Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel X.

Über den Sprengisandur.


Der Sprengisandur, die gefürchtete steinige Einöde zwischen den Gletschern Hofsjökull im Westen, Vatna Jökull, Tungnafellsjökull und der Lavawüste Ödáđahraun (Lavawüste der Untaten) im Osten, erstreckt sich in einer Länge von nahezu 150 km von wenig nördlich der Kaldakvísl bis zur verlassenen Ansiedlung Mjódalur südlich von Mýri*).

*) Die oben angeführte Strecke, welche wir geritten sind, unifaßt die Ausdehnung des Sprengisandur östlich von der Ţjórsá. Im Westen dieses Flusses ist „der südliche Ausgangspunkt desselben gewohnlich die nordöstliche Ecke der Arnes Sysla" (vergl. J. C. Poestion, Island. Wien 1885). Als den Endpunkt im Norden bezeichnet Poestion die Oase Kiđagil, zirka 10 km südlich von Mjódalur. (Im engeren Sinne reicht der Sprengisandur von Eyvindarkofaver bis Kuđagil, zirka 90 km.)

Zweiunddreißig bis sechsunddreißig Rittstunden, das sind drei Tage zu je zwölf Stunden, braucht man, um diese Entfernung zu überwinden, ohne sich den geringsten überflüssigen Aufenthalt zu gönnen, damit nicht die Pferde verhungern.

Nicht selten werden dort Karawanen mitten im Sommer vom Schneesturm, der in ungeminderter Gewalt von den Gletschern kommend, über die meilenbreiten Flächen fegt, heimgesucht.

Ein junger, isländischer Kaufmann, der vor einigen Jahren im Juli mit mehreren isländischen Studenten eine Anzahl Amerikaner über den Sprengisandur führte, erzählte mir, daß er mit den anderen Führern vom Schneesturm und empfindlicher Kälte überrascht, die ganze Nacht im Kreise um die zusammengetriebenen Pferde stehend, diese von dem Davonjagen zurückhalten mußte. Einen der Ausländer mußten sie beim Weiterritt am Sattel festschnallen und sein Pferd am Zaum ziehen, da er nicht mehr die Zügel zu halten vermochte und sie beständig beschwor, ihn dort und in Frieden sterben zu lassen.

Der erste Tag unseres Sprengisandurrittes sollte uns vom Ufer der Kaldakvísl bis Ţúfuver, dem Arnarfell gegenüber, bringen.

In unbeschreiblicher Eintönigkeit dehnte sich viele Meilen weit die ewig einsame Fläche vor uns aus, — Hügel, Geröllflächen und aufs neue Geröllflächen und Hügel. Links taucht der über 30 km lange und breite Gletscher des Hofsjökull aus Wolken und Nebel hervor. Südwärts ihm vorgelagert erheben sich zackig und wild die, ihrer noch tätigen Solfataren wegen, nur mit vereinzelten Schneeflecken geschmückten Kerlingarberge. Fern im Norden erscheint das Vorgebirge des Hofsjökull der Arnarfell hiđ mikla, zuerst lichtblau, dann, je näher wir ihm im Laufe von neun Stunden Ritt kommen, immer dunkler, massiver und drohender aussehend.

Dasselbe Bild den ganzen Tag bis in das Zwie- licht der isländischen Sommernacht und wieder bis zum hellscheinenden Licht des Frühhimmels.

Den einzigen Wechsel bot der Lauf der Ţjórsá, die vom Hofsjökull kommend, gen Süden zog. Am Fuße der Hügelketten, auf deren Kamm wir ritten, floß sie entlang.

Immer mehr Gletscherbäche strömten ihr zu, es wurde dem Auge eine Unmöglichkeit, in dem Netz von Gewässern, die stets erneut sich zu trennen und wieder zu vereinen schienen, dem Zug einer einzelnen Ader zu folgen.

Zehn Stunden lang hatte die Einförmigkeit der meilenweiten Fläche den Blick übermüdet. Faszinierend zog jetzt im Mitternachtszwielicht diese silbern leuchtende Wasserkarte das Auge an. Die Gedanken wurden aus ihrer Lethargie aufgeschreckt durch den traumhaften Wahn, daß wir diesen Fluß hier durchfurten müßten. Kaum würden wir aus diesem Gewirr von Wasseradern und Triebsanden sicher herausgefunden haben. Hier versucht auch kein Isländer die Ţjórsá zu kreuzen, tageweit fort im Südland, wo ordnende Natur die vielen Fäden zu einem mächtig brausenden Gletscherstrom zusammenfaßte, überspannt ihn eine schöne starke Brücke.

