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Th. Thoroddsen, der bekannte Islandreisende, war
vor zwanzig Jahren, geführt von dem Vater des jetzigen
Farmers von Holt, — einem sehr alten Manne — in
Laki gewesen; so bestand noch eine Überlieferung
bezüglich der Erreichung unseres Zieles, dieselbe nützte
uns aber nur wenig.
Auch seit Hellaed, dessen Spezialkarte Herr Reck
zu benutzen suchte, im Jahre 1883 hier gewesen, müssen
die Naturkräfte, hauptsächlich wohl durch die in
vegetationslosen Gebieten stärker noch als sonst in Island
wütenden Sandstürme, sehr umgestaltend gewirkt
haben!
Die ersten zehn Stunden ging es durch Flüsse,
über wilde Lava, durch Sumpfgebiet leidlich gut
vorwärts, dann aber saßen wir fest.
Der junge Farmer von Holt, welcher uns als
Lokalführer begleitete, hatte mitgeteilt, daß seinerzeit
Thoroddsen an den Quellen der Varmá (spr. Warmau),
wo sich Gras für die Pferde gefunden, sein Lager
aufgeschlagen hatte. Die Quellen der Varmá
suchten folglich auch wir zu erreichen. Nach den
Karten mußte zu dem Zweck aber dieser Fluß, an
dem wir uns jetzt befanden, durchritten werden. Der
Fluß mochte 100 Meter breit sein, an seinem linken
Ufer, auf dem wir standen, reichten schwarze
Lapillihügel, die Ausläufer der Laki-Krater-Kette bis an seine
Steilufer hinab. Auch das rechte Ufer war von einer
dicken schwarzen Lapillischicht überzogen. Eine Menge
reich bewachsener Inselchen zerteilten den Fluß in ein
Gewirr von Armen. Die Inseln waren mit hohem
Gras, vielen Blumen und leuchtendgrünem Moos dicht
bewachsen, ihre tückischen Lavazacken waren hierdurch
vielfach verhüllt.
Die Männer hielten Rat, darnach suchte zuerst
Jön allein eine Furt, er sprengte nach Nordosten und
war in wenigen Minuten hinter den Hügeln
verschwunden. Die Pferde zeigten eine schaudernde
Abneigung gegen den Fluß, sie waren nicht zu bewegen
auch nur den schmälsten Arm zu überschreiten. Nach
einer Viertelstunde kehrte Jón ohne Erfolg zurück,
wenn es überhaupt möglich war, konnte nur hier der
Fluß gekreuzt werden.
Reck und der Farmer von Holt zwangen ihre
Pferde über einige der nahe aneinander liegenden
Inselchen, kaum waren sie dann in einem drei Pferde-
längen breiten Wasserarm als die Tiere den Boden
verloren und es nur mit Mühe den Männern gelang
zu wenden und sicher wieder zurückzukommen. So
erwies es sich tatsächlich als eine Unmöglichkeit durch
diesen, im Schmuck seiner lieblichen Inseln so harmlos
aussehenden Fluß zu kommen.
Der Boden des Flußbetts war auch zurzeit des
Ausbruchs von 1783 von Lava erfüllt worden, einzelne
Zacken ragten hinauf bis zu wenigen Zentimetern
unterhalb des Wasserspiegels, unmittelbar daneben gings
meterweis in die schwarze Tiefe. Die aufragenden
Zacken hätten außerdem jeglichen Schwimmversuch der
Pferde sofort scheitern lassen. Wir sahen uns
gezwungen diesseits des Flusses bleibend, Laki zu
erreichen.
Von Nebeln begleitet sank die Dämmerung herab.
Zwei Stunden wollten wir jetzt noch in die Wüste
hineinreiten, in der mutmaßlichen Richtung zum Berge
Laki. Hatten wir nach Verlauf dieser Zeit weder Gras
noch Wasser gefunden, so mußten wir -alle zum letzten
Grasplatz — (von hier aus eine Stunde hinter uns) —
zurück um morgen, bei hellem Tag, aufs Neue zu
suchen.
Kaum war der Beschluß gefaßt, als wir auch alle
in tüchtigem Tempo wieder vorwärts sprengten. Die
Pferde waren müde, aber wir wußten, daß vier
Ruhetage vor ihnen lagen, wenn wir nur erst unser Ziel
erreicht hatten.
