Ina von Grumbkow

Ísafold
Reisebilder aus Island

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Online Version erstellt von Dieter Graser

Kapitel XIV

Herdubreiđarlindir.


Den Zeltplatz Hrossaborg um 9 Uhr verlassend ritten wir den ganzen Tag in fast direkt südlicher Richtung. Die flache Plattenlava der östlichen Ódáđhraun ließ auf Meilen im Umkreis beständigen Überblick zu, und während elf Stunden hatten wir unser Tagesziel, den Herdubreiđ, vor uns.

Würden wir auf dem Grasplatz, an seinem Fuße, — der Oase Lindir, wie sie kurzweg genannt wird — genügend Gras finden? Zwei Tage sollten unsere 22 Pferde dort ausruhen, ehe. der schwere Ritt in die Askja unternommen wurde. Außerdem aber mußten noch mehrere Säcke Gras geschnitten werden können, das mitgenommen zur Fütterung dienen sollte, gleich nach unserer Ankunft in der Askja.

Vor mehr als zwanzig Jahren war Professor Thoroddsen in Lindir gewesen, später noch einmal ein Amerikaner, um die Ersteigung des Herdubreiđ zu versuchen. Wie konnte sich alles verändert haben, wenn wir der Enttäuschung bei den Varmäquellen in Laki gedachten! Fanden wir aber am Fuße des Herdubreiđ kein Gras, so mußten wir auf dem „Wege", den wir bis jetzt gemacht, die 80 km zurück bis Skútustađir, um neuerlich von dort über Svartárkot zur Askja zu reiten. Die Route über Lindir hatten wir gewählt, um ein mög- lichst großes Gebiet durchstreifen zu können, glaubte ich doch noch immer, ehe ich den Knebel-See und die Askja gesehen, daß ein Entkommen der Verunglückten möglich und uns vielleicht hier eine Spur von ihnen werden könne.

Den ganzen Tag bei unserem Ritt über die blaugrauen Lavaplatten der Grafarlönd, die hie und da überstreut sind von schwarzbraunen vulkanischen Aschensanden, ohne einen Halm, ohne einen Tropfen Wasser für die Pferde und uns, gab uns allen der Gedanke an das Gras mehr als erwünscht Beschäftigung. Die Gegend erinnerte lebhaft an den Sprengisandur. Hier wie dort der unendliche Horizont, der jenseits unpassierbarer Gletseherströme mehr als ein unerreichbares Ziel aufwies, hier wie dort die monotonen Farben, die ohne Wechsel flächenhaften Formen, hier wie dort weder Gras noch Wasser.

Um 7 Uhr abends schimmert es verheißungsvoll grün vor uns auf, das kann nur die Oase Lindir sein! Die Pferde in Trab gesetzt und Alles vorwärts, die Müdigkeit ist vergessen bei ihnen und bei uns. Nach einer Viertelstunde erreichen wir ein Flüßchen — inmitten von Zwergpappeln, Binsen, wenig Birkengestrüpp, Moos steht allerhand bitteres Blätter- werk, an dem die Pferde naserümpfend vorübergehen. Triebsande sind hier, freilich Wasser, aber noch kein Gras. Spärlich verteilte ausgeblichene Halme zeigten, daß hier der Sandsturm sein Werk zum Teil schon vollendet. Sigurđur und Helgi untersuchen das grüne Land weiter nach Westen, nach einer Viertelstunde kommen sie zurück — „no grass."

Kurze Zeit dürfen wir nur noch weiter gehen mit den hungrigen Tieren, finden wir dann nichts, so wird umgekehrt und wir müssen unser Nachtlager auf- schlagen bei der kargen Sandhafer-Insel, die wir vor fünf Stunden passierten.

Also noch einmal im Trab weiter vorwärts und schon nach zehn Minuten haben wir das erste gute Gras! Jetzt sind wir bewahrt vorm Umkehren-Müssen.

Ein tiefes, gelbes Gletscherwasser wird gekreuzt und um 8 Uhr abends wird abgesessen. Hart an einem mit Blumen verbrämten, melodisch rieselnden Bach werden unsere Zelte gesetzt; einige Schritt nach der anderen Seite trennt uns der gelbe Gletscherfluß, — wie sich später herausstellte ein Seitenarm der Jökulsá — von der Lava, die sich als finsteres Bollwerk türmt zu Füßen der stolzen, wie die Literatur angibt „von ewigem Gletscher bedeckten" Felsenburg des Herdubreiđ.

