieles, dieselbe nützte uns aber nur wenig.

Auch seit Hellaed, dessen Spezialkarte Herr Reck zu benutzen suchte, im Jahre 1883 hier gewesen, müssen die Naturkräfte, hauptsächlich wohl durch die in vegetationslosen Gebieten stärker noch als sonst in Island wütenden Sandstürme, sehr umgestaltend gewirkt haben!

Die ersten zehn Stunden ging es durch Flüsse, über wilde Lava, durch Sumpfgebiet leidlich gut vorwärts, dann aber saßen wir fest.

Der junge Farmer von Holt, welcher uns als Lokalführer begleitete, hatte mitgeteilt, daß seinerzeit Thoroddsen an den Quellen der Varmá (spr. Warmau), wo sich Gras für die Pferde gefunden, sein Lager aufgeschlagen hatte. Die Quellen der Varmá suchten folglich auch wir zu erreichen. Nach den Karten mußte zu dem Zweck aber dieser Fluß, an dem wir uns jetzt befanden, durchritten werden. Der Fluß mochte 100 Meter breit sein, an seinem linken Ufer, auf dem wir standen, reichten schwarze Lapillihügel, die Ausläufer der Laki-Krater-Kette bis an seine Steilufer hinab. Auch das rechte Ufer war von einer dicken schwarzen Lapillischicht überzogen. Eine Menge reich bewachsener Inselchen zerteilten den Fluß in ein Gewirr von Armen. Die Inseln waren mit hohem Gras, vielen Blumen und leuchtendgrünem Moos dicht bewachsen, ihre tückischen Lavazacken waren hierdurch vielfach verhüllt.

Die Männer hielten Rat, darnach suchte zuerst Jön allein eine Furt, er sprengte nach Nordosten und war in wenigen Minuten hinter den Hügeln verschwunden. Die Pferde zeigten eine schaudernde Abneigung gegen den Fluß, sie waren nicht zu bewegen auch nur den schmälsten Arm zu überschreiten. Nach einer Viertelstunde kehrte Jón ohne Erfolg zurück, wenn es überhaupt möglich war, konnte nur hier der Fluß gekreuzt werden.

Reck und der Farmer von Holt zwangen ihre Pferde über einige der nahe aneinander liegenden Inselchen, kaum waren sie dann in einem drei Pferde- längen breiten Wasserarm als die Tiere den Boden verloren und es nur mit Mühe den Männern gelang zu wenden und sicher wieder zurückzukommen. So erwies es sich tatsächlich als eine Unmöglichkeit durch diesen, im Schmuck seiner lieblichen Inseln so harmlos aussehenden Fluß zu kommen.

Der Boden des Flußbetts war auch zurzeit des Ausbruchs von 1783 von Lava erfüllt worden, einzelne Zacken ragten hinauf bis zu wenigen Zentimetern unterhalb des Wasserspiegels, unmittelbar daneben gings meterweis in die schwarze Tiefe. Die aufragenden Zacken hätten außerdem jeglichen Schwimmversuch der Pferde sofort scheitern lassen. Wir sahen uns gezwungen diesseits des Flusses bleibend, Laki zu erreichen.

Von Nebeln begleitet sank die Dämmerung herab. Zwei Stunden wollten wir jetzt noch in die Wüste hineinreiten, in der mutmaßlichen Richtung zum Berge Laki. Hatten wir nach Verlauf dieser Zeit weder Gras noch Wasser gefunden, so mußten wir -alle zum letzten Grasplatz — (von hier aus eine Stunde hinter uns) — zurück um morgen, bei hellem Tag, aufs Neue zu suchen.

Kaum war der Beschluß gefaßt, als wir auch alle in tüchtigem Tempo wieder vorwärts sprengten. Die Pferde waren müde, aber wir wußten, daß vier Ruhetage vor ihnen lagen, wenn wir nur erst unser Ziel erreicht hatten.