Mit einem Schlage waren wir wie in eine andere
Welt versetzt, die nebelhafte Dämmerung hatte sich in
der düsteren Umgebung zusehends verdichtet, als wir
vom Fluß ablenkend, in die Lapillidünen hineinritten.
Von allem, was ich in Island gesehen, glich nichts
der fremdartigen Wildheit und dem packenden Schauder
dieses Nachtritts im Nebel. Das Gefühl für die Groß-
artigkeit dieser weiten, wilden Wüste ward erstickt
durch rein persönliches Empfinden.
Rasten wir nicht selbst wie die Geächteten hügel-
auf, hügelab, daß die schwarzen koksähnlichen Lapilli
knisternd unter den Pferdehufen emporsprühten?
Wunderbar gestaltete Schlackentürme und Tore
ragten aus dem lockern Boden, einzelne Kraterchen
trugen silberweiße Mooshauben, die sonderbar stark
das wenige Licht wieder zurückstrahlten, und in dem
fahlen Schein der Mitternachtsstunde war das leuchtende
Rot der Schlackenhügel wiederum kaum erkennbar.
In dieser geheimnisvollen Zauberwelt lauerten
ungekannte Gefahren. Wir mußten reiten über von
Sand zum Teil verwehte Lava, weite Höhlen mochten
sich unter ihr dehnen, bereit Roß und Reiter zu ver-
schlingen, ehe die Voranjagenden sein Fehlen bemerkt.
Keine Spur führt hier hindurch, vielleicht, daß
in fünfzig Jahren einmal ein sorgsamer Farmer an der
Grenze der Wüste nach verirrten Schafen sucht. Keine
Vör9ur sind hier errichtet, denn niemand würde Ver-
langen darnach tragen, diese unheimliche Gegend zu
durchqueren, aber oft äffen Lavazacken und Schlacken-
gebilde einen Varäa nach, allerdings in imponierenderen
Dimensionen als die Menschen sie errichten. Nur das
Gefühl: dort hinüber liegt der Berg Laki, leitete Reck
und ließ ihn die Richtung innehalten.
Nach zwei Stunden dieser wilden Hetze standen
wir an den Quellen der Varmä; — das smaragdgrüne
Moos, das sie verbrämte, leuchtete schön und
selbstbewußt, drei Blümchen fanden sich auch, aber — nicht
ein Halm Gras.
Neue Schwierigkeiten. Jón sollte, wie schon
vorher von Herrn Reck verfügt, die Pferde zum Gras —
drei Stunden zurück — bringen und uns hier nach
vier Tagen wieder mit ihnen abholen, während Siguröur
bei uns blieb. Der Farmer von Holt ritt mit Jön zu-
rück um heimzukehren. Jön war aber die Lakiwüste
auf die Nerven gefallen, er wollte nicht allein bleiben,
der Farmer sollte ihm — für 6 Kr. den Tag,
Gesellschaft leisten. Ich war unbeteiligt bei den Verhand-
lungen und hatte alle Hände voll zu tun, in denkbar
kurzer Zeit für fünf Tage allen Proviant für Jön samt
Reservezelt, Kochapparat, Spiritus etc. aus den zwölf
Packkisten zusammenzusuchen.
Schwer war alles im Halbdunkeln herzurichten,
zwischen den 22 Pferden, von denen mich mehrere
dicht umstanden, um sich am Heu der Verpackung ein
wenig wohlzutun.
Fauchend und isländisch murmelnd trabte Jön hin
und her, aber schließlich schüttelten er und der Farmer
uns mit einem frischen „Veriđ ţjer saelir" („Seid gegrüßt"
= Leben Sie wohl) die Hand zum Abschied,
augenscheinlich war also die Angelegenheit zu aller
Zufriedenheit erledigt. Da inzwischen die Cognacflasche
entkorkt und eine Tasse zur Hand war, gab es einen
Abschiedstrunk.
Darauf sprengten Jón und der Farmer, gefolgt von
den zwanzig ledigen Pferden zurück in den Nebel und in
wenigen Minuten war der letzte Hufschlag verhallt, wir
waren allein und durften endlich an uns denken. So
schnell wie möglich kochte ich und wir aßen trotz all'
der ungewohnten Aufregung mit bestem Appetit; —
2 1/2 Uhr a. m. wars, als wir zur Ruhe kamen.
