|
|
---|
An der Geitá
Lenti
Geitá
Mit dem Überschreiten der Brücke ist auch die Entscheidung gefallen, die Tour nicht abzubrechen
und die zweite Etappe anzugehen. Ich fühle mich fit, bin wieder eingelaufen und der Arm hat
alle Belastungsproben gut überstanden. Sonne und das nun endlich gute Wetter sorgen zudem für
die Moral und Motivation.
... bönnuð
Trekker?
Ich habe meinen Rucksack wieder geschultert und folge einem schmalen Reitweg am südlichen
Hangfuß des Strúturs nach Osten. Manchmal verliert sich die Spur am steilen Hang in
abschüssigen Rinnen und die schäumende Hvítá lädt nicht gerade zu einem Bad ein. Am Hang
viele Birken und wo sich die Hvítá in einer Schleife vom Hangfuß in die Lava des
Geitlandhraun zurückzieht, schöne Wiesen mit Schafen im 3er Pack. An einem kleinem Bach, der
weiter oben einen hübschen Wasserfall bildet, mache ich etwas verspätet eine ausgiebige und
sonnige Mittagspause im weichen Gras des steilen Südhanges. Stóragil und Móhellir sind zwei
weitere Schluchten in der Südflanke des Strútur. Langsam weichen die Skógarhlíðar
(Skókgarhlíðar = Waldhänge) nach Norden zurück und entfernen sich etwas von den Hvítá. Und
wirklich sind die ersten 50 -100 Höhenmeter am Hangfuß des Strúturs teilweise dicht mit
Birken bestanden. Der Berg Strútur wird von dem Lavafeld Hallmundarhraun umflossen und sein Ausläufer
heißt hier Skógarhlíðarhraun.
Im Osten der Skógarhlíðar, genau vor der Flosaskarð zwischen dem mächtigen Plateau des
Eiríksjökull und den Kuppen des Hafrafell, ist am anderen Ufer des Lavastromes in der Karte
eine kleine, grüne Oase mit dem Namen Torfabæli verzeichnet. Bæli bedeutet Höhle oder Lager
und Torfa bedeutet Grassode oder grünes mit Gras bewachsenes Gebiet. Oder aber dieser
Ortsname leitet sich von dem Männernamen Torfi ab. Ob "Torfis Lager" oder "grasiges Lager",
auf jeden Fall hatte ich diesen Platz von Anfang an als letzten komfortablen Zeltplatz am Fuße
der Flosaskarð eingeplant. 4,5 Kilometer wären es in gerader Linie über das Lavafeld bis
nach Torfabæli aber wenn ich noch weiter nach Nordwesten am Strútur entlang gehe kann ich
den Lavafluß an seiner schmalsten Stelle überqueren und damit die Strecke fast halbieren.
Das Hallmundarhraun ist erst vor 1200 Jahren entstanden, also etwa um den Beginn der
Besiedelung Islands. Mit großen Lavafeldern habe ich im Ódaðahraun und Kjalhraun schon
etwas Erfahrungen sammeln können. Aber diese Lavafelder sind zum Teil mit Flug- und
Schwemmsand bedeckt und die Lavarücken ragen wie Schären aus dem Sand. Im Hallmundarhraun ist
die nicht der Fall, zwischen den Rücken sind tiefe Gräben, Löcher und Spalten. Anfangs
erscheint einem ein Lavafeld als ein unsystematisches Chaos. Nach einiger Zeit lernt man aber
die Formen zu unterscheiden und aus ihrer Entstehung zu verstehen. Selbst wenn ein so
großer Lavastrom wie der Hallmundarhraun mit 30 km Länge und bis zu 10 km Breite zur Zeit
des Höhepunktes der Lavaförderung ein breit strömender glühender Fluß gewesen ist, sein
heutiges Bild zeigt ihn erstarrt in seiner letzten Phase der Bewegung. Die Strukturen an
der Oberfläche des Lavafeldes sind so frisch, daß sich Vorgänge bei seiner Entstehung im
Detail studieren lassen.
Die fließende, heiße Lave kühlt sich an ihrer Oberfläche ab, bildet wie heiße Milch eine Haut
die sich zu den feinen verdrehten Wülsten der Stricklava zusammenschiebt, oder erstarrt zu
einer noch plastischen Kruste unter der noch weiter das rotglühende Magma strömt. Wo die
Lava abkühlt beginnt sie langsamer zu fließen oder dort wo sie langsamer fließt, kühlt sie ab?