Mit einem Schlage waren wir wie in eine andere Welt versetzt, die nebelhafte Dämmerung hatte sich in der düsteren Umgebung zusehends verdichtet, als wir vom Fluß ablenkend, in die Lapillidünen hineinritten. Von allem, was ich in Island gesehen, glich nichts der fremdartigen Wildheit und dem packenden Schauder dieses Nachtritts im Nebel. Das Gefühl für die Groß- artigkeit dieser weiten, wilden Wüste ward erstickt durch rein persönliches Empfinden.

Rasten wir nicht selbst wie die Geächteten hügel- auf, hügelab, daß die schwarzen koksähnlichen Lapilli knisternd unter den Pferdehufen emporsprühten?

Wunderbar gestaltete Schlackentürme und Tore ragten aus dem lockern Boden, einzelne Kraterchen trugen silberweiße Mooshauben, die sonderbar stark das wenige Licht wieder zurückstrahlten, und in dem fahlen Schein der Mitternachtsstunde war das leuchtende Rot der Schlackenhügel wiederum kaum erkennbar.

In dieser geheimnisvollen Zauberwelt lauerten ungekannte Gefahren. Wir mußten reiten über von Sand zum Teil verwehte Lava, weite Höhlen mochten sich unter ihr dehnen, bereit Roß und Reiter zu ver- schlingen, ehe die Voranjagenden sein Fehlen bemerkt.

Keine Spur führt hier hindurch, vielleicht, daß in fünfzig Jahren einmal ein sorgsamer Farmer an der Grenze der Wüste nach verirrten Schafen sucht. Keine Vör9ur sind hier errichtet, denn niemand würde Ver- langen darnach tragen, diese unheimliche Gegend zu durchqueren, aber oft äffen Lavazacken und Schlacken- gebilde einen Varäa nach, allerdings in imponierenderen Dimensionen als die Menschen sie errichten. Nur das Gefühl: dort hinüber liegt der Berg Laki, leitete Reck und ließ ihn die Richtung innehalten.

Nach zwei Stunden dieser wilden Hetze standen wir an den Quellen der Varmä; — das smaragdgrüne Moos, das sie verbrämte, leuchtete schön und selbstbewußt, drei Blümchen fanden sich auch, aber — nicht ein Halm Gras.

Neue Schwierigkeiten. Jón sollte, wie schon vorher von Herrn Reck verfügt, die Pferde zum Gras — drei Stunden zurück — bringen und uns hier nach vier Tagen wieder mit ihnen abholen, während Siguröur bei uns blieb. Der Farmer von Holt ritt mit Jön zu- rück um heimzukehren. Jön war aber die Lakiwüste auf die Nerven gefallen, er wollte nicht allein bleiben, der Farmer sollte ihm — für 6 Kr. den Tag, Gesellschaft leisten. Ich war unbeteiligt bei den Verhand- lungen und hatte alle Hände voll zu tun, in denkbar kurzer Zeit für fünf Tage allen Proviant für Jön samt Reservezelt, Kochapparat, Spiritus etc. aus den zwölf Packkisten zusammenzusuchen.

Schwer war alles im Halbdunkeln herzurichten, zwischen den 22 Pferden, von denen mich mehrere dicht umstanden, um sich am Heu der Verpackung ein wenig wohlzutun.

Fauchend und isländisch murmelnd trabte Jön hin und her, aber schließlich schüttelten er und der Farmer uns mit einem frischen „Veriđ ţjer saelir" („Seid gegrüßt" = Leben Sie wohl) die Hand zum Abschied, augenscheinlich war also die Angelegenheit zu aller Zufriedenheit erledigt. Da inzwischen die Cognacflasche entkorkt und eine Tasse zur Hand war, gab es einen Abschiedstrunk.

Darauf sprengten Jón und der Farmer, gefolgt von den zwanzig ledigen Pferden zurück in den Nebel und in wenigen Minuten war der letzte Hufschlag verhallt, wir waren allein und durften endlich an uns denken. So schnell wie möglich kochte ich und wir aßen trotz all' der ungewohnten Aufregung mit bestem Appetit; — 2 1/2 Uhr a. m. wars, als wir zur Ruhe kamen.

