Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XIII

Hrossaborg.


Die ganze Nacht brauste der Sturm, an unseren Zelten zerrend, mit Schnee vom Myvatn herüber. Als ich um 6 Uhr aufstand, zeigte das Schleuderthermometer nur +3°, lästig und empfindlich war die Kälte und Nässe beim Packen.

Ich war froh durch Sigurđurs Vermittelung bei dem Farmer von Vógar zwei Paar Handschuhe aus Schafwolle gekauft zu haben. Sie werden in den Farmen sehr gut gestrickt, halten außerordentlich warm und ihr besonderer Vorzug besteht darin, daß man stundenlang im Regen die Zügel führend die Feuchtigkeit nicht empfindet, da der natürliche Fettgehalt der Wolle erst sehr langsam das Wasser durchläßt.

Um 9 1/2 Uhr gingen Herr Reck und ich zu Fuß der Karawane voraus, zum Hverfjall. Helgi Jónsson hatte sich inzwischen mit seinen zwei Pferden in sehr munterer Laune eingestellt. Nachdem Herr Reck auf der Höhe des Kraterrandes denselben umschritten, — ich hatte mich begnügt an der Innenseite der Kraterwand gegen den immer erneut brausenden Schneesturm Schutz zu suchen — gingen wir hinab und trafen mit den Anderen genau am Fuße des Berges zusammen.

Noch einmal ging's durch die schwarze Hverfjall-Wüste, in der es auch hie und da von versteckten Solfataren dampfte. — Wie gewöhnt sich das Auge an den vielen Wechsel des Wunderbaren, wie strebt der Wunsch, der sein Ziel näher und näher rücken sieht, vorbei an all' den fesselnden Erscheinungen, hin- über über kaum besiegbare Hindernisse, hinaus aus der Gegenwart in die so nahe Zukunft, auf daß sie endlich endlich Gegenwart werde. All' meine Ge- danken waren durchglüht von dem Bewußsein: jetzt gehts geradenwegs zurAskja; — wenn auch das „geraden- wegs" hier weniger als sonst wörtlich zu nehmen war.

An der Paßhöhe des Námafjall trennten wir uns von der großen Karawane, und während Siguröur, der unsere Pferde hüten sollte, ins Tal hinabstieg, blieben Herr Reck und ich auf der Berghöhe. Zwei Stunden kletterten wir, die wir uns bald weit voneinander ent- fernt hatten, zwischen den ausgedehnten Solfataren- feldern herum.

Der Berg Námafjall erhebt sich ungefähr um 150 m über die meilenweite Ebene der Mývatns Öraefi, die ohne Grenze in die östliche Odáđahraun übergeht, — die Solfataren desselben werden meistens benannt nach der am Ostufer des Mývatn belegenen Ansiedlung Reykjahliđ.

Von der höchsten Gesteinszinne des Berges, die wir schon mehrfach bei unserem Vorbeireiten düsterrot aus der hellscheinenden Umgebung ragen sahen, bietet sich ein herrlicher Fernblick. Besonders überraschen hier wieder die bizarrsten Farbenkontraste, von den zarten Pastelltönen des Bodens zu unseren Füßen neben denen das Gelb des Schwefels schon grell erscheint zu den kilometerweit entfernten tiefdunklen Palagonitklippen, und den im fernen Duft dunkelblau erscheinenden Bergen. — Geblendet starrt das Auge in all diese fremdartigen Zusammenstellungen, aus denen großzügige Harmonie der freibildenden Naturkräfte spricht.

Nach zehn Minuten Abwärts - Rutschens an der Schuttwand erreichte ich eine der originellsten Betätigungen der erlöschenden vulkanischen Kräfte — die Schlammpfuhle. In Reykjanes schon hatte ich Gelegenheit gehabt solche aus nächster Nähe zu betrachten, hier aber zeigten sie sich in bedeutenderen Dimensionen. Die meisten derselben hatten einen Durchmesser von ca. 1 1/2 m, während jener des kochenden Sees 5—6 m betragen mochte. Im ganzen befanden sich zwölf bis fünfzehn große Schlammpfuhle hier.

Unermüdlich Tag und Nacht, Sommer und Winter, Jahr um Jahr vollführen sie, jedes im eignen Rythmus, ihr sonderbar schnaubendes Gestöhn, atmen sie pustend und seufzend und zerplatzen spritzend die sich glockenförmig bis zu '/4 m hochwölbenden Kochblasen des graublauen, zähflüssigen Tons.