Die wiederaufgehende Sonne brach den Zauber des Halbschlummers, endlich auch witterten die müden Pferdchen das gute Gras und endlich sprang Sigurđur ab mit einem lakonischen „All right, Mr. Reck".

Wir waren in Ţúfuver (Platz am Wiesenhügel).

Dem Arnarfell it mikla gegenüber, in nächster Nähe des glitzernd weißen Gletscherschildes des Hofsjökull, lag dieser märchenhaft schöne Grasplatz. Üppiges saftiges Gras umstand hoch klare, leise rieselnde Quellen. Vergißmeinnicht und seidenweiches Wollgras, Weidenröschen, deren Blumen so groß wie Heckenrosen, große violette Storchschnabelblüten und allerlei fremdes hübsches Gewächs von kräftigen Farben schmückte die weiten Flächen. Die Zwerg-Pappeln blühten und ihre Farbe hob sich silbergleich von dem dunkelgrün der Gräser.

Unzählig viele winzige Fliegen umkreisten uns blutgierig; wir kochten, aßen und tranken sie resigniert zu Dutzenden, es war unmöglich, sich ihrer zu erwehren. Glühendrot leuchtete die Sonne über die schneeigen

Gletscherfelder, als wir in tiefem Schlaf Kräfte sammelten für die Arbeit des zweiten Sprengisandurtages.

Waren wir erst um 2 Uhr a. m. in Ţúfuver angelangt, so ging es nicht früh fort am nächsten Tag, da auch Jön noch zwei Säcke Gras zu schneiden hatte, wußten wir doch nicht, wie das Gras in Nýidalur, unsrem nächsten Ziel, stand und für den letzten Sprengisandur-Tag brauchten wir viel Heu.

Dieser Tag verlief dem ersten sehr ähnlich. Wir kamen an der verlassenen Ansiedlung des Útilegumađur*) von Eyvindarkofaver**) vorbei.

*) Útilegumađur = Geächteter.
**) Eyvind = Name des Mannes, kofa = kleine Hütte, ver = Platz, also auf deutsch: Hüttenplatz des Eyvindur.

Kapitän Daniel Bruun, der bekannte und hochverdiente dänische Erforscher uralter Besiedlungsreste in Island hat dieselbe aufs Genaueste untersucht und uns aus dem Riß der Erdwohnung, den Resten von Geräten und Knochen sehr interessante Aufschlüsse über die Lebensweise jenes Geächteten gegeben, der vor etwa einem Jahrhundert sich mit seinem Weibe viele Jahre hier und in Herdubreiđarlindir aufgehalten hat.

Unser Führer Sigurđur Sumarlidason, welcher anläßlich dieser Untersuchungen mit Kapitän Bruun hiergewesen, erklärte uns alles.

Die ganze nächste Umgegend kannte er auch gut, war er es doch, der, ebenfalls mit Kapitän Bruun zusammen, die Punkte für die erst vor wenigen Jahren errichteten Vörđur über den Sprengisandur auswählte. Durch diese Wegzeichen ist der Wanderer — bei sichtigem Wetter — vor jedem unnötigen Umweg bewahrt. Ein Verirren ist hier außerdem bei Tageslicht und klarer Luft nicht so leicht möglich, da links, das heißt gen Westen der Arnarfell it mikla, — das finstere Vorgebirge des Hofsjökull, — und die weiße Gletscherlinie des letzteren noch für viele Stunden des Weiterritts ein Wegzeichen bilden. Darauf erhebt sich rechter Hand, zuerst nördlich, dann gen Osten stundenweit sichtbar der Tungnafellsjökull aus dem Gelände. Der Sprengisandur ist die bekannteste, wenn auch durchaus nicht die einzige Strecke in Island, die nur in Parforceritten bewältigt werden kann. Viele Ziele sind in diesem Lande überhaupt nur unter dieser Bedingung zu erreichen. Oft zeigt sich tageweit nicht ein Halm Gras und mehrfach sind wir zehn Stunden geritten ohne eine Wasserader zu berühren. Gras und Wasser muß aber erreicht sein, ehe das Lager aufgeschlagen werden kann.