Unter dieser plastischen Kruste bilden sich viele mit unterschiedlicher Geschwindigkeit
fließende Teilströme. Kommt es irgendwo zu einem Verschluß wird die Kruste über diesen Strömen
hoch aufgewölbt und auch durchbrochen. Vom Druck befreite Lava quillt hervor wie flüssiges
Erz beim Anstich eines Hochofens und bildet einen neuen oberflächlichen Strom, der rasch
abkühlt. Es entsteht ein Labyrinth an überdeckten und offenen Kanalsystemen. Läßt der Nachschub
in einem der schnellen Kanälen nach, aber dieser kann sich nach unten entleeren, so bleibt
die erstarrte und gesprengte Kruste als Tonnengewölbe über dem Kanal stehen und hinterläßt
eine Lavahöhle. Diese Gewölbe bilden in den Lavarücken die dominante Grundform des Lavafeldes.
Im Skogarhliðarhraun sind sie an ihrer Basis meist zwischen 10 und 20 m breit und etwa 5m
hoch. Als Einzelform sind sie meist nicht über mehr als 100 m lang, wobei sie sich verzweigen,
mit anderen vereinen oder aber auch einfach abtauchen können. Häufig bilden sie auch nur
flache Kuppeln ohne eine ausgeprägte Längserstreckung in der allgemeinen Fließrichtung
des Lavafeldes zu haben. Charakteristisch für diese Lavarücken sind Dehnungsrisse und Spalten
im Scheitelbereich. Im Extremfall können die Flanken der Lavarücken an ihrer Basis senkrecht
sein. Neben dieser Grundform finden sich noch alle möglichen Varianten mit aufgebrochenen
Gewölben, gekippten oder senkrecht gestellten Krustenschollen.
Nach Erkalten der Lava setzt die Verwitterung ein und die Schwerkraft läßt einen Teil der Decken
der Gewölbe einstürzen. Obwohl es unwahrscheinlich ist, daß man als einzelner Wanderer mit
seinem Gewicht den Einsturz einer solchen Höhlendecke verursacht, tut man doch gut daran sich
zu vergegenwärtigen, daß man sehr viel häufiger über Hohlräumen wandelt als man sich (alp-)
träumen läßt. Im Skogarhliðarhraun sind die Lavarücken meist von dichtem, weichem, grauem
Moos überwachsen. In den "Tälern" und Mulden zwischen den Rücken wachsen sogar vereinzelt
kleine Birkenkolonien. In der Karte ist das zum größten Teil mit der Signatur eines Helluhraun
(Fladenlava mit flacher, glatter Oberfläche) und zum kleineren Teil mit der eines Apalhraun
(Blocklava, Schlackebrocken ohne Zusammenhang) verzeichnet. Die Geologie unterscheidet dann
noch etwas genauer und führt die Bildung eines Helluhraun auf eine basaltische (basische,
gasarme) Lava und die des Apalhraun auf eine rhyolitische (saure, gasreiche) Lava zurück.
Die Unterscheidung zwischen Helluhraun und Apalhraun bezieht sich also auf die
Oberflächenbeschaffenheit der Lava und nicht auf das Relief.
Mit den Skógarhlíðar am Fuß des Strútur verlasse ich die letzte erkennbare Pfadspur. Was ich
vom Rand der Lava aus sehe ist nicht gerade ermutigend. Wie Riesenwellen folgt ein Lavarücken
dem anderen. Wild zerbrochen, von großen Spalten durchzogen, mit aufgekippten Schollen gleicht
das Lavafeld eher einem Gletscher als sonst etwas. Geradeausgehen ist nicht möglich. In
vielen Windungen suche ich meinen Weg durch diesen Irrgarten. Im grauen, weichen Moos das die
Täler zwischen den Lavarücken überwuchert versinkt man bis über die Knöchel. Ich versuche auf
den harten Untergrund der Rücken zu bleiben denn das Moos verdeckt auch die allgegenwärtigen
schmalen Spalten und Löcher. Ohne Skistöcke zum Abstützen und Sondieren würde ich nur ungern
ein solches Lavafeld betreten wollen. Die Vielfalt der Formen ist phantastisch und der Gang
beginnt nach etwas Gewöhnung sogar Spaß zu machen. Allerdings komme ich nur langsam voran, denn
man muß verflucht aufpassen wo man hintritt. Die Richtung läßt sich grob halten, indem ich
eine auffällige Landmarke an einem Berg anpeile. Als ich schließlich wieder das GPS befrage,
zeigt es mir zum Wegpunkt Torfabæli eine Entfernung von nur noch 200 m an. Kann ja wohl nicht
sein - denke ich im ersten Moment, aber siehe da, die nächsten Lavarücken sind schon deutlich
niedriger und stehen weiter auseinander.