Während einzelne in jeder Minute in bescheidenem Maße ihre Tätigkeit ausführen, sammeln andere unterdrückt keuchend scheinbar Kräfte zu einer außerordentlichen Explosion, die dann auch nach kurzer Zeit unter besonders hochaufspritzendem Schlamm erfolgt. Und doch mag sie wie tausend und abertausend ihrer Vorgänger dem armen Pfuhlchen nicht die ersehnte Erleichterung verschafft haben, denn sofort schickt es sich asthmatisch seufzend wieder an sorgfältigst einen gleichen Ausbruch vorzubereiten; — wiederum werden seine geringen Kräfte ihm die Enttäuschung bereiten, daß es nicht die Fähigkeit besitzt all' die Rätsel, die tief unter ihm wühlen, durch eine vehemente Eruption für ewige Zeiten zum Schweigen zu bringen. Eine, trotz erfolgloser Arbeit von Jahrhunderten, unermüdete Geduld, die, ohne sich eines Zweckes bewußt zu sein, im engen Kreise die durch elementare Ge- walten vorgeschriebenen Funktionen erfüllt. Im Umkreis des kochenden Sees zitterte der Boden, tief sank der

Fuß ein in den warmen und feuchten Ton, aus der Tiefe drangen unheimlich dröhnende Laute, die nicht zu längerem Verweilen lockten.

Bald darauf wurde aufgesessen und wir drei jagten Trygve, Helgi und den Packpferden nach, die während unseres langen Aufenthalts am Nämafjall einen weiten Vorsprung -gewonnen hatten. Herrlich waren diese drei Stunden Rittes, bis wir sie erreichten; nie vorher noch nachher bei unseren Islandritten waren wir so frei, — keine Pferde außer denen, die wir selbst ritten, diese eifrig strebend ihre fernen Genossen zu erreichen und auch wir unermüdet.

Vor den drohenden Wolken, die Schneesturm mit sich bringend über die Krafla krochen, jagen wir dahin über die lockeren Sande auf der Poststraße nach Osten. Noch immer ragt links von uns, — nördlich — riesenhaft der massive, langgestreckte Jörundur hin stora über das vorliegende Hügelland, südlich der plumpe Burfell, fern der Herdubreiđ, dessen elegant wuchtiger Bau einen Schneehelm trägt und hinter diesem die ganz vom weißen Mantel verhüllten Dyngjufjöll.

Kurze Zeit strahlt, fast zu warm, die Sonne auf uns herab, dann kriecht sie wieder hinter die finsteren Wolkenbänke und überläßt uns dem Toben des Sturms, der immer wechselnd mit Schneeflocken und Sand- wolken uns um die Köpfe saust.

Aber köstlich ist das alles dennoch bei dem frischen scharfen Ritt, wir kommen doch vorwärts; weiter und weiter! —

Vom Burfell und dem Jörundur erzählt die Sage: Zwei mächtige Trolle wollten beide Myvatnsveit, — das fruchtbare Land um den Mývatn — zu ihrem Besitz errauben. Hier begegneten sie sich. Jeder prahlte, er sei der Stärkere und wollte den Gegner niederrennen, aber bei ihrer plumpen Größe brauchten scheinbar die Gedanken viel Zeit, um zum Entschluß zu führen. Zu lange säumten sie in Kampfesstellung einander gegenüberstehend, die Sonne ging auf und ihr erster Strahl zauberte die beiden Trolle, die keine Sonne vertragen können, zu Stein. So stehen sie nun noch da und haben genügend Zeit nachzudenken, wie es gewesen wäre, ein Troll zu bleiben und Myvatns- veit zu besitzen.

Eine ähnliche Sage knüpft sich an zwei bei den Westmänner-Inseln dicht nebeneinander aus dem Meer hochaufragende Felsen von fast gleicher Größe. Dies- mal ist es ein Troll, der mit seinem Weib in der Nacht auszog, um mittelst eines starken Strickes die West- männer-Inseln nach Island, seiner Heimat hinüberzuziehen. Sie veruneinigen sich um einer Kleinigkeit willen, ihre Arbeit verzögert sich dadurch, die Sonne geht auf und gleiches Schicksal trifft sie, wie den Jörundur und den Burfell. H. Erkes (Heinrich Erkes. Die Lavawüste Ódáđahraun und das Tal Askja im nordöstlichen Zentral - Island. Mitteilungen des Vereins für Erdkunde. Dresden 1909. Heft 9.) erwähnt u. a., daß nach Kristian Kaalund die in Island sehr häufigen flachen Vulkanschilde (vom Hawaitypus) ihren Namen „Dyngja" ableiten von der ursprünglichen isländischen Bezeichnung für die Frauenwohnung, die in diesem Fall auf die Behausung der Weiber von Riesen oder Trollen übertragen war.