Mit meinen bescheidenen Tiergartenreitkünsten wäre ich in Island nicht weit gekommen, hätte nicht Herr Reck, — selbst ein vorzüglicher Reiter, — mich in der ersten Woche in eine stramme Schule genommen.

Wenn nun auch unter günstigen Himmelsbedingungen der gefürchtete Sprengisandur glücklich zu passieren ist, dürfte der Ritt über denselben wegen der ermüdenden Länge und der unbeschreiblichen Einförmigkeit nicht als eine Vergnügungstour zu empfehlen sein.

An diesem zweiten Tage, der uns wieder über dieselben bläulich-grauen Gerolle brachte, marschierte Herr Reck aus Liebe zu seinen Pferden stundenlang. Ich versuchte es, — war aber nach einer Stunde Nebenhertrabens im Pferdetempo auf dem schlechten Boden doch so weit hinter der Karawane zurückgeblieben, daß ich es vorzog, schleunigst wieder aufzusitzen, um die anderen im Trab zu erreichen.

Als wir um 11 Uhr abends, kurz nach Sonnenuntergang, an die Stelle kamen, wo unsere Richtung nach Nýidalur östlich abzweigte, ritt Sigurđur nach Westen der Ţjórsá zu. Es war stark dämmerig und ich bewunderte seine scharfen Augen, als er nach zwanzig Minuten zu uns zurückkehrte und uns erzählte, daß er die Spuren der Pferde von Herrn Erkes und Sigurđurs Bruder Sigurjón, welche hier vermutlich eine Furt der Pjórsá benutzt haben mußten, gefunden hätte.

Viel später erfuhren wir, daß sie in der Tat dort gewesen.

Wir bogen jetzt nach Osten ab. Wolkenschwer verhangen lagen all' die unbekannten, unerforschten Vorberge des Vatna-Jökull vor uns. Nur wenige von ihnen tragen Namen, keiner erstieg noch taufte sie, oder trägt Verlangen, diese weiten Gebiete zu seinem eigensten Besitztum zu zählen. Die ganze Westwand des Tungnafellsjökull, auf den wir jetzt zuritten, war noch rosig verklärt vom Abendglühen, während die Däm- merschleier der kurzen Nacht uns in ihr unheimliches Treiben einhüllten. Selbst Sigurđur schien es mehrfach schwer zu werden, die Richtung innezuhalten, mehr noch aber beunruhigte ihn der viele Schnee in den Tälern. Würden wir in Nýidalur für zwei Tage Gras genug finden? Wenn nicht, so mußten wir gleich nach Norden weiter und Herr Reck die Hoffnung aufgeben, den Vonarskarđ zu passieren.

Um l Uhr begann wieder der Morgen zu grauen und als wir 2.15 Uhr a. m. Nyidalur erreichten, bestrahlte eine beglückende Sonne die schwarzbraunen, mit bizarren Schneeflecken verzierten Bergwände des Tungnafellsjökull und der nächsten Hügelketten, während orangefarbene Wolken am lichtblauen Frühhimmel schwebend, wundervoll damit kontrastierten.

Bescheidenes Gras bestand in doch genügender Menge den Talboden; — wir konnten bleiben.

Nach einer Nachtruhe von sieben Stunden versorgte ich Herrn Reck und Sigurđur mit einer kräftigen Erbsen- suppe, Tee, Cakes, Zwieback, Marmelade folgten wie gewöhnlich. Mit einer Feldflasche kalten, süßen Tees mit viel Kognak, 1/2 Pfund Schokolade, einer kleinen Mettwurst und wenigen Cakes in ihren Taschen schickten sich die beiden an, den berüchtigten Vonarskarđ zu durchwandern.

Der Vonarskarđ (Vonar == Hoffnung, Skarđ = Scharte), ein Paß, der den Vatna-Jökull vom Tungnafellsjökull trennt, ward in früheren Jahrhunderten, wenn auch nur selten, von unternehmenden Isländern benutzt, er gilt aber seit langer Zeit in Island als unpassierbar für Mensch und Pferd.

Um 12 Uhr mittags ritten Herr Reck und Sigurđur, begleitet von meiner bescheidenen Bitte: „doch ja recht vorsichtig zu sein" und von Jón, der, wenn's zu Pferd nicht weiter ging, wieder die Tiere zurückbringen sollte, gen Süden.