Ein seltener Genuß bot sich, als am nächsten
Morgen nicht, wie üblich, schleunigst gepackt und
weitergeeilt zu werden brauchte. Wir frühstückten in
der Tat erst um 11 1/2 Uhr. Wohl hatte ich eine dunkle
Vorstellung von einem Ruhetag, aber der berühmte
Berg Laki war doch zu verlockend nahe, — so ging
ich nur zu gern mit, als eben vor 12 Uhr Herr Reck
und Sigurđur marschfertig bereit standen.
Eine mühevolle Kletterei begann hügelauf, hügelaby
über Geröllhalden, Schneeflecke, alte moosbewachsene,
jüngere zackige Lava; nach fast vier Stunden
ununterbrochenen Wanderns hatten wir die Höhe des Berges
Laki erreicht, von wo wir ein wunderbares Panorama
bis zum Rande des Vatna-Jökull genossen. Der 850 m
hohe, durch eine tiefe vulkanische Spalte in zwei
Hälften gerissene Palagonitberg liegt in der Mitte der
sich von Südwest bis Nordost auf 25 km erstreckenden
Kraterreihe.
Einen überaus eigenartigen Anblick gewährte diese
riesenweite, tote Landschaft, die seit mehr als 120 Jahren
völlig unverändert dasselbe Bild bietet. Das spärliche
grauweiße Moos, das langsam auf der
Verwitterungskrume wuchs und die Schneeflecken, die sich von
Jahrzehnt zu Jahrzehnt auf der abkühlenden Lava länger
erhielten, waren der einzige Wechsel, die einzige
Lebensspur in dem erstarrten Antlitz der Natur, seit
an einem herrlichen Pfingstmorgen des Jahres 1783
mit Donner und Blitz, Erdbeben, Peuersäulen,
Schwefeldämpfen, glühender Lava und kochenden Wasserströmen
die vulkanischen Kräfte jenes Vernichtungswerk
begannen, dessen Resultat vor uns liegt.
Wir sahen bis 50 km in die Ferne, — bläuliche
Berge, grüne Seen, rote Schlackenhügel, schwarze
Lapillidünen, — Farben genug, und das alles unter
einem strahlend blauen Sommerhimmel. Die Kuppe
eines Regenbogens stand über dem Vatna Jökull, wo
sich wie immer die Wolken ballten. Seine Gletscher
und Schlammströme schienen zum Greifen nahe. Kein
Laut unterbrach die atemraubende Stille dieser
meilenweiten toten Welt.
Kurz nach 4 Uhr trennten wir uns auf der Spitze
des Berges. Herr Reck wollte mit Sigurđur die Krater-
reihe weiter nach Nordost begehen, ich dagegen, einige
Skizzen aufnehmend, langsam zum Zelt zurückkehren,
wo die beiden sich spätestens um 10 Uhr abends zum
Mittagessen einstellen wollten.
Meine Skizze von der Höhe des Berges war bald
beendet, obgleich ich mißlicherweise meine Palette im
Zelt vergessen hatte und mir ein flaches Stück
Doleritlava dieselbe ersetzen mußte. In Island sind
Aquarellfarben ebenso wenig erhältlich als Karlsbader Oblaten
oder „Die Welt am Montag", so mußte ich sehr
sparsam sein mit meinen aus Deutschland mitgebrachten
Vorräten und trug diese Naturpalette den
Nachmittag mit mir herum. Ich kann nicht behaupten,
daß mir dies sonderlich bequem gewesen, als ich mit
Rucksack und in der anderen Hand den Bergstock an
der sehr steilen Steinhalde des Berges herabbalanzierte.
Vom Fuße des Berges ging ich fast eine Stunde
an der Kraterreihe entlang und fand zurück zu einem
mit bunten Schlacken bestreuten Lavastromende, dessen
eigenartige Formen und Farben schon am Hinweg mein
Interesse geweckt hatten.
Schwarze Schlackenhügel schoben sich dicht um
das enge Tal zusammen. Während ich eifrig malte,
bedeckte sich der Himmel mit finsteren Wolkenfetzen
die, wo sich ein Blick in die Ferne bot, mit der düsteren
Landschaft zu verschmelzen schienen. Das silberweiße
Moospolster der Lavazacken war der einzige helle Ton
in dem Bilde. Die Totenstille der vergangenen Stunden
war dem erwachten Winde gewichen, welcher in
-einförmiger Melodie singend und sausend über die zackigen
Lavahöhen, über die Hügelkuppen strich. Knisternd
rieselte feiner schwarzer Sand, den er vor sich hertrieb,
die Höhen hinab.
