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Klarer, fast wolkenloser Morgen. Im Zelt -6°C. Reif auf der Innen- und Außenseite des Zeltes. Koche Tee und
würge schnell das Müsli in mich hinein, packe zusammen und schaffe den Start um 7:30 Uhr. Der Schnee
ist perfekt. Die Oberfläche ist hart gefroren und nicht einmal zu Fuß breche ich ein. Eine glitzernde
Reifschicht macht den Schnee griffig und so haben die Schuppen der Ski einen guten Abstoß. Mit dem GPS
bestimme ich meinen Kompasskurs und präge mir den Winkel zu dem Kverkfjöll ein. Sie sollten für's erste
schräg rechts von mir liegen.
Aufbruch
Um 9:00 Uhr habe ich einen sanften Rücken überschritten und es geht nun leicht bergab. Ich merke es
daran, daß die Ski noch besser gleiten und direkt voraus auf Kurslinie kann ich jetzt den Grímsfjall
erkennen. Weiter südlich liegt die die flache Kuppe der Háabunga. Es sind noch über 30 km bis zum
Grímsfjall, dem Kraterrand des subglazialen Vulkans der Grímsvötn. Die Karte unterscheidet in der
flach von Süden ansteigende Rampe die Svíahnúkar (Svíahnúkur vestri, Svíahnúkur eystri), den jeweils
westlichen und östlichen "Schwedengipfel" und bezeichnet nur den Absturz hinunter in den meist
eisbedecketen Kraterboden der Grímsvötn als den Grímsfjall. Auf dem Svíahnúkur eystri stehen die bekannten
Hütten des JÖRFÍ die als vulkanologische Forschungsstationen genutzt werden.
Jetzt im Sommer ist der Gipfel leicht zu erkennen da Teile des Gipfelbereiches durch austretende
Dämpfe schneefrei gehalten werden. Wenn die Sicht weiter gut bleibt ist die Orientierung ab jetzt einfach:
ich brauche nur auf den Gipfel des Grímsfjalls zuhalten.
Das GPS brauche ich jetzt nur noch zur Entfernungsbestimmung. Bis Mittag will ich den Wegpunkt "FLAT"
erreichen, das sind 12 km. Dann will ich noch so weit gehen, wie die nachmittäglichen Schneeverhältnisse
mir dann noch erlauben.
Um 10:00 Uhr weiß ich mich nicht mehr anders vor der Sonne zu schützen, als daß ich mir trotz der Wärme
die dünne Sturmhaube überziehe. Die Nase wird bei jeder Pause dick eingeschmiert und ich habe die
dünnen Langlaufhandschuhe angezogen, da ich mir die Sonne die Handrücken verbrannt hat.
Wie gewünscht
erreiche ich Mittags den Wegpunkt. Aber jetzt noch mal so locker 12 km abspulen ist nicht mehr
möglich. Ich bin etwas tiefer gekommen. Der Schnee ist naß, ich breche ein und die Pulka will wieder
gezogen werden. Der Himmel hat sich mit einer hohen Wolkenschicht bezogen und in dem Zwielicht kann ich
kaum den Schnee vor mir erkennen. Die Euphorie des Vormittags ist verflogen - jetzt herrscht
Katerstimmung. Die jungfräuliche, glatte Schneedecke die ich heute Morgen hatte bekommt mehr und mehr
Löcher in denen schmutziger, buckliger Altschnee zu Tage tritt. Auch hat
die Sonne im Laufe des Vormittages ganze Arbeit geleistet. Die Schneequalität verschlechtert sich
rapide.
Abendsonne
Wie auf dieser Tour üblich brauche ich etwa ein Stunde bis der Lagerplatz vorbereitet und das Zelt
aufgebaut und eingerichtet ist. Erschöpft liege ich auf der Isomatte und kontrolliere meine Position.
Tatsächlich sind es 19,4 km die mir noch zu den Grímsvötn bleiben. Bei diesen Schneeverhältnissen
schaffe ich es morgen kaum bis zur Hütte. Zum Schluß kommen dort noch gut 200 Höhenmeter Anstieg. Selbst
wenn der Schnee heute Nacht gefrieren sollte, was nicht sicher ist, wird die Oberfläche bucklig und
krustig werden. "Fräulein Smillas Gespür für Schnee" wäre eine angemessene Rucksacklektüre für
diese Tour gewesen. Aufzeichnungen bei einem Becher "Swiss Miss" verfeinert durch einen Schuß Whisky.
Draußen absolute Windstille - kaum zu glauben.
Zügig und leicht gleite ich durch eine schier unendlich weite Glitzerwelt. Die Pulka zischt leise und fast
ohne Widerstand hinter mir. Locker finde ich in meinen Rythmus. Weit pendeln die Arme, die Stöcke setzen
in spitzem Winkel ein und machen beim Durchziehen nach hinten Druck. Ein ruhiger Diagonalschritt mit
leichter Gleitphase - wie in einer Loipe. Es kann alles so einfach sein. Mich überkommt Euphorie.
Glücksgefühl überschwemmt mich. Es ist wieder einmal einer dieser Momente auf einer Tour in denen sich
alles fokusiert, alle Anspannung sich löst und alle Emotionen frei werden. Ich lasse ihnen freien
Lauf, empfinde nur noch Glück.
Ich nehme mir vor mich noch bis 16:00 Uhr durchzubeißen, bis dahin sollte ich die Entfernung zum
Grímsfjall auf weniger als 20 km verkürzt haben. Mangels landschaftlicher Merkmale bestimmt die Uhr
mein Ziel. Irgendein Ziel brauche ich. Aber Zeit hat die Eigenschaft sich zu dehnen je öfter man
auf die Uhr schaut. Die letzten Minuten die letzte Viertelstunde wird
zur Willensleistung. Schließlich durchbreche ich das widersinnige Diktat der Uhr und ramme un 15:55 Uhr
meine Stöcke in den Schnee. Mir reicht's. Ich bin fertig für heute. Schließlich habe ICH die Kontrolle
über meinen Tagesablauf nicht die Uhr!