Wer die wunderbaren Berg- und Gesteinsbildungen vulkanischer Wirksamkeit in Island sieht, die vielen unerklärten Laute des Sturmes in der einsamen Wildnis, im meilenweiten Lavafeld, jene unterirdischer Tätigkeit an den Solfataren hört, wird es begreiflich finden, daß man nach einem Ursprung für ihre Entstehung suchend, die unverstandenen Mächte in übernatürlicher Menschen- kraft ihre Verkörperung finden ließ und auf diese Weise die vielen Troll-Sagen in Island entstanden.

Als wir Trygve und Helgi erreicht hatten, werden die Pferde gewechselt und wir kommen in die Lava der Sveinagjá. Wo unsere Route führt, besteht sie großenteils aus flachen, vielfach geborstenen Platten, mit vollendet strickartiger Oberflächenstruktur. Wie gern wäre ich abgestiegen, um einige schöne Stücke als Andenken nach Deutschland zu nehmen, aber un- sere Pferde, die schwere Tagestouren vor sich hatten, durften nicht ein Gramm mehr zu tragen bekommen. Unberührt mußte die Lava bleiben, wie so vieles in Island, das, mehr noch als dieses des Mitnehmens wert, unter dem Zwange schwieriger Verkehrsmittel dort bleiben muß, wo die Natur es ihren Wunderwerken einfügte.

Weitere zwei Stunden Ritt bringen uns den Krater Hrossaborg in Sicht. Da wir morgen keine Zeit zu einem Abstecher haben werden, ziehen Herr Reck und ich es vor, schnell hinüberzureiten. Während wir hinauf- steigen, hütet Helgi unsere drei Pferde auf einem mit Sandhafer bestandenen Fleckchen. Oben angelangt, bietet sich unseren Blicken ein riesenhafter Explosions- krater, dessen Niveau mit dem umgebenden gleich ist und dessen durchbrochene Ostwand bequem Eintritt läßt zu diesem Naturzirkus. Nie schmückt eine schaulustige Menge seine Wände, keine Dressuren produzieren sich, Einsamkeit und Schweigen herrschen hier ewig. Unter den Strahlen der Sonne zieht langsam der Bergschatten, dem Zeiger einer Sonnenuhr vergleichbar, auf der um- gebenden Lava entlang, über die hier und da gleich samtweichem, tierbraunem Teppich Flugsandflächen aus- gebreitet liegen, der Macht des Sturmes gehorsame Arbeiter an der allmäligen Vernichtung bescheidenen Pflanzenwuchses an den Grenzen der Wüsten.

Mit ungeminderter Kraft rasen die Winde über die meilenlangen Ebenen, schleppen zerrend Schnee- wölken herbei und singen und sausen um die wilden Klippen, an denen sie mit dem aufgewirbelten Sande schleifen.

Düster und unwirtlich schien dem durch die Farbenpracht des Námafjall verwöhnten Auge das Schwarz, Braun und Grau des Landschaftsbildes. Der kalte Wind, der stäubende Schnee verschärften den trüben Eindruck grandioser Melancholie. —

Als wir nach einer halben Stunde scharfen Ritts die Lava verlassen, noch einen kleinen Zufluß der Jökulsä í Axarfirđi durchtraben, haben Sigur9ur und Trygve die Zelte schon gesetzt und soviel Vor- bereitungen getroffen, daß nach kurzer Zeit das wohl- verdiente Mittagbrod „auf dem Tische" steht.

Nach Osten dehnte sich vom Zeltplatz Hrossaborg, auf Meilen die flache Ebene aus, hier mit spärlichem Gras bestanden, während hart am Flüßchen westwärts sich schwarzbraune. Flugsanddünen mit graugrünem Sandhafer bewachsen erhoben. Ein Sonnenuntergang in den herrlichsten Tinten verklärte die Monotonie von Farben und Formen. Die Temperatur war auf +2° gesunken, die Nacht sehr kalt und als mich am Morgen um 6 Uhr Sigurđur weckte, waren die dünnen Leinen- wände meines Zeltchens bretterfest gefroren. Aber vor der sieghaft steigenden Sonne rieselten die schmelzenden Tautropfen wie Diamanten ins Gras.


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