Ein seltener Genuß bot sich, als am nächsten Morgen nicht, wie üblich, schleunigst gepackt und weitergeeilt zu werden brauchte. Wir frühstückten in der Tat erst um 11 1/2 Uhr. Wohl hatte ich eine dunkle Vorstellung von einem Ruhetag, aber der berühmte Berg Laki war doch zu verlockend nahe, — so ging ich nur zu gern mit, als eben vor 12 Uhr Herr Reck und Sigurđur marschfertig bereit standen.

Eine mühevolle Kletterei begann hügelauf, hügelaby über Geröllhalden, Schneeflecke, alte moosbewachsene, jüngere zackige Lava; nach fast vier Stunden ununterbrochenen Wanderns hatten wir die Höhe des Berges Laki erreicht, von wo wir ein wunderbares Panorama bis zum Rande des Vatna-Jökull genossen. Der 850 m hohe, durch eine tiefe vulkanische Spalte in zwei Hälften gerissene Palagonitberg liegt in der Mitte der sich von Südwest bis Nordost auf 25 km erstreckenden Kraterreihe.

Einen überaus eigenartigen Anblick gewährte diese riesenweite, tote Landschaft, die seit mehr als 120 Jahren völlig unverändert dasselbe Bild bietet. Das spärliche grauweiße Moos, das langsam auf der Verwitterungskrume wuchs und die Schneeflecken, die sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt auf der abkühlenden Lava länger erhielten, waren der einzige Wechsel, die einzige Lebensspur in dem erstarrten Antlitz der Natur, seit an einem herrlichen Pfingstmorgen des Jahres 1783 mit Donner und Blitz, Erdbeben, Peuersäulen, Schwefeldämpfen, glühender Lava und kochenden Wasserströmen die vulkanischen Kräfte jenes Vernichtungswerk begannen, dessen Resultat vor uns liegt.

Wir sahen bis 50 km in die Ferne, — bläuliche Berge, grüne Seen, rote Schlackenhügel, schwarze

Lapillidünen, — Farben genug, und das alles unter einem strahlend blauen Sommerhimmel. Die Kuppe eines Regenbogens stand über dem Vatna Jökull, wo sich wie immer die Wolken ballten. Seine Gletscher und Schlammströme schienen zum Greifen nahe. Kein Laut unterbrach die atemraubende Stille dieser meilenweiten toten Welt.

Kurz nach 4 Uhr trennten wir uns auf der Spitze des Berges. Herr Reck wollte mit Sigurđur die Krater- reihe weiter nach Nordost begehen, ich dagegen, einige Skizzen aufnehmend, langsam zum Zelt zurückkehren, wo die beiden sich spätestens um 10 Uhr abends zum Mittagessen einstellen wollten.

Meine Skizze von der Höhe des Berges war bald beendet, obgleich ich mißlicherweise meine Palette im Zelt vergessen hatte und mir ein flaches Stück Doleritlava dieselbe ersetzen mußte. In Island sind Aquarellfarben ebenso wenig erhältlich als Karlsbader Oblaten oder „Die Welt am Montag", so mußte ich sehr sparsam sein mit meinen aus Deutschland mitgebrachten Vorräten und trug diese Naturpalette den Nachmittag mit mir herum. Ich kann nicht behaupten, daß mir dies sonderlich bequem gewesen, als ich mit Rucksack und in der anderen Hand den Bergstock an der sehr steilen Steinhalde des Berges herabbalanzierte.

Vom Fuße des Berges ging ich fast eine Stunde an der Kraterreihe entlang und fand zurück zu einem mit bunten Schlacken bestreuten Lavastromende, dessen eigenartige Formen und Farben schon am Hinweg mein Interesse geweckt hatten.

Schwarze Schlackenhügel schoben sich dicht um das enge Tal zusammen. Während ich eifrig malte, bedeckte sich der Himmel mit finsteren Wolkenfetzen die, wo sich ein Blick in die Ferne bot, mit der düsteren Landschaft zu verschmelzen schienen. Das silberweiße Moospolster der Lavazacken war der einzige helle Ton in dem Bilde. Die Totenstille der vergangenen Stunden war dem erwachten Winde gewichen, welcher in -einförmiger Melodie singend und sausend über die zackigen Lavahöhen, über die Hügelkuppen strich. Knisternd rieselte feiner schwarzer Sand, den er vor sich hertrieb, die Höhen hinab.