Überwältigend wirkte in den kalten
Dämmerstunden dieser melancholischen Szenerie die Einsamkeit,
die trotz der Schauer, die sie erregte, doch wunderbar
fesselte und schwer trennte ich mich von dem Ort, den
fast nie Menschenaugen in seiner ganzen Eigenart sehen.
Als ich mich aus der Schlucht wieder auf die
Höhen begab, um dem Zelte zuzustreben, war die Kälte
empfindlich geworden. Es war spät und ich mußte
eilen, denn noch lag eine Strecke von fast zwei Stunden
Wegs vor mir. Hügel auf, Hügel ab ging es von
Neuem, aber als nahezu die Zeit verstrichen, ich auf
jener Höhe stand, von welcher ich erwartet hatte, das
Zelt zu meinen Füßen zu sehen, bemerkte ich zu
meinem nicht geringen Schrecken, daß ich mich bei
sinkender Nacht in diesem wilden Gebiet völlig verirrt
hatte. Zu sehr glich hier ein schwarzer Hügel dem
anderen, es war schon zu dämmerig, um auf weitere
Entfernung ein Ziel zu erwählen und nachdem ich eine
halbe Stunde ohne den geringsten Erfolg nur noch
weiter in die Irre gegangen war, ergab ich mich in das
Unvermeidliche, mir für die Nacht einen bescheidenen
Schutz vor dem Winde zu suchen. Dem Nebel, der
jede Nacht die sich tags im Sonnenschein stark
erwärmenden schwarzen Hügel umhüllt, würde ich nicht
entfliehen können.
Ich hatte aber doch nicht damit gerechnet, daß
Herr Reck und Sigurđur am Zelt mich vermissend,
sich um mein Ausbleiben beunruhigen und, soweit es
in dem meilenweiten Gebiet möglich, nach mir suchen
würden. Vielleicht kam, mir selbst unbewußt, der Gedanke
daran und veranlaßte mich, einige Minuten auf dem
Hügelrücken stehen zu bleiben; betrübt schaute ich
hinab in die Talzüge, wo irgendwo mein behagliches
Zeltchen liegen mußte und half so zu meiner Auffindung,
da ich, mich scharf gegen den Himmel abhebend, weit
zu sehen war. Als ich mit resigniertem Seufzer mich
anschicken wollte, mein unfreiwilliges Nachtasyl zu
wählen, bannte mich ein ferner, schwacher Anruf aus
den Talgründen zu neuer Regungslosigkeit. Nur mir
konnte der Ruf gelten, denn auf Meilen war außer uns
Dreien keine lebende Seele. Wie lang schienen die
Minuten bis ein wenig näher aufs Neue der Ruf
ertönte — und wieder verstrich einige Zeit bis auf einem
mehrere 100 m unter mir liegenden Schneefleck eine
hohe Gestalt auftauchte, die sich rasch näherte. Alle
Müdigkeit vergessend, fegte ich über die Wand hinab,
so viele Freudenhallohs ausrufend, als mir Atem blieb.
Ich war sehr dankbar, für meine Unachtsamkeit nicht
arge Schelte zu bekommen, hatte ich doch einen
Kompaß in der Tasche, den ich nur aus
Gedankenlosigkeit nicht rechtzeitig konsultiert hatte. Eine halbe
Stunde trabte ich noch neben Herrn Reck her, ehe das
Zelt — zwei Stunden später als verabredet — kurz vor
12 Uhr nachts erreicht wurde.
„Well — I say — — but now it's all right", war
Sigurđurs Begrüßung, bei welcher allerdings der warme
Händedruck mehr sagte, als die ruhigen Worte.
Den nächsten Tag war ich aber doch durch mein
Erlebnis so eingeschüchtert, daß ich mich nicht aus
der nächsten Umgebung des Zeltes entfernte. An Arbeit
litt ich indessen keinen Mangel; einen langen, langen
Tag war ich ganz allein, da Herr Reck und Sigurđur
mich früh, wieder in östlicher Richtung wandernd,
verließen.
