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Die ganze Nacht brauste der Sturm, an unseren
Zelten zerrend, mit Schnee vom Myvatn herüber. Als
ich um 6 Uhr aufstand, zeigte das Schleuderthermometer
nur +3°, lästig und empfindlich war die Kälte und
Nässe beim Packen.
Ich war froh durch Sigurđurs Vermittelung bei
dem Farmer von Vógar zwei Paar Handschuhe aus
Schafwolle gekauft zu haben. Sie werden in den Farmen
sehr gut gestrickt, halten außerordentlich warm und
ihr besonderer Vorzug besteht darin, daß man
stundenlang im Regen die Zügel führend die Feuchtigkeit nicht
empfindet, da der natürliche Fettgehalt der Wolle erst
sehr langsam das Wasser durchläßt.
Um 9 1/2 Uhr gingen Herr Reck und ich zu Fuß
der Karawane voraus, zum Hverfjall. Helgi Jónsson
hatte sich inzwischen mit seinen zwei Pferden in sehr
munterer Laune eingestellt. Nachdem Herr Reck auf
der Höhe des Kraterrandes denselben umschritten, —
ich hatte mich begnügt an der Innenseite der
Kraterwand gegen den immer erneut brausenden Schneesturm
Schutz zu suchen — gingen wir hinab und trafen mit
den Anderen genau am Fuße des Berges zusammen.
Noch einmal ging's durch die schwarze
Hverfjall-Wüste, in der es auch hie und da von versteckten
Solfataren dampfte. — Wie gewöhnt sich das Auge
an den vielen Wechsel des Wunderbaren, wie strebt
der Wunsch, der sein Ziel näher und näher rücken
sieht, vorbei an all' den fesselnden Erscheinungen, hin-
über über kaum besiegbare Hindernisse, hinaus aus
der Gegenwart in die so nahe Zukunft, auf daß sie
endlich endlich Gegenwart werde. All' meine Ge-
danken waren durchglüht von dem Bewußsein: jetzt
gehts geradenwegs zurAskja; — wenn auch das „geraden-
wegs" hier weniger als sonst wörtlich zu nehmen war.
An der Paßhöhe des Námafjall trennten wir uns
von der großen Karawane, und während Siguröur, der
unsere Pferde hüten sollte, ins Tal hinabstieg, blieben
Herr Reck und ich auf der Berghöhe. Zwei Stunden
kletterten wir, die wir uns bald weit voneinander ent-
fernt hatten, zwischen den ausgedehnten Solfataren-
feldern herum.
Der Berg Námafjall erhebt sich ungefähr um
150 m über die meilenweite Ebene der Mývatns Öraefi,
die ohne Grenze in die östliche Odáđahraun übergeht, —
die Solfataren desselben werden meistens benannt nach
der am Ostufer des Mývatn belegenen Ansiedlung
Reykjahliđ.
Von der höchsten Gesteinszinne des Berges, die
wir schon mehrfach bei unserem Vorbeireiten
düsterrot aus der hellscheinenden Umgebung ragen sahen,
bietet sich ein herrlicher Fernblick. Besonders
überraschen hier wieder die bizarrsten Farbenkontraste, von
den zarten Pastelltönen des Bodens zu unseren Füßen
neben denen das Gelb des Schwefels schon grell
erscheint zu den kilometerweit entfernten tiefdunklen
Palagonitklippen, und den im fernen Duft dunkelblau
erscheinenden Bergen. — Geblendet starrt das Auge
in all diese fremdartigen Zusammenstellungen, aus denen
großzügige Harmonie der freibildenden Naturkräfte
spricht.
Nach zehn Minuten Abwärts - Rutschens an der
Schuttwand erreichte ich eine der originellsten
Betätigungen der erlöschenden vulkanischen Kräfte — die
Schlammpfuhle. In Reykjanes schon hatte ich
Gelegenheit gehabt solche aus nächster Nähe zu betrachten, hier
aber zeigten sie sich in bedeutenderen Dimensionen.
Die meisten derselben hatten einen Durchmesser von
ca. 1 1/2 m, während jener des kochenden Sees 5—6 m
betragen mochte. Im ganzen befanden sich zwölf bis
fünfzehn große Schlammpfuhle hier.
Unermüdlich Tag und Nacht, Sommer und Winter,
Jahr um Jahr vollführen sie, jedes im eignen Rythmus,
ihr sonderbar schnaubendes Gestöhn, atmen sie pustend
und seufzend und zerplatzen spritzend die sich
glockenförmig bis zu '/4 m hochwölbenden Kochblasen des
graublauen, zähflüssigen Tons.
