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Der Wecker war auf 5:00 Uhr gestellt. Es scheint trocken zu sein. Ein Sonnenstrahl fällt auf das
Zelt. Dennoch, am Himmel hängt eine fast geschlossene Wolkendecke. Habe gerade den Schlafsack
verpackt, als es wieder ordentlich auf's Zelt trommelt. Aber auch dieser Schauer geht vorüber.
Múlajökull
Wie erwartet geht es auf dem Eis wunderbar voran. Die Oberfläche des Eises ist eben, nur ab und
zu müssen ein paar Spalten umgangen werden. Die Struktur des Eises ist grobkörnig und es ist von
Sand und feinem Schutt durchsetzt. Die Grödel, kleine vierzackige Leichtsteigeisen, greifen
verläßlich, sobald man sich darauf eingestellt hat, daß eben nur die Mitte der Schuhsohle "Griff"
hat. Ich halte mich 50 bis 100 Höhenmeter über dem Eisrand und habe somit einen schönen
Überblick über Möränen und den ganzen "glazialen Formenschatz". Der Gletscher, der sich wie ein
Fladen in das Vorland schiebt, gehört sowieso als Vorzeigeexemplar in jedes Lehrbuch. So hat das
also mal ausgesehen im Alpenvorland. Schon während meines Geographiestudiums hatten mich die
Luftbilder dieses Gletschers, aufgrund seiner perfekten Form, fasziniert. Der Múlajökull hat mich
seither nie mehr ganz losgelassen. Das ist nun schon mehr als 15 Jahre her und heute wandere ich
auf dem Eis des Múlajökull und schreite Schritt für Schritt in einem riesigen Bogen eben diese
perfekte Form ab. Es ist schon ein besonderer Moment für mich.
Múlajökull
Immer wieder muß ich einen weiten Schritt über eine der zahlreichen Schmelzwasserrinnen machen. Da ich
mich auf einer konvexen Fläche bewege reicht meine Sicht nur etwa 200-300 Meter voraus.
Bin ich gespannt ob vielleicht eine größere Spaltenzone auftauchen könnte. Nach etwa 2/3
der Wegstrecke mache ich eine Pause und spüle den gröbsten Schlamm von den Stiefeln. Mit
kalten Windböen und kräftigen Regenschauern treibt mich eine Regenfront weiter. Nun können die
Schmelzwaserrinnen das zusätzliche Wasser nicht mehr fassen und überall schießt das Wasser
grugelnd und zischend über die geneigte Eisfläche dem Gletscherrand zu. Graupel prasselt von
schräg hinten gegen die Anorakkapuze. Endlich bin ich soweit im Kreis herum, daß sich der
Arnarfell über den Eishorizont schiebt. Jetzt wird es langsam spannend. Auf den Gletscher zu
kommen war nicht besonders schwierig. Mit dem Weg über das Eis habe ich mir einige Furten
gespart, aber irgendwo muß ich auch wieder herunter. Am Nordrand des Múlajökull entspringt sein
mächtigster Abfluß, der Arnarfellskvísl und der führt, wie ich jetzt schon sehen kann, mächtig viel
dunkelgraues Schmelzwasser. Die einzige Möglichkeit den Fluß zu furten wäre wohl weiter draußen im
Vorland. Wird es möglich sein oberhalb des Gletschertores über das Eis zu queren? Wie wird es
dort aussehen?
Arnarfell
Meine Rechnung geht auf. Mit Annäherung an die den Gletscher begrenzende Felswand der Jökulbrekka
nehmen die Spalten zu und
zwingen mich zu ein paar Umwegen, aber der Übergang zur der an die Jökulbrekka
geschobenen Seitenmoräne ist dann ziemlich unproblematisch. Etwa zweiundert Meter oberhalb
des Quellbeckens des Gletscherflusses wechsle ich vom festen Eis in den lockeren Schutt der steilen
Randmoräne. Mehr als einmal bin ich kurz davor wieder auf dem Gletscher zu landen, als die dünne
Schuttauflage mitsamt mir auf dem Eiskern abzurutschen beginnt. Endlich weicht die Felswand
zurück und ich komme auf stabileren Untergrund. Am Quellbecken des Gletscherflußes wasche
ich meine Grödel und verstaue sie wieder. Wie oft an flach auslaufenden Gletschern hat sich hier
kein sichtbares Gletschertor gebildet sondern das Wasser drückt mit Macht aus einer unter dem
Waserspiegel des Quellbeckens liegenden Öffnung des Eises hervor
Der Kessel von etwa 25 Meter
im Durchmesser ist in wilder Aufruhr. In seiner Mitte drückt sich der schmutziggraue Schwall, senkrecht
von unten kommend, bis zu einem Meter empor. Es ist ein eindrucksvolles Schauspiel.
Valdimar
Zu meiner Überraschung entdecke ich weit draußen in der Ebene ein paar sich langsam bewegende,
bunte Punkte. Nach längerer Beobachtung bin ich mir sicher, daß sich dort eine kleine Gruppe von
Wanderern auf den Arnarfell zubewegt. Neugierig, wie ich bin, gehe ihnen entgegen. Die Wanderer
haben nur Tagesgepäck dabei und ein Hund ist bei ihnen - es müssen wohl Isländer sein. Wie um
mein inzwischen gefestigtes Vorurteil zu bestätigen, finde ich unter der achtköpfigen Gruppe drei mir
bekannte Gesichter: Valdimar, der Hüttenwart von Þverbrekknamúli, seine Frau und ihr Hund
Lóran. "I am sorry that we are disturbing you again" lacht Valdimar entschuldigend und spielt
darauf an, daß er vor fast genau vor einem Jahr erst gegen 23:00 Uhr zur Hütte Þverbrekknamúli
kam als ich mich, als einziger Gast, gerade in den Schlafsack zurückgezogen hatte (es wurde noch
ein netter Abend!). Heute lerne ich dafür noch seine 2 Töchter (beide Geographinnen) kennen, von
denen er mir damals berichtet hatte. Die Gruppe hat heute Morgen mit einen kleinen Schlauchboot
über die Þjórsá übergesetzt und sie wollen noch den Arnarfell besteigen. Hund und Frauchen
bleiben aber am Bergfuß zurück, da Lóran mit einer wehen Pfote humpelt und traurig winselt.
Leiste den beiden noch etwas Gesellschaft, muß dann aber wieder zurück zu meinem Zelt und um
das sonnige Wetter zum Schlafsack lüften und Wäsche trocknen zu nutzen.
Valdimar
Bei ihrer Rückkehr vom Gipfel des Arnarfell treffe ich mich wieder mit der Gruppe. Diskutiere mit
der einen Geographin über den Tourismus im Hochland usw. Valdimar ist ganz stolz über das Bild
von "seiner" Hütte im Internet. Das war wirklich ein sehr nettes Treffen - nicht nur wegen den
Mädels. Wir verabschieden uns und die Isländer machen sich wieder auf den Weg zu ihrem
Schlauchboot an der Þjórsá. Gehe zurück zum Zelt und photographiere noch ein wenig Blumen
und Pflanzen. Nach dem Abendessen gehe ich ein Stück den Hang hinauf und genieße die
Ausssicht über die Þjórsárver und den Sprengisandur. Während den abendlichen Aufzeichnungen
pritschelt ein Regenschauer auf das Zelt.