Strahlend heiß schien die Sonne auf mich herab,
während ich mich mit allerhand Hausfrauensorgen, Vor-
räte revidieren, Flickereien, Waschen und Zeugtrocknen
mit befriedigendem Erfolg betätigte. Einige Stunden
skizzierte ich dann und trug Notizen nach.
Als all dieses beendet, „deckte ich den Tisch",
ein Luxus, den wir uns nur bei längerem Aufenthalte
an einem Lagerplatz gestatten konnten. Eine Packkiste
wurde zu diesem Zweck mit einem reinen Handtuch
bedeckt und geschmückt durch einen „Tafelaufsatz",
hier eine Konservendose mit smaragdgrünem Moos,
in das einige winzige weiße Blümchen hineingestellt
waren; beides gedieh an den Wasserrädchen, die an
unseren Zelten vorbeiflossen. Fast ohne Ausnahme
war sonst die weite Wüste nur mit dem grauweißen,
bereits erwähnten Moosteppich bezogen.
Auch die Teller und Bestecke, beziehungsweise
der Löffel, wurden für jeden hingelegt und die bis zum
Rande mit Kompott gefüllten Aluminiumtassen
danebengestellt.
Mag der zivilisierte Europäer es gutmütig belächeln,
für uns, die wir gewöhnt waren, nach zwölfstündigem
Ritt „etwas" müde, auf einer Packkistenecke balanzierend
den Teller mit Essen entgegenzunehmen, machte dieses
einen außerordentlich festlichen Eindruck. Allerdings
ward mir überhaupt selten ein Sitz zu teil, meistens
habe ich in der Kochecke knieend gegessen, denn meine
Aufmerksamkeit mußte geteilt werden zwischen den
drei sich rapide leerenden Tellern und den kochenden
Töpfen, die mitsamt brennenden Spirituskochern jeden
Augenblick bereit waren, umzustürzen, was sowohl
unsere Mahlzeit verringerte, als auch bei Sturm unser Zelt
in Brand zu setzen drohte. Es war dies die einzige
Gelegenheit, bei der Herr Reck „nervös" werden konnte,
und ich durfte nicht auf Mitleid rechnen, wenn ich in
solchem Fall die Wahl hatte, zu hungern oder meinen
Teil, der von uns allen sehr geschätzten Erbsensuppe
mit Saucischen vom Leinenboden des Zeltes aufzulöffeln.
Mittlerweile waren zehn Stunden meines einsamen
Tages vergangen und es war spät am Abend, als ich
mir nachdrücklich überlegte, daß es, wie Scheffel sagt:
„Fälle gibt und Tannenwälder, wo der Mensch sich
sehnt zum Menschen".
Herr Reck und Sigurđur wollten nach zehn Stunden
zurückkehren, —alles war bereit, die Suppe in den beiden
Kochtöpfen, ich brauchte nur bei ihrem ersten fernen
Hailoh den Spirituskocher anzuzünden, und sie kochte
wenn die beiden das Zelt erreichten.
Es war ein für alle Mal das Hailoh, wenn sie des
Zeltes ansichtig wurden, das Signal für mich und
manchesmal habe ich erwartungsvoll danach
hinausgehorcht.
Wie weit ich aber auch jetzt ausschaute, nichts
war zu sehen, als ewig dieselbe schöngeschwungene
Hügellinie, nichts zu hören als ewig dieselbe klingende,
tönende atemraubende Stille und über mir der
unendlich klare, am Horizont lichtgrüne Himmel, an dem die
Sonne gesunken. Der am Tage durch die starke
Erwärmung der Luft zitternde Umriß der schwarzen
Hügelketten war erkaltend wieder in Regungslosigkeit
versunken und selbst die Quellen schienen nicht mehr
weiterzurieseln. Keine Kreatur außer mir im weiten
Umkreis, nicht mal ein Spinnlein, von denen ich sonst oft
ein halbes Dutzend am Morgen an meinem Zeltdach fand.
Einsamkeit bietet Islands Natur in jeder Nuance;
aber die Einsamkeit des Sprengisandur war durch
Stürme belebt, jene der Askja durch das Rauschen des
Sees, das sonderbare Klirren des schwimmenden
Bimsteins und das donnernde Getöse des Steinschlags.