Während einzelne in jeder Minute in bescheidenem
Maße ihre Tätigkeit ausführen, sammeln andere
unterdrückt keuchend scheinbar Kräfte zu einer
außerordentlichen Explosion, die dann auch nach kurzer
Zeit unter besonders hochaufspritzendem Schlamm
erfolgt. Und doch mag sie wie tausend und
abertausend ihrer Vorgänger dem armen Pfuhlchen nicht
die ersehnte Erleichterung verschafft haben, denn sofort
schickt es sich asthmatisch seufzend wieder an
sorgfältigst einen gleichen Ausbruch vorzubereiten; —
wiederum werden seine geringen Kräfte ihm die Enttäuschung
bereiten, daß es nicht die Fähigkeit besitzt all' die
Rätsel, die tief unter ihm wühlen, durch eine vehemente
Eruption für ewige Zeiten zum Schweigen zu bringen.
Eine, trotz erfolgloser Arbeit von Jahrhunderten,
unermüdete Geduld, die, ohne sich eines Zweckes bewußt
zu sein, im engen Kreise die durch elementare Ge-
walten vorgeschriebenen Funktionen erfüllt. Im Umkreis
des kochenden Sees zitterte der Boden, tief sank der
Fuß ein in den warmen und feuchten Ton, aus der
Tiefe drangen unheimlich dröhnende Laute, die nicht zu
längerem Verweilen lockten.
Bald darauf wurde aufgesessen und wir drei jagten
Trygve, Helgi und den Packpferden nach, die während
unseres langen Aufenthalts am Nämafjall einen weiten
Vorsprung -gewonnen hatten. Herrlich waren diese drei
Stunden Rittes, bis wir sie erreichten; nie vorher noch
nachher bei unseren Islandritten waren wir so frei, —
keine Pferde außer denen, die wir selbst ritten, diese
eifrig strebend ihre fernen Genossen zu erreichen und
auch wir unermüdet.
Vor den drohenden Wolken, die Schneesturm
mit sich bringend über die Krafla krochen, jagen
wir dahin über die lockeren Sande auf der Poststraße
nach Osten. Noch immer ragt links von uns, —
nördlich — riesenhaft der massive, langgestreckte
Jörundur hin stora über das vorliegende Hügelland,
südlich der plumpe Burfell, fern der Herdubreiđ, dessen
elegant wuchtiger Bau einen Schneehelm trägt und
hinter diesem die ganz vom weißen Mantel verhüllten
Dyngjufjöll.
Kurze Zeit strahlt, fast zu warm, die Sonne auf
uns herab, dann kriecht sie wieder hinter die finsteren
Wolkenbänke und überläßt uns dem Toben des Sturms,
der immer wechselnd mit Schneeflocken und Sand-
wolken uns um die Köpfe saust.
Aber köstlich ist das alles dennoch bei dem frischen
scharfen Ritt, wir kommen doch vorwärts; weiter und
weiter! —
Vom Burfell und dem Jörundur erzählt die Sage:
Zwei mächtige Trolle wollten beide Myvatnsveit, —
das fruchtbare Land um den Mývatn — zu ihrem
Besitz errauben. Hier begegneten sie sich. Jeder
prahlte, er sei der Stärkere und wollte den Gegner
niederrennen, aber bei ihrer plumpen Größe brauchten
scheinbar die Gedanken viel Zeit, um zum Entschluß
zu führen. Zu lange säumten sie in Kampfesstellung
einander gegenüberstehend, die Sonne ging auf und ihr
erster Strahl zauberte die beiden Trolle, die keine
Sonne vertragen können, zu Stein. So stehen sie nun
noch da und haben genügend Zeit nachzudenken, wie
es gewesen wäre, ein Troll zu bleiben und Myvatns-
veit zu besitzen.
Eine ähnliche Sage knüpft sich an zwei bei den
Westmänner-Inseln dicht nebeneinander aus dem Meer
hochaufragende Felsen von fast gleicher Größe. Dies-
mal ist es ein Troll, der mit seinem Weib in der Nacht
auszog, um mittelst eines starken Strickes die West-
männer-Inseln nach Island, seiner Heimat
hinüberzuziehen. Sie veruneinigen sich um einer Kleinigkeit
willen, ihre Arbeit verzögert sich dadurch, die Sonne
geht auf und gleiches Schicksal trifft sie, wie den
Jörundur und den Burfell. H. Erkes (Heinrich Erkes.