Einige Stunden blieb ich somit ganz allein. Die Pferde hatten sich weit herum an der Berglehne verteilt. Es blieb mir unbenommen mir auszumalen, was ich anstellen würde, wenn ein Verhängnis jene Drei, wenn auch nur für einige Tage, zurückhielte infolge einer -starken Schneeschmelze am Vatna-Jökull, die einen Fluß zur Rückkehr unpassierbar machte, wie vor drei Tagen die Tungnä. Vorräte hatte ich im Überfluß, sie dagegen nicht für einen Tag, und unsere armen Pferde! Der Sommer konnte zu Ende gehen, bevor man in Akureyri bemerkte, daß wir unser Reiseprogramm vermutlich nicht innegehalten; selbst dann würde uns hier niemand suchen, hatten wir doch noch bei unserem Abritt von Reykjavík nicht voraussehen können, in welcher Weise wir unsere Pläne würden ausführen können.

Fürs erste beruhigte mich aber nach vier Stunden Jón's Rückkehr. Während triefender Nebel, der bald in Regen überging, alles außerhalb der Zelte dicht einhüllte, unterhielten wir uns in der für unseren Privatgebrauch aus dänisch, englisch und isländisch zusammengesetzten Sprache über aktuelle Fragen. Um 6 Uhr, als der Regen nachließ, erkletterte ich bis zu ca. 200 m Höhe die Wand des Tungnafellsjökulls, um von dort zu photographieren und eine Skizze aufzunehmen.

Die Sonne war hinter Wolkenbänken über dem Hofsjökull verschwunden, von dort starrte der Arnarfell über die eintönig graue Fläche zu mir herüber, umragt war ich an drei Seiten von dem schwärzlich verwitterten Palagonit des Berges. Dicht über mir ballten sich die vom Gletscher zu Tal ziehenden Nebelschwaden — alles um mich, über und unter mir wild, düster, ohne sichtbares Leben, ohne die erfreuende Sonne, — zu

gewaltig und großartig, um nicht einen Schauder zu erwecken ob der eigenen Kleinheit gegenüber der tausendjährigen Natur.

Ich war recht froh, als ich um 10 Uhr bei Jön wieder anlangte mit einem im Tal gesammelten großen Strauß dunkelvioletter Taubnesseln und lichtgelber Blüten, die, mit einer Archangelicastaude, einen willkommenen Tafelschmuck bildeten.

Jón und ich aßen unser Mittag und er, der fast den ganzen Tag allerhand Sattelzeug-Reparaturen ausgeführt, sich mit den Pferden gemüht hatte, nickte allmählich ein. Ich saß im großen Zelt. Auf dem Tisch aus Packkisten stand vor mir, in einer leeren Kognakflasche, eine brennende Kerze, welche Jón gestiftet hatte. Das Zeltleinen nach Norden zu war weit geöffnet, das Licht flackerte im Luftzug, immer neue Wolken zogen herab und ließen die Nacht dunkler erscheinen, — wie konnten die beiden Männer, die schon seit vielen Stunden die weglosen, seit Jahrhunderten nicht betretenen Einöden durchwanderten, eine Richtung einhalten?

Von welcher Seite würden sie zurückkehren? Von Süden?—dann hätten sie umkehren müssen, von Norden? — dann hatten sie ihn bezwungen; — sollte es möglich sein, daß wir von dieser Seite, — wie wir uns in Deutschland ausgemalt, — durch den Vonarskarđ in die Odáđahraun und so zu den Dyngjufjöll reiten konnten?

Aber das war einer der Pläne vom grünen Tisch, — in Island sieht alles wesentlich anders aus, als man sich nach der Karte vorstellt. Ögmundur Sigurdsson hatte uns rund heraus erklärt: „Wenn Sie mir zweitausend Kronen gäben, durch den VonarskarQ ginge ich nicht."

Die Nacht wurde kühler, der Wind hob sich mehr und mehr, und ununterbrochen zogen die Wolken sich dichter zusammen. Jöns regelmäßige Atemzüge verrieten, daß er fest eingeschlafen. Wie oft war ich schon vors Zelt getreten, um nach dem Ton ihrer Stimmen zu lauschen, die in der tiefen Einsamkeit so weit klingen, — immer vergebens. Es war inzwischen 12 Uhr nachts geworden und meine Sorge wuchs, der Vorwurf nagte, daß ich nicht versucht, sie von dem Unternehmen zurückzuhalten, und doch, was hätten meine Worte genützt? Ich hätte nur einen Mißton hervorgerufen, ich mußte mich bescheiden, sie in einer höheren Hand zu wissen.