An den Solfataren und Schlammpfuhlen wird jedes
Wort verschlungen von dem Zischen und Brausen und
an den Meeresklippen erklingen die Orgeltöne des
Wogenschwalls. Die Einsamkeit von Laki packt und
überwältigt durch ihre Grabesstille.
Drei Stunden noch blieb mir vollauf Zeit mich
meinen Betrachtungen hinzugeben, es war zu dunkel
geworden, um mich noch mit Lesen oder Schreiben zu
beschäftigen und erst um 11 Uhr kamen Herr Reck
und Sigurđur nach dreizehnstündiger Abwesenheit müde
und befriedigt zum Zelt zurück.
Diesem herrlichen Sommertage folgte ein anderer
mit Sturm und Regen.
In meinen Notizen finde ich darüber nur folgendes:
„Regen, Nebel und Sturm, wir müssen im Zelt bleiben,
was auch seinen Reiz hat, wenn man die Regenpfützen
am Zeltboden, die Finsternis, die kaum Schreiben
erlaubt (die Tür muß der Witterung halber geschlossen
bleiben), die niedrige Temperatur, +5°, klatschende
Zeltwände und den heulenden Sturm, der alles
umzureißen droht, abrechnet."
Im Ölzeug unternahmen wir einen Spaziergang,
um nicht zu sehr zu frieren und fanden in der Kälte
und der ob verlorener Zeit gesunkenen Stimmung
Erwärmung bei heißem Tee und Trost bei mehrstündigem
Übersetzen der Helland'schen Arbeit über Lakis Kratere.
Den folgenden Tag war uns der Himmel wieder
günstiger, wenn auch, als wir um 9 Uhr „aus dem
Hause" gingen, uns Regenböen, Sturm und
vorübergehend Schneetreiben auf den Höhen der Hügel empfing.
Dieses Wetter hielt den ganzen Tag an, mit trügerisch
kurzen Sonnenblicken wechselnd. Wir wanderten
stundenweit über den Berg Laki hinaus bis zur Hälfte
der jenseitigen Kraterreihe, wo Herr Reck lange mit
wissenschaftlicher Arbeit beschäftigt war. Meine Skizzen
verlangten viel Aufopferung von mir, da es so sehr kalt
war im Regen und Wind stundenlang still zu sitzen.
Nach zwölf Stunden waren wir erst wieder am Zelt.
Früh um 7 Uhr am nächsten Morgen weckte uns
Pferdegetrappel. Jön war schon da und jetzt wurde
eiligst — was immer drei Stunden dauerte — gefrühstückt,
gepackt, gesattelt und aufgeladen und hinauf gings auf
das liebe Pferdchen. Das gab nun mal einen wirk-
lichen Ruhetag; zwölf bis dreizehn Stunden durch Islands
Wüsten, Sande, Sümpfe und Flüsse zu reiten war
für mich immer noch erfrischend im Vergleich zu acht
Stunden zu Fuß über die Lava, die Felswände und die
Lapilli zu kriechen.
Wir kamen an diesem Tage in zehn Stunden
wieder zu Ţorsteinn von Svartignúpur. Der enorme
Umweg über Skál und Holt, der lediglich der Skaptá-
Furt halber unternommen war, wurde nicht gemacht;
— zwar mußten wir dafür mit einem Lokalführer die
fünfundzwanzig Arme des recht reißenden Eldvatn
kreuzen. Nachdem goß es drei Stunden lang in Strömen
auf uns herab, wir ritten aber dann noch ebenso lange,
so daß wir und unsere Pferdchen wieder trockneten,
ehe wir Svartignúpur erreichten.
Es war uns ganz heimatlich, wieder auf
Ţorsteinns Grund und Boden anzulangen, er selbst schien
uns ein guter alter Freund, wenn wir ihn auch erst
vor neun Tagen kennen gelernt hatten.
An unserem hübschen Lagerplatz dort war auch
nichts verändert, noch blühten in Fülle die
farbenreichen Wiesenblumen im saftigen Gras an dem klaren
Bach, der die Schlucht durchrieselte. Der Zwergenzian,
dessen zarte Pflänzchen kaum 3 cm Höhe erreichen,
strahlte noch im gleichen tiefen Blau wie sein
kontinentaler Bruder, und im lichtweißen Neuschnee
leuchtete im Sonnenschein der Mýrdalsjökull von Süden her.
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