Eine wunderbar schöne Oase inmitten der sich nach allen Seiten meilenweit erstreckenden Lavawüste Ódáđahraun war der Grasplatz Herdubreiđarlindir. Fast wie auf ihn geschrieben scheint die Einleitung zu dem Roman „Heiđarbyliđ" des isländischen Dichters Jön Trausti. Ich gebe in den folgenden Zeilen meine Übersetzung eines Teils derselben wieder: (Herrn H. Erkes in Köln ist von dem Autor das alleinige Recht der Übersetzung ins Deutsche erteilt worden. Herr Erkes hat die erste Hälfte der Einleitung in seiner soeben erscheinenden Broschüre: „Aus dem unbewohnten Innern Islands." Dortmund 1909, in weiterem Umfange veröffentlicht. Liebenswürdigerweise hat er mir nun gestattet, meinen, seit lange übersetzten Abschnitt ebenfalls zu bringen, um Trausti's meisterhafter Schilderung der unbekannten Schönheit seiner Heimatinsel zu weiterer Verbreitung zu verhelfen.):

„Jene, welche an den Küsten Islands vorüberfahren, sehen wenig von dem Lande.

Sie schauen die Meeresnebel und vielleicht bis hin zum wilden Polareis, sie sehen das Schäumen der Brandung über den unterseeischen Klippen, die Vögelvölker um die Wasserfalle und das Schiff inmitten.

Sie sehen die riesenhohen Felsenzacken, soweit das Auge reicht, sich in Reihen nebeneinander auftürmen; sie ragen bis zum Himmel empor und oft hüllen Wolkenmäntel ihre Spitzen ein. Auf ihrem Rücken breiten sich weite Firnflächen. In ihrer Mitten öffnen sich schmale Fjorde voller Seetücken. Kleine Handelsplätze liegen an ihrem Ufer. Rauchwölkchen ringeln sich an den Bergen empor; Segelschiffe suchen Schutz hinter den Klippenwänden.

Am Ende des Fjordes schließen im bläulichen Duft verschwimmende Bergecken den Blick ins Innere ab, weit ziehen sie hinein, von dem flachen Strande. Und dann liegt dort das Land unter der Mittsommersonne wie ein blauer Streifen. Die Gletscher schimmern herab. Die Bergumrisse und das flache Land verschwimmen ineinander im dämmerblauen Duft.

Herrlich ist dieser Anblick. Manchem wird er unvergeßlich bleiben.

Aber hinter diesen hochragenden Fjordbergen, hinter den Höhen, welche das Buchtende schließen, weit hinein, jenseits der schaumbeflogenen Ufersande, weit — weit drinnen im Duft der Ferne liegt ein anderer Teil Islands, so gänzlich verschieden von dem, dessen Eindruck jene auf ihren Schiffsplanken mit sich davontragen.

Dort liegt das Heideland, öde und unberührt, und ist doch so wertvoll wie gute Sommerweiden. Dort lächeln grüne Sumpfwiesen und grasreiche Fleckchen, Wasserfälle und fischreiche Seen.

Wellengleich flutet das Schilfgras über weite, nie bebaute Strecken. Blauveilchen duften im Schatten der klaren Quellen. Dort blühen sie und dort vergehen sie ohne eines Menschen Auge zu erfreuen. Die Sumpf-Njoli steht kerzengerade und trägt ihr Köpfchen

hoch. Sie ist gekrönt mit königlicher Hoheit. Salomo in aller seiner Herrlichkeit war nicht so gekleidet als wie eine von ihnen. Und keiner ist da ihre Schön- heit zu sehen.

Der blütentragende Ebereschenstrauch fächelt sein Blätterwerk in der sanften Sommerbrise. Dort ist Gastfreundschaft der Natur, Schutz und Behagen; nicht ein einziger kommt es heimzusuchen.

Abgründe breiten ihre Arme klaftertief, sie sind von oben bis hinab mit Grün verbrämt. Es kommt nicht eine einzige Kreatur, dies alles zu genießen, nicht einmal ein dummes Schäfchen.