Vor mir liegen ein paar kleine Seen, von Wollgras umsäumte Schlenken, klare Quellen und
kleine glucksend Bäche. An etwas höher gelegenen, trockenen Standorten ersetzt niedere Heide
die Moorvegetation. Einzelne Lavarücken unterteilen und trennen die Moore in unregelmäßige
Buchten und abgeschlossene Senken. Das ist also Torfabæli. Hier tritt der Grundwasserstrom unter
dem Lavafeld an die Oberfläche. Wasser gibt es in Hülle und Fülle also muß ich nur ein trockenes
und windgeschütztes Plätzchen für das Zelt finden. Während ich das Lavafeld überquerte hat sich
der Himmel mehr und mehr bezogen und der Wind hat an Stärke zugenommen. Auf meiner Suche finde
ich ein paar hübsche Bäche und zu meiner Überraschung ein etwa 20 x 10 m großes Felsbassin
mit senkrechten Seitenwänden. Offensichtlich ist hier die Decke einer Lavahöhle eingestürzt und
hat ein Becken gebildet in welchem nun tiefes, klares Wasser steht. Wenn das jetzt noch von
einer warmen Quelle käme ... der perfekte Swimmingpool. Mein Schatten erschreckt ein paar
Forellen die schnell unter die Basaltblöcke flitzen. Ich bin fasziniert. Nur 100 m weiter dann
ein Platz, wie ich ihn gesucht habe: in einem kleinen Tälchen, eben, grasbewachsen und im
Schutz einer kleinen Lavawand, die mir den inzwischen recht starken Südwind abhält. Nur der
Boden ist etwas feucht. Unweit des Zeltplatzes zeigt ein etwa 2x2 m großes, mit klarem
Wasser gefülltes Loch die Höhe des Grundwasserspiegels an.
Trofabæli
Mäßig gut geschlafen, der Boden war wohl doch nicht so eben wie ich meinte. Immer noch Südwind.
Prächtige Lentis stehen über den Bergen und zur morgendlichen Begrüßung scheint kurz mal die
Sonne auf das Zelt und sorgt umgehend für ungewohnte Wärme. Na bitte - ein Tag von der anderen
Sorte kündigt sich an. Vor dem Zelt Abbauen noch ein paar Bilder gemacht.
Um 8:15 Aufbruch mit einem Startjodler. Die Straße geht so steil bergab, daß ich im Zickzack gehe
um die Knie zu schonen. Die Geitá bleibt weiter rechter Hand in einer engen Schlucht und läßt
durch eine in der Sonne leuchtende Gischtfontäne einen Wasserfall erahnen. Leider bekommt man
ihn von der Straße aus nicht zu Gesicht. Die Lambá, die von links steil den Hang
herunterkommt, hält was sie auf der Karte versprochen hat: schöne Plätzchen um zu
Zelten. Allerdings ist auf der Karte noch der alte Straßenverlauf verzeichnet und so geht es
erst weiter steil den Hang hinab und erst an der Mündung in die Geitá führt eine Brücke über
die Lambá. Hier, am Beginn einer grünen Schlucht neben einem Wasserfall, wäre wohl der
schönste Zeltplatz gewesen. Zwei Mountainbiker haben sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen
und sitzen neben ihrem Zelt in der Sonne und Frühstücken. Man winkt sich zu. Überall am
Hangfuß steht dichte Vegetation. Ich bin nur noch auf 200 m Höhe über dem Meer und die Sonne
brennt vom föhnklaren Himmel. Hier unten geht nur wenig Wind aber die ausgeprägten
Linsenwolken über dem Eiríksjökull zeigen an, daß es in der Höhe stürmt. Es wird warm und ich
muß die leichtere Kniebundhose anziehen. Es geht flach und flott dahin. Allerdings führt mich
die Straße erst mal in die falsche Richtung. Es geht 4 km nach Westen zur Brücke über die Geitá.
Am Nachmittag darf ich diese Strecke auf der anderen Seite des Geitlandshraun
wieder zurückmarschieren.
Die Geitá, die mich zu dieser weiten Schleife zwingt, überrascht durch eine schöne Engstelle
neben der Straße, wo sie sich eine nur wenige Meter breite Rinne in den Säulenbasalt geschliffen
hat. Nördlich des Flusses das Lavafeld Geitlandhraun und südlich der niedere aber dichte
Birkenwald Húsafellskógur. Endlich an der Brücke angelangt wechsle ich auf die Hvításiða,
die "Hvításeite" des Tales und der drückende Rucksack erinnert mich daran, daß es Zeit wäre
eine kleine Pause einzulegen.