Die Lavawüste Ódáđahraun und das Tal
Askja im nordöstlichen Zentral - Island. Mitteilungen des Vereins
für Erdkunde. Dresden 1909. Heft 9.) erwähnt u. a.,
daß nach Kristian Kaalund die in Island sehr häufigen
flachen Vulkanschilde (vom Hawaitypus) ihren Namen
„Dyngja" ableiten von der ursprünglichen isländischen
Bezeichnung für die Frauenwohnung, die in diesem
Fall auf die Behausung der Weiber von Riesen oder
Trollen übertragen war.
Wer die wunderbaren Berg- und Gesteinsbildungen
vulkanischer Wirksamkeit in Island sieht, die vielen
unerklärten Laute des Sturmes in der einsamen Wildnis,
im meilenweiten Lavafeld, jene unterirdischer Tätigkeit
an den Solfataren hört, wird es begreiflich finden, daß
man nach einem Ursprung für ihre Entstehung suchend,
die unverstandenen Mächte in übernatürlicher Menschen-
kraft ihre Verkörperung finden ließ und auf diese
Weise die vielen Troll-Sagen in Island entstanden.
Als wir Trygve und Helgi erreicht hatten, werden
die Pferde gewechselt und wir kommen in die Lava
der Sveinagjá. Wo unsere Route führt, besteht sie
großenteils aus flachen, vielfach geborstenen Platten,
mit vollendet strickartiger Oberflächenstruktur. Wie
gern wäre ich abgestiegen, um einige schöne Stücke
als Andenken nach Deutschland zu nehmen, aber un-
sere Pferde, die schwere Tagestouren vor sich hatten,
durften nicht ein Gramm mehr zu tragen bekommen.
Unberührt mußte die Lava bleiben, wie so vieles in
Island, das, mehr noch als dieses des Mitnehmens wert,
unter dem Zwange schwieriger Verkehrsmittel dort
bleiben muß, wo die Natur es ihren Wunderwerken
einfügte.
Weitere zwei Stunden Ritt bringen uns den Krater
Hrossaborg in Sicht. Da wir morgen keine Zeit zu
einem Abstecher haben werden, ziehen Herr Reck und
ich es vor, schnell hinüberzureiten. Während wir hinauf-
steigen, hütet Helgi unsere drei Pferde auf einem mit
Sandhafer bestandenen Fleckchen. Oben angelangt,
bietet sich unseren Blicken ein riesenhafter Explosions-
krater, dessen Niveau mit dem umgebenden gleich ist und
dessen durchbrochene Ostwand bequem Eintritt läßt zu
diesem Naturzirkus. Nie schmückt eine schaulustige
Menge seine Wände, keine Dressuren produzieren sich,
Einsamkeit und Schweigen herrschen hier ewig. Unter
den Strahlen der Sonne zieht langsam der Bergschatten,
dem Zeiger einer Sonnenuhr vergleichbar, auf der um-
gebenden Lava entlang, über die hier und da gleich
samtweichem, tierbraunem Teppich Flugsandflächen aus-
gebreitet liegen, der Macht des Sturmes gehorsame
Arbeiter an der allmäligen Vernichtung bescheidenen
Pflanzenwuchses an den Grenzen der Wüsten.
Mit ungeminderter Kraft rasen die Winde über
die meilenlangen Ebenen, schleppen zerrend Schnee-
wölken herbei und singen und sausen um die wilden
Klippen, an denen sie mit dem aufgewirbelten Sande
schleifen.
Düster und unwirtlich schien dem durch die
Farbenpracht des Námafjall verwöhnten Auge das
Schwarz, Braun und Grau des Landschaftsbildes. Der
kalte Wind, der stäubende Schnee verschärften den
trüben Eindruck grandioser Melancholie. —
Als wir nach einer halben Stunde scharfen Ritts
die Lava verlassen, noch einen kleinen Zufluß der
Jökulsä í Axarfirđi durchtraben, haben Sigur9ur und
Trygve die Zelte schon gesetzt und soviel Vor-
bereitungen getroffen, daß nach kurzer Zeit das wohl-
verdiente Mittagbrod „auf dem Tische" steht.
Nach Osten dehnte sich vom Zeltplatz Hrossaborg,
auf Meilen die flache Ebene aus, hier mit spärlichem
Gras bestanden, während hart am Flüßchen westwärts
sich schwarzbraune. Flugsanddünen mit graugrünem
Sandhafer bewachsen erhoben. Ein Sonnenuntergang
in den herrlichsten Tinten verklärte die Monotonie von
Farben und Formen. Die Temperatur war auf +2°
gesunken, die Nacht sehr kalt und als mich am Morgen
um 6 Uhr Sigurđur weckte, waren die dünnen Leinen-
wände meines Zeltchens bretterfest gefroren. Aber
vor der sieghaft steigenden Sonne rieselten die
schmelzenden Tautropfen wie Diamanten ins Gras.
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