16. Tag, Kverkfjöll - Siguršarskáli

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Copyright © 2004 Dieter Graser

Montag, 12. Juli 2004


Bin schon vor dem Wecker wach. Das Wetter sieht entgegen meinen abendlichen Befürchtungen ganz gut aus. Ein paar Wolkenfetzen segeln über den Himmel, aber es ist sonnig und am Zelt ist kein nenneswerter Wind zu spüren. In der Nacht muß es leicht gefroren haben, denn der Schnee ist hart. Bevor ich mich in die Pulka einspanne, winke ich zu den Schweizern hinauf die vor die Hütte getreten sind. Heute Abend werden wir uns an der Siguršarskáli wiedertreffen.

Kverkfjöll Gipfel
Zunächst geht es an einen Aufstieg den ich nach einem ersten Versuch mit Ski besser zu Fuß fortsetze. Der Schnee ist hart genug und ich habe keine Lust die Felle aufzuziehen. Nach einer halben Stunde Arbeit erreiche ich den höchsten Punkt der westlichen Kverkfjöll. Die Aussicht nach Norden wird durch eine dichte Wolkendecke versperrt die mit ihrer Oberkante bis knapp unter meinen Standpunkt reicht. Ich mache noch ein paar Bilder und mache mich dann für die Abfahrt fertig. Vom letzten Jahr her kenne ich die Route. Also erst schräg hinüner zu dem Grat mit den Heißen Quellen. Oberhalb dieser bleiben und dann in den riesigen Schneehang der Langafönn queren. Aber schon nach wenigen Metern tauche ich in dicken Nebel ein.

Langafönn
Mit Pulka und Ski bin ich natürlich nicht auf der ausgetretenen Spur unterwegs, die teilweise auch über schneefreien Fels führt, sonder ein gutes Stück oberhalb - so vermute ich jedenfalls. Zu sehen ist ja nichts. Ziehe gleich das GPS zu Rate und bin froh, daß ich vor einem Jahr einige Wegpunkte aufgenommen habe. Mit etwa 20 Metern Sicht fahre ich in einen steiler werdenden Hang ein. Um nicht zu schnell zu werden erlaubt mir die Pulka nur eine flache Schrägfahrt. Ehe ich mich versehe bin ich schon sehr viel weiter in Schneefelder der Langafönn gekommen als ich geschätzt hätte. Für einen Moment zweifele ich sogar die Angaben des GPS an. Ich erinnere mich an einen Hang der oben noch flach ist, dann aber steiler wird und auf eine Wächte mit einem Steilabbruch führt. Das GPS sagt mir, daß ich schon weit an der gefährlichen Stelle vorbei sein muß, aber ich habe die Stelle nicht gesehen und so habe ich ein ungutes Gefühl als ich zum ersten mal in Schrägfahrt auf Gegenkurs gehe. Meine Geschwindigkeit kann ich nur über das Gefälle meiner langen Traversen regulieren. Die Pulka zeigt keinerlei Tendenzen seitlich abzurutschen. Das einzige Problem sind die Wenden. Zum mit Rucksack und Pulka Kurven zu fahren ist mir der Hang zu steil, also steige ich einfach mit weit gegrätschten Ski hangwärts um die Pula herum die dann unter mir hängt und gehörig zieht. "Kuhhalse" würden die Segler so was nennen. Endlich komme ich unter die Wolkenbasis und die Sicht wird frei. Sofort kann ich mich auch durch Augenschein orientieren und erkenne daß ich noch ziemlich weit im oberen Teil der Langafönn befinde.

Der Schnee ist griffig und ich kreuze in flottem Tempo über den kilometerbreiten Hang. Es macht richtig Spaß und hinter mir hüpft auch die Pulka vor Freude! Weiter unten wird der Hang etwas flacher und ich kann es wagen die Wenden zu "fahren". Auf dem letzten Schenkel der Abfahrt geht es flach zur westlichen Seitenmoräne des Kverkjökull. Ich versuche noch einmal einen imaginären Geschwindigkeitsrekord zu brechen.

Kverkjökull
In zwei Fuhren trage ich Ski, Pulka und Rucksach über den schmalen Moränenwall. Genau wie letztes Jahr ist der Rand des Kverkjökull noch schneebedeckt, dann folgt aperes Gletschereis. Gérald und einer seiner Freunde kommen mir im Aufstieg entgegen. Sie wollen sich oben bei den Hverir mit den drei anderen treffen um zu versuchen in einer Eishöhle zurückgelassenes Material zu bergen. Wir verabreden uns für heute Abend an der Hütte. Mit dem Abstieg über den Kverkjökull beginnt der schwierige Teil des Tages. Ich schnalle die Ski auf die Pulka und lege die Grödel an. Das Eis ist grobkörnig, spröde und von schwarzem Lavasand durchsetzt. Die Pulka wird durch den Sand gebremst und hat auf der rauhen Oberfläche genug Seitenführung um nicht seitlich auszubrechen. Einige Spalten sind zu umgehen und ein paar hohe Stufen an verheilten Rissen zwingen mich die Ski von der Pulka an den Rucksack umzupacken. Entgegen meinen Befürchtungen schiebt die Pulka an den steilen Abschnitten des Gletschers nicht allzusehr und ich habe sie gut unter Kontrolle. Unten am Gletscherende kann ich schon die Piste zur "Eishöhle" erkennen. Einige große Geländewagen kriechen auf ihr von der Siguršarskáli heran. Behutsam setze ich Schritt für Schritt die Zacken der Grödel in das knirschende Eis.

Ende
Der Wechsel über die Mittelmoräne vom westlichen zum östlichen Teil des Gletschers und schließlich die breite und schwierig zu begehende Endmoräne erfordern weitere "Portagen". Zweimal mache ich den Weg über gröbe Blöcke und rutschiges Geröll der steilen Hügel aus Möränenschutt zum "Parkplatz Eishöhle". Vor allem mit der schweren Pulka auf der Schulter ein hartes Stück Arbeit zum Abschluß. Ich wuchte mein Material zu einem Steinhaufen auf dem Parkplatz, der wohl so etwas wie ein Warte darstellen soll und setze mich erschöpft auf meine Pulka. Versuche wieder zu Atem zu kommen. Zwischen meinen Stiefeln sprießt etwas dünnes Gras - nur ein paar Halme. Ich habe es geschafft. Ich bin auf der Nordseite des Vatnajökull angekommen. Erst einmal brauche ich nur Luft und etwas zu trinken. Ich habe heißen Tee und jede Menge Müsliriegel im Rucksack.

Wenige Meter von mir entfernt stehen drei weiße Wohnmobile der verschiedenen Klassen. Ein Landrover mit Wohnaufbau, ein umgebauter Unimog und schließlich ein MAN-Dreiachser, wie er größer auch bei der Bundeswehr nicht zum Einsatz kommt. Entsprechende "Adventure-" und Werbeaufkleber der einschlägigen Ausrüster sind so selbstverständlich wie das D-Schild. Drei Aliens der UFO-Besatzungen haben nicht auf freundlich gemeintes Begrüßungsnicken reagiert. Hat sie mein