Neben der Straße ein komfortables Rasenbänkchen und ein nettes Schild "Zelten verboten".
Der Grundeigentümer scheint hier schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Kurz vor dem
Hof Kalmanstungur inspiriert mich noch ein Schild "Vorsicht Fußgänger!" ein Photo zu stellen.
Ich bin tief gerührt, daß man hier so fürsorglich der Sicherheit der Wanderer gedenkt. Hundert
Meter hinter dem Schild biege ich nach rechts zum Hof Kalmanstunga ab. Der große, abgelegene
Hof besteht aus mehreren Gebäuden unterschiedlicher Entstehungszeit. Kalmanstunga wird in
vielen alten Reiseberichten und auch in der Hellismannasaga erwähnt. Zwischen den Gebäuden
hindurch werde ich vom Hofhund ausgebellt und folge weiter einem Weg der durch die saftigen
Wiesen zu einer etwas entfernteren Gruppe von Scheunen führt, wo er offensichtlich endet.
An den Scheunen ist ein Mann damit beschäftigt die Mechanik eines Heuladers abzuschmieren. Da
ich ungern über die Felder eines Hofes trample ohne wenigstens die Erlaubnis dafür einzuholen,
nähere ich mich ihm und spreche ihn vorsichtig an. Da er unter seinem Heulader liegt hat er
mein Kommen nicht bemerkt. Er ist wohl schon gut über Sechzig und vielleicht kann ich von ihm
ein paar Auskünfte über meine heutigen Weg und den günstigsten Aufstieg von Torfabæli
zur Flosaskarð erfahren. Wenn einer was weiß, dann sicher er, denn das ist schließlich das Hinterland seines Hofes. Anfangs grummelt er etwas, taut dann aber auf und wird richtig
gesprächig. Aha, also nicht durch die Schluchten Hafragil oder Flosagil, sonder einfach
zwischen ihnen, gerade den Hang hinauf. Und da er gerade sowieso mit dem Abschmieren
seines Heuladers fertig sei, könne er mich bis zu seinem Heufeld mitnehmen. Es ist zwar gerade
mal einen Kilometer bis dorthin und ich werden gehörig durchgeschüttelt, aber ich nehme
das freundliche Angebot an. Halb isländisch, halb englisch fragt er mich aus. Was ich so
beruflich mache und warum ich so viel in Island reisen würde? Sein Sohn würde in den USA leben
und wäre auch Programmieren, ja, ja, die Computer. Wir sind am letzten Heufeld angekommen und
ich verabschiede mich von dem freundlichen, alten Mann. Ich soll aufpassen, meint er noch,
hinter dem Berg und deutet Richtung Eiríksjökull, gibt es viele Sandstürme.
Nach dem das Zelt aufgestellt ist mache ich mich auf eine kleine Photosafari solange ich noch
mit etwas Sonne rechnen kann. Den Lavarücken unter dem mein Zelt steht markiere ich
vorsichtshalber vorher mit einem Skistock. Nebenbei habe ich mich auch noch mit frischem
Wasser versorgt. Zeit für ein kurzes Spätnachmittagsnickerchen. Danach bei einer Tasse
Kaffee Eintragungen ins Tagebuch und Übertragen der im Laufe des Nachmittags genommenen
GPS-Positionen in die Karte. Zum Abendessen Spaghettis, den Umständen entsprechend in
abenteuerlichen Mengen - trotzdem habe ich es geschafft alles wegzuputzen. Anschließend noch
ein Verdauungsspaziergang Richtung Westen. Laut GPS und Karte müßte ich mich schon westlich
eines Baches befinden. Meine Zweifel erweisen sich aber als berechtigt. Der klare Bach,
der Oberlauf der Hvítá, führt hier seinen Namen noch zu unrecht und ist noch nicht der
trübe Gletscherfluß den die Zuflüsse aus der Hafragíl aus ihm machen. Auf jeden Fall ist morgen
Früh ein Fußbad fällig, was zugegeben nicht schaden könnte. Die Wolken haben sich gegen Abend
weiter zu 7/8 verdichtet. Alle sind föhnig überformt und zeigen Sturm in der Höhe an. Gut,
der heutige Tag war geschenkt, aber morgen geht es durch schwieriges und steiles Gelände in
die Flosaskarð hinauf und da brauche ich gute Sicht. Im Zelt noch bis 22:20 Uhr an
den Aufzeichnungen.
Zurück zu Inhalt
nächster Tag