Überwältigend wirkte in den kalten Dämmerstunden dieser melancholischen Szenerie die Einsamkeit, die trotz der Schauer, die sie erregte, doch wunderbar fesselte und schwer trennte ich mich von dem Ort, den fast nie Menschenaugen in seiner ganzen Eigenart sehen.

Als ich mich aus der Schlucht wieder auf die Höhen begab, um dem Zelte zuzustreben, war die Kälte empfindlich geworden. Es war spät und ich mußte eilen, denn noch lag eine Strecke von fast zwei Stunden Wegs vor mir. Hügel auf, Hügel ab ging es von Neuem, aber als nahezu die Zeit verstrichen, ich auf jener Höhe stand, von welcher ich erwartet hatte, das Zelt zu meinen Füßen zu sehen, bemerkte ich zu meinem nicht geringen Schrecken, daß ich mich bei sinkender Nacht in diesem wilden Gebiet völlig verirrt hatte. Zu sehr glich hier ein schwarzer Hügel dem anderen, es war schon zu dämmerig, um auf weitere Entfernung ein Ziel zu erwählen und nachdem ich eine halbe Stunde ohne den geringsten Erfolg nur noch weiter in die Irre gegangen war, ergab ich mich in das Unvermeidliche, mir für die Nacht einen bescheidenen Schutz vor dem Winde zu suchen. Dem Nebel, der jede Nacht die sich tags im Sonnenschein stark erwärmenden schwarzen Hügel umhüllt, würde ich nicht entfliehen können.

Ich hatte aber doch nicht damit gerechnet, daß Herr Reck und Sigurđur am Zelt mich vermissend, sich um mein Ausbleiben beunruhigen und, soweit es in dem meilenweiten Gebiet möglich, nach mir suchen würden. Vielleicht kam, mir selbst unbewußt, der Gedanke daran und veranlaßte mich, einige Minuten auf dem Hügelrücken stehen zu bleiben; betrübt schaute ich hinab in die Talzüge, wo irgendwo mein behagliches Zeltchen liegen mußte und half so zu meiner Auffindung, da ich, mich scharf gegen den Himmel abhebend, weit zu sehen war. Als ich mit resigniertem Seufzer mich anschicken wollte, mein unfreiwilliges Nachtasyl zu wählen, bannte mich ein ferner, schwacher Anruf aus den Talgründen zu neuer Regungslosigkeit. Nur mir konnte der Ruf gelten, denn auf Meilen war außer uns Dreien keine lebende Seele. Wie lang schienen die Minuten bis ein wenig näher aufs Neue der Ruf ertönte — und wieder verstrich einige Zeit bis auf einem mehrere 100 m unter mir liegenden Schneefleck eine hohe Gestalt auftauchte, die sich rasch näherte. Alle Müdigkeit vergessend, fegte ich über die Wand hinab, so viele Freudenhallohs ausrufend, als mir Atem blieb. Ich war sehr dankbar, für meine Unachtsamkeit nicht arge Schelte zu bekommen, hatte ich doch einen Kompaß in der Tasche, den ich nur aus Gedankenlosigkeit nicht rechtzeitig konsultiert hatte. Eine halbe Stunde trabte ich noch neben Herrn Reck her, ehe das Zelt — zwei Stunden später als verabredet — kurz vor 12 Uhr nachts erreicht wurde.

„Well — I say — — but now it's all right", war Sigurđurs Begrüßung, bei welcher allerdings der warme Händedruck mehr sagte, als die ruhigen Worte.

Den nächsten Tag war ich aber doch durch mein Erlebnis so eingeschüchtert, daß ich mich nicht aus der nächsten Umgebung des Zeltes entfernte. An Arbeit litt ich indessen keinen Mangel; einen langen, langen Tag war ich ganz allein, da Herr Reck und Sigurđur mich früh, wieder in östlicher Richtung wandernd, verließen.