Freie Vogelscharen schweben über die Heide und ergreifen Besitz von Nistplätzen, wo es ihnen behagt. Schneeweiße Schwäne lassen ihre schimmernden Federn dort in einem jeden Sommer. Sie sind so sanft und zahm wie die Lämmer; sie lernten nicht den Menschen zu fürchten.

Die andere Welt ist verborgen durch die umringenden blinkenden Gletscher und bläulichen Bergzacken, durch die schwärzlichen Lavaströme und die graubraunen Sandwüsten.

Dieser Teil Islands ist eine Welt für sich mit Sommerwonne und Wintersgrauen. Er ist sehr schön, überwältigend großartig und von unendlicher Weite. Wo ist seinesgleichen! — Es sind nicht mehr viele, die noch davon zu erzählen wissen.

Jetzt, im Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts liegt die Volksstraße Islands draußen auf der See, in den Fjorden und um die Vorgebirge.

Früher zogen sie alle durch das Land. Jeder wußte die weiten Reisewege und sie berieten darüber ernst und langwierig. Die Heidelande waren jedem Manne bekannt, ein Jeder wußte die Furten in den Flüssen zu finden. Damals wagten die Leute mühevolle und gefahrdrohende Landreisen von Kindheit auf und erwarben sich Blickesschärfe auf den Gebirgspfaden.

Auch durch die Ódáđahraun führten Menschenspuren und solche von Pferdehufen. Zu jener Zeit leitete der Edle sein Gefolge dort, wo es jetzt dem Führer schwierig wird, eine Wegspur zu finden.

Jetzt verwachsen die alten Saumpfade in der Heide, sie werden von Erde erfüllt, vom Sandflug verschüttet. Von manchem weiß kein Mensch mehr, wie sie einst führten.

Islands schöne, majestätische Hochlande sinken in Vergessenheit und verlöschen nach und nach in dem Bewußtsein des Volkes.

Ihre Namen werden vergessen".

Der Name von Lindir ist noch nicht vergessen, — die Karten Islands führen ihn weiter. Vielleicht vergehen wieder zwanzig Jahre, ehe die schweigende Schönheit durch ihren unvergänglichen Zauber andere Wanderer entzückt.

Früh am nächsten Morgen zog Herr Reck zum Berge Kolotta Dyngja, mit Sigurđur und Trygve. Soweit es möglich, ritten sie über die Lava, nach zwei Stunden kam Trygve mit den leeren Pferden zurück. Dieser Schildvulkan, elegant und ebenmäßig wie alle seiner Art, erhebt sich über einer gewaltigen kreisrunden Basis allseits gleichmäßig sanft ansteigend zu der geringen Höhe von nur 420 m über seine Umgebung, unfern vom Fuße des Herdubreiđ aus den unermeßlichen Lavaweiten der Ódáđahraun.

Kurz nachdem sie den Zeltplatz verlassen und Helgi nach Süden geritten war, um für uns die Passierbarkeit der Lava in der Richtung zu den Dyngjufjöll zu erkunden, erhob sich ein wütender Sturm, der das Zelt umzureißen drohte. Ich suchte durch aufgestapelte Kisten und Packsättel die Südseite desselben gegen den Anprall zu schützen. Nicht lange währte es und Sandwolken hüllten die Ferne ein. Daß zum Grasmähen nicht nur Energie, sondern auch Übung gehört, mußte ich resigniert einsehen, daher blieb mir als einzige Beschäftigung, vom Zelt aus eine Farbenskizze des Flusses, der dicht an unseren Zelten vorbeirauschte, aufzunehmen.

Die Triebsandinseln, die eigenartige Vegetation der Ufer, bestehend aus kaum kniehohem Pappelgestrüpp,

durchsetzt von welkendem Gras und Binsen, das alles trug eine ganz andere Physiognomie als Pu- fuver und Nyidalur am Sprengisandur. Nachdem ich eine zweite Skizze von der Kolotta Dyngja vollendet, kehrten um 8 Uhr abends Herr Reck und Sigurđur sehr befriedigt von ihrer Besteigung des Berges zurück. Früher schon war Helgi gekommen, er glaubte eine gute Passage für uns gefunden zu haben und sprach außerordentlich viel und lebhaft darüber mit Trygve.