Da — der vertraute Ton des frischen „Hailoh" — erklang von den Bergen wiederhallend, — vergessen die Sorge, verscheucht die drohenden Schatten der Einsamkeit, in wenigen Minuten hatten die beiden das Zelt erreicht. Schon lange hatte das Lichtfünkchen im Zelt ihnen den Weg gewiesen, denn von Norden kamen sie — der Vonarskarđ war genommen! — die Richtung war innegehalten, obgleich alle Karten hierüber falsch gezeichnet sind. Unter unsäglichen Mühen und Gefahren waren sie über Gletscherspalten, durch Schlammströme gekommen, über Eis und Schnee und wildzerrissene Laven. — Uralt muß die Lava sein, — ein Stück derselben, tiefgrau, sehr feinkörnig und porös und von unzähligen Mandeln glitzernder Kristalle durchsetzt, liegt vor mir als ein stummer Zeuge von Naturvorgängen die menschliche Zeitbegriffe unermeßlich weit übertreffen.

Durchnäßt und sehr müde waren die beiden, der Appetit war gering, war doch die Anstrengung zu groß gewesen, als daß nicht jetzt Ruhe und Schlaf das Beste und ihnen Erwünschteste erschienen wäre.

Am nächsten Mittag um 12 Uhr ritten wir von Nyidalur fort, in nördlicher Richtung. War es auch Herrn Reck und Sigurđur gelungen, zu Fuß durch den Vonarskarđ zu kommen, für eine Karawane mit Packpferden war es dennoch eine absolute Unmöglichkeit. Wir mußten über Akureyri in die Askja reiten.

Ein langer, langer Tag lag vor uns — wir ritten mit zwei Viertelstunden Unterbrechung vierzehn Stunden. Der Himmel war bewölkt und ohne Sonnenstrahlen sah auch die Wüste noch einförmiger aus. Wieder dehnte sich unermeßlich die Fläche bläulich grauer Gerölle um uns aus, — jenseits derselben die Gletscherflächen und die Ódáđahraun, — auf 90 km im Umkreis.

Kein Halm Gras, kein Wechsel in Form oder Farbe, grauer Himmel, grauer Boden, kalter Nordwest entgegen, der uns oft Regenböen ins Gesicht trieb und empfindlich niedrige Temperatur, + 6° C.

Unvergeßlicher Sprengisandur! Auch hier scheint der Zeitbegriff auszusetzen, ein leises Wehen vom Atemzug der Ewigkeit, der sich nicht einschränken läßt in menschliches Tempo, weckt das Wort: Vor Dir sind tausend Jahre wie der Tag, der gestern vergangen ist, — und über der starren Eintönigkeit liegt veredelnder Schein unfaßbarer Großartigkeit.

Weit wandern die Gedanken über Raum und Zeit, wenn der Körper in regelmäßiger Reitbewegung fast ohne eigene Anstrengung sich forttragen läßt und das Auge immer das gleiche Bild vor sich sieht, das durch keinen frischen Ton umstimmt. Und immer wieder kehren sie zurück zu der wilden Berglandschaft der Dyngjufjöll, die dort östlich fern von uns aus der Ódáđahraun emporragen. Sie arbeiten an dem Rätsel wie ein ernstes Schicksal sich erfüllte an jenen Beiden, von denen wir suchen, was noch zu finden sein könnte, und hoffen, bis die letzte Hoffnung versagt, die schon so matt wurde als sie Islands Weiten und Unmöglichkeiten zuerst erblickte.

Auf einer Höhe angelangt, wo einige karge Hälmchen den Pferden eine Erfrischung vortäuschten, war meilenweit das östliche Land zu übersehen, so nahe schienen die Dyngjufjöll zu liegen, die doch fast 60 km entfernt waren. Hätten wir von hier hinüberreiten können, wir hätten uns 250 km erspart.

Nach einigen Stunden erhielten die Pferde das in Ţúfuver und Nýidalur für sie geschnittene Gras, — ein ausgetrocknetes Flußbett bot etwas Schutz gegen den kalten, zerrenden Wind, aber bald gings wieder vorwärts.

Es wurde dämmerig, die Sonne sank, immer waren wir noch nicht am Ziel, nur die klugen Pferde fanden in der alten Spur von Erkes und Sigurjón ihren Weg; wir sahen nichts mehr deutlich — wehe dem Verirrten in solcher Nachtstunde.