Strahlend heiß schien die Sonne auf mich herab, während ich mich mit allerhand Hausfrauensorgen, Vor- räte revidieren, Flickereien, Waschen und Zeugtrocknen mit befriedigendem Erfolg betätigte. Einige Stunden skizzierte ich dann und trug Notizen nach.

Als all dieses beendet, „deckte ich den Tisch", ein Luxus, den wir uns nur bei längerem Aufenthalte an einem Lagerplatz gestatten konnten. Eine Packkiste wurde zu diesem Zweck mit einem reinen Handtuch bedeckt und geschmückt durch einen „Tafelaufsatz", hier eine Konservendose mit smaragdgrünem Moos, in das einige winzige weiße Blümchen hineingestellt waren; beides gedieh an den Wasserrädchen, die an unseren Zelten vorbeiflossen. Fast ohne Ausnahme war sonst die weite Wüste nur mit dem grauweißen, bereits erwähnten Moosteppich bezogen.

Auch die Teller und Bestecke, beziehungsweise der Löffel, wurden für jeden hingelegt und die bis zum Rande mit Kompott gefüllten Aluminiumtassen danebengestellt.

Mag der zivilisierte Europäer es gutmütig belächeln, für uns, die wir gewöhnt waren, nach zwölfstündigem Ritt „etwas" müde, auf einer Packkistenecke balanzierend den Teller mit Essen entgegenzunehmen, machte dieses einen außerordentlich festlichen Eindruck. Allerdings ward mir überhaupt selten ein Sitz zu teil, meistens habe ich in der Kochecke knieend gegessen, denn meine Aufmerksamkeit mußte geteilt werden zwischen den drei sich rapide leerenden Tellern und den kochenden Töpfen, die mitsamt brennenden Spirituskochern jeden Augenblick bereit waren, umzustürzen, was sowohl unsere Mahlzeit verringerte, als auch bei Sturm unser Zelt in Brand zu setzen drohte. Es war dies die einzige Gelegenheit, bei der Herr Reck „nervös" werden konnte, und ich durfte nicht auf Mitleid rechnen, wenn ich in solchem Fall die Wahl hatte, zu hungern oder meinen Teil, der von uns allen sehr geschätzten Erbsensuppe mit Saucischen vom Leinenboden des Zeltes aufzulöffeln.

Mittlerweile waren zehn Stunden meines einsamen Tages vergangen und es war spät am Abend, als ich mir nachdrücklich überlegte, daß es, wie Scheffel sagt: „Fälle gibt und Tannenwälder, wo der Mensch sich sehnt zum Menschen".

Herr Reck und Sigurđur wollten nach zehn Stunden zurückkehren, —alles war bereit, die Suppe in den beiden Kochtöpfen, ich brauchte nur bei ihrem ersten fernen Hailoh den Spirituskocher anzuzünden, und sie kochte wenn die beiden das Zelt erreichten.

Es war ein für alle Mal das Hailoh, wenn sie des Zeltes ansichtig wurden, das Signal für mich und manchesmal habe ich erwartungsvoll danach hinausgehorcht.

Wie weit ich aber auch jetzt ausschaute, nichts war zu sehen, als ewig dieselbe schöngeschwungene Hügellinie, nichts zu hören als ewig dieselbe klingende, tönende atemraubende Stille und über mir der unendlich klare, am Horizont lichtgrüne Himmel, an dem die Sonne gesunken. Der am Tage durch die starke Erwärmung der Luft zitternde Umriß der schwarzen Hügelketten war erkaltend wieder in Regungslosigkeit versunken und selbst die Quellen schienen nicht mehr weiterzurieseln. Keine Kreatur außer mir im weiten Umkreis, nicht mal ein Spinnlein, von denen ich sonst oft ein halbes Dutzend am Morgen an meinem Zeltdach fand.

Einsamkeit bietet Islands Natur in jeder Nuance; aber die Einsamkeit des Sprengisandur war durch Stürme belebt, jene der Askja durch das Rauschen des Sees, das sonderbare Klirren des schwimmenden Bimsteins und das donnernde Getöse des Steinschlags. An den Solfataren und Schlammpfuhlen wird jedes Wort verschlungen von dem Zischen und Brausen und an den Meeresklippen erklingen die Orgeltöne des

Wogenschwalls. Die Einsamkeit von Laki packt und überwältigt durch ihre Grabesstille.