Noch einen Tag sollten die Pferde ruhen, ehe die mühevollste Arbeit, die sie in unserem Dienst ausgeführt, für die treuen Tiere begann. So blieb auch für Herrn Reck noch ein Tag, — freilich kein Ruhetag — um diese fast nie betretene, unter den Gelehrten nur einmal vor vielen Jahren von Thoroddsen bereiste Gegend zu untersuchen. War es ein Wunder, daß das Geheimnis des 1660 m hohen Herdubrei9 ihn lockte, seine zähe junge Kraft zu erproben? — Noch nie waren die riesenhohen Palagonitsäulen seiner Flanken erklommen, noch nie die Schutthalden, aus denen sie jäh emporstreben, von eines Menschen Fuß betreten! — Von je galt der Berg für unbesteigbar, keiner noch versuchte den Bann zu brechen.

Früh um 8 Uhr gingen Herr Reck und Sigurđur fort. Mir blieb, gleich den Pferden, ein langer Ruhe- tag, um Kräfte zu sammeln für den Ritt in die Askja. Während Trygve und Helgi Gras schnitten, brachte ich drei Skizzen zur Ausführung und besuchte die nahe Jökulsá í Axarfirđi, an deren flachem Ufer ich lange saß, um mir unvergeßlich das Bild ihrer eigen- artigen Wildheit einzuprägen. Wieder tobte der Sand- sturm stundenlang, aber gegen Abend wurde die Luft ganz klar.

Als die Sonne zu sinken begann, erscholl von der gegenüberliegenden Flußseite, aus der Lava, der Ruf nach den Pferden, die Reck und Sigurđur durch das Wasser tragen sollten.

Eine Farbensymphonie von seltener Pracht entfaltete sich um uns. Über die weite Grasebene und die jenseitige Lava hin übergoß die Sonne mit rosigem Schimmer den 60 km südwestlich entfernten Vatna-Jökull. Gegen Süden lag eine Reihe dem Keilir in Reykjanes ähnlich geformter Tuffberge, die sich wie dunkle Pyramiden kupferfarben überschienen aus der umgebenden flachen Wüste erhoben. Östlich verschwammen ferne, fremde Berge in lilalichten Tönen. Während im Westen die Kolotta Dyngja sich unter den sie streifenden Strahlen in duftige Schleier aufzulösen

schien, kamen die Beiden aus dem tiefdunklen Schatten der Lava in den im Abendrot feuersprühenden Fluß geritten — stolz und froh — der Herdubreiđ war bezwungenl —

Auf der höchsten Spitze hatten sie einen Varđa errichtet, für uns alle mit dem Glase gut erkennbar. Abgesehen von dem hohen wissenschaftlichen Wert, welchen diese Erstbesteigung hatte, brachte sie unserem Ritt zur Askja großen praktischen Nutzen, da es den Beiden möglich gewesen, von der großen Höhe meilen- weit die Gegend zu überblicken. Sie sahen, wo zwischen dem Herdubreiđ und den Dyngjufjöll, durch stärkste und gleichmäßigste Bimsteinüberschüttung, die Lava ihrer Unebenheiten fast beraubt und daher verhältnis- mäßig leicht zu passieren war.

Wohl waren sie durch die außerordentlich mühevolle und sehr gefährliche Kletterarbeit ermüdet, aber die Freude, daß das kühne Unternehmen gelungen, Ruhe und Essen erfrischten sie, so daß uns anderen noch manche Einzelheit über diese hochinteressante Bergbesteigung mitgeteilt wurde. Am fesselndsten waren die folgenden Ausführungen:

Das flache Plateau, das über den senkrechten Lavawänden die Höhe des Berges bildete, war fast erreicht, noch eine Stufe über die schwarze Lava, dann mußte man über den Rand hinwegblicken können. Vorsorglich wurden die Schneebrillen aufgesetzt, um nicht von dem sonnenbeschienenen Gletscher geblendet zu werden, der ja nach den Karten dieses Plateau bedeckte. Welches Staunen, als nur schwarze Lava und ein paar schmutzige Schneeflecke sich dem Auge boten, statt der erwarteten unberührten Gletscherreinheit!

Doch die Sonne war gesunken, das Gold des Flusses verblaßt in stumpfe Töne, ein kühler Wind wehte über die Weiten, und bald empfing erquickende Ruhe uns Alle. —


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