Das Gedicht von Grimur Thomsen gibt hiervon ein klares Stimmungsbild, ich gebe es wieder in der unveröffentlichten Übertragung aus dem Isländischen von meinem Verlobten:

Sprengisandur.

Geschwind, reit geschwind, über den Sand jage hin!
Schon senkt sich die Dämm'rung auf die Berge herab,
Dann sattelt ihr Roß die Bergkönigin —
Und Gnade dem, der ihr kommt in den Weg!
Gott schütze all' den Anhang mein —
Gar lang wird die letzte Strecke sein!

Husch, husch! was tönt den Rain entlang?
Wars ein Fuchs, der mit Blut den Gaumen netzt?
Oder einer Stimme tiefer Klang,
Die in der Wildnis Schafe hetzt?
In der schwarzen Lava, der geächtete Mann
Vielleicht fängt er sein heimliches Treiben schon an?

Geschwind, reit geschwind, über den Sand jage hin,
Schon schwindet die Sonn' hinter Bergen!
Viel böse Geister von den Gletschern dann zieh'n
Die sich im Dunkeln verbergen!
Das beste Pferd, gern gab ich es fort! —
Wenn ich nur erst wäre an sicherem Ort! —

Der sichere Ort ist die Oase Kiđagil, die wir passierten, um bald darauf das Ende des 120 km Rittes, den Grasplatz Mjófidalur (Sowohl Mjófidalur als auch Mjóidalur geschrieben) zu erreichen. Ein wütender Sandsturm bereitete uns unbehaglichen Empfang, frierend

Abb. 29. Sprengisandur zwischen Nýidalur und Fjorđungsalda. und mißmutig verschlangen wir unser Mittag; seelensfroh war ich bei der noch immer niedrigen Temperatur nach beendetem Schüsselabwaschen ins warme Fellsäckchen zu kriechen.

Warmer Sonnenschein weckte uns am nächsten Vormittag, das Schleuderthermometer zeigte + 15°, — der Sturm hatte sich gelegt, — der Sprengisandur lag hinter uns. Unsere Pferde fraßen scheinbar ohne Atem zu holen; so viel wie irgend tunlich, gönnten wir ihnen das so wohlverdiente schöne Gras.

Wieder ritten wir zwölf Stunden, bis wir im Morgendämmer Eyjadalsä am Skjälfandafljöt erreichten, aber wie erfrischend für das Auge war heute das herr- liche Landschaftsbild.

Die ersten Stunden begleitete uns ein frisch rauschender Bach in dem sich der tiefblaue Himmel spiegelte, saftiges Gras und Blumen in Fülle zu unseren Füßen; — das schöne fruchtbare Bárđardalur, durch das wir hindurchritten, erstreckt sich rechts und links des vom Tungnafells-Jökull ins Nördliche Eismeer fließenden Skjálfandfljot und ist bekannt für seine reichen Farmer, deren Besitztümer sich stundenweit erstrecken.

Die Farm Ishóll am Südende des Sees ist, wie unser Führer sagte, von dem letzten Besitzer Jón Ţorkelson, — jetzt in Jarlstađir bei Lundarbrekka am gegenüberliegenden Ufer des Skjálfandafljöt, — seit einer Reihe von Jahren aufgegeben, weil die Weiden durch Sandstürme stark beschädigt wurden.

Von der Höhe der Hügelkette schon sahen wir die zusammengesunkenen Graswälle der verlassenen Farm, und weit hinüber schweifte der Blick zu den Dyngjufjöll und dem südlich erglänzenden Vatna-Jökull.

Beim Hinabreiten ins Tal, in dem die Farm lag, kamen wir an einem Pfahl vorbei, an welchem ein isländisch beschriebenes Blatt Papier mit einer Stecknadel angeheftet war. Sigurđur überlas es mißbilligend, — Jón Ţorkelsson bat in demselben sehr dringend die vorüberkommenden Reisenden, ihre Pferde nicht im Tún grasen zu lassen, da er später kommen würde das Gras zu schneiden. Das Tún ist die der Farm zunächst liegende, stets besonders sorgfältig gehegte Grasweide. Wir sahen nicht deutlich seine Berechtigung zu diesem Wunsch, berücksichtigten ihn aber dennoch, soweit die Pferde es erlaubten, die sehr zum Schlemmen aufgelegt waren, nach all' den mageren Tagen.

Von der Farm Stóruvellir an ritten wir die letzten Stunden hart am Ufer des schönen, brausenden, licht- grünen Skjálfandafljot auf einer breiten Ebene, die west- lich durch 600 m hohes Basaltgebirge begrenzt war. Frisches Gras bestand das Flachland und die Berghänge, an denen viele Schafe weideten.

Birkengebüsch erfüllte die Luft mit kräftig erfrischendem Hauch. Wo der Bergfuß sich nahe zum Fluß herandrängte, führte unser Weg durch die Birkenhänge hindurch und wir pflückten einen kleinen Zweig, um den starken Duft einzusaugen.

Leuchtende Blüten umstanden die klaren Gebirgswasser, die jauchzend zu Tal rasten, Brombeerranken zogen über den schmalen Fußpfad, — nur die Heckenrosen, und der melodische Froschchor fehlte, um die Sommernacht der Heimat wiederzuspiegeln.

Der durchsichtig helle Sommernachtshimmel erstrahlte in unvergleichlicher Farbenpracht als wir um 2 Uhr a. m. in Eyjadalsá zur Ruhe kamen.

Von hier hatten wir noch einen langen Tagesritt vor uns, ehe wir Akureyri, die Hauptstadt des Nordlandes am Eyjafjord erreichten.

Nach zwei Stunden Ritt verließen wir am nächsten Tage beim Ljósavatn (Lichtsee) das Bárđardalur und wandten uns nach Westen.

Der Ljósavatn liegt wie ein leuchtendes Auge von hochragenden Basaltwänden umschlossen. Die Landschaft in den kräftigen, klaren Farben, das Blau des Sees, die auch hier vom Birkengebüsch überkleideten niedrigen Felsenpartien, die höher hinauf grau-rötlich erschienen, mit leichten bläulichen Schatten, konnte man nur mit einem grandiosen Pastellbilde vergleichen, — es ist immer schwer für die unberührte Naturpracht Islands zutreffende Vergleiche vom Kpntinent herbeizuziehen.

Merklich näherten wir uns der Zivilisation. Am Ljösavatn vorbei führt die Telegraphen- und Telephonlinie ins Ostland, — man wünschte, beim Anblick der Stangen und Drähte den Kragen, den man nicht trug, zurechtzurücken, — summend scheinen sie einem dann zuzuflüstern: „Du siehst ja furchtbar ruppig aus." Mitten im Getriebe der Welt fühlten wir uns, als Sigurđur von Hals aus in dem, noch vier Rittstunden entfernten Akureyri telephonisch unsere Hotelzimmer bestellte.

Nachdem wir die Fnjoská durchritten, nahm es uns zwei weitere Stunden auf einem sehr sandigen Zickzackwege die steile Basalthöhe der Vađlaheiđi zu erklimmen, dann gings auf guter Poststraße eine zeitlang auf der Höhe weiter bis zum Steilabfall am Eyjafjord.

Ein überraschend schöner Anblick bot sich von hier, an dem wir uns während einer kurzen Rast erfreuten.

Vierhundert Meter unter uns schnitt der längliche Eyjafjord tief ins Land hinein, an der uns gegenüberliegenden Seite standen zierlich aufgebaut tief unten Akureyris winzige Häuserchen und die Vorstadt Oddeyri auf ihrem kühn in den Fjord geschwungenen Sandhaken.

Den Hintergrund bildete eine der diesseitigen ähnliche hohe Basaltwand, hinter der sich noch westlich und südlich schneebedeckte Bergzacken höher und höher auftürmten, sich gegen die Gletscherfelder des Vindheima- und Túnahryggs-Jökull in unerkennbare Fernen verlierend.

Wir ritten jetzt den schwach geneigten Weg mit dem Fjord parallel in südlicher Richtung bis wir das Niveau des Tales erreichten. Wo die Eyjafjarđará sich - in den Fjord ergießt, wurden vorsichtig ihre fünf breiten und tiefen Arme gekreuzt.

Dann wurden noch mal alle Kräfte gesammelt für einen eleganten Trab der letzten Viertelstunde, an den ersten Häusern vorbei, und um 6.30 Uhr abends hielten wir mit unseren zwanzig treuen Pferdchen vor dem „Hotel Akureyri", in dem wir wie alte Freunde herzlich begrüßt wurden.


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