Drei Stunden noch blieb mir vollauf Zeit mich meinen Betrachtungen hinzugeben, es war zu dunkel geworden, um mich noch mit Lesen oder Schreiben zu beschäftigen und erst um 11 Uhr kamen Herr Reck und Sigurđur nach dreizehnstündiger Abwesenheit müde und befriedigt zum Zelt zurück.

Diesem herrlichen Sommertage folgte ein anderer mit Sturm und Regen.

In meinen Notizen finde ich darüber nur folgendes: „Regen, Nebel und Sturm, wir müssen im Zelt bleiben, was auch seinen Reiz hat, wenn man die Regenpfützen am Zeltboden, die Finsternis, die kaum Schreiben erlaubt (die Tür muß der Witterung halber geschlossen bleiben), die niedrige Temperatur, +5°, klatschende Zeltwände und den heulenden Sturm, der alles umzureißen droht, abrechnet."

Im Ölzeug unternahmen wir einen Spaziergang, um nicht zu sehr zu frieren und fanden in der Kälte und der ob verlorener Zeit gesunkenen Stimmung Erwärmung bei heißem Tee und Trost bei mehrstündigem Übersetzen der Helland'schen Arbeit über Lakis Kratere.

Den folgenden Tag war uns der Himmel wieder günstiger, wenn auch, als wir um 9 Uhr „aus dem Hause" gingen, uns Regenböen, Sturm und vorübergehend Schneetreiben auf den Höhen der Hügel empfing. Dieses Wetter hielt den ganzen Tag an, mit trügerisch kurzen Sonnenblicken wechselnd. Wir wanderten stundenweit über den Berg Laki hinaus bis zur Hälfte der jenseitigen Kraterreihe, wo Herr Reck lange mit wissenschaftlicher Arbeit beschäftigt war. Meine Skizzen verlangten viel Aufopferung von mir, da es so sehr kalt war im Regen und Wind stundenlang still zu sitzen. Nach zwölf Stunden waren wir erst wieder am Zelt.

Früh um 7 Uhr am nächsten Morgen weckte uns Pferdegetrappel. Jön war schon da und jetzt wurde eiligst — was immer drei Stunden dauerte — gefrühstückt, gepackt, gesattelt und aufgeladen und hinauf gings auf das liebe Pferdchen. Das gab nun mal einen wirk- lichen Ruhetag; zwölf bis dreizehn Stunden durch Islands Wüsten, Sande, Sümpfe und Flüsse zu reiten war für mich immer noch erfrischend im Vergleich zu acht Stunden zu Fuß über die Lava, die Felswände und die Lapilli zu kriechen.

Wir kamen an diesem Tage in zehn Stunden wieder zu Ţorsteinn von Svartignúpur. Der enorme Umweg über Skál und Holt, der lediglich der Skaptá- Furt halber unternommen war, wurde nicht gemacht; — zwar mußten wir dafür mit einem Lokalführer die fünfundzwanzig Arme des recht reißenden Eldvatn kreuzen. Nachdem goß es drei Stunden lang in Strömen auf uns herab, wir ritten aber dann noch ebenso lange, so daß wir und unsere Pferdchen wieder trockneten, ehe wir Svartignúpur erreichten.

Es war uns ganz heimatlich, wieder auf Ţorsteinns Grund und Boden anzulangen, er selbst schien uns ein guter alter Freund, wenn wir ihn auch erst vor neun Tagen kennen gelernt hatten.

An unserem hübschen Lagerplatz dort war auch nichts verändert, noch blühten in Fülle die farbenreichen Wiesenblumen im saftigen Gras an dem klaren Bach, der die Schlucht durchrieselte. Der Zwergenzian, dessen zarte Pflänzchen kaum 3 cm Höhe erreichen, strahlte noch im gleichen tiefen Blau wie sein kontinentaler Bruder, und im lichtweißen Neuschnee leuchtete im Sonnenschein der Mýrdalsjökull von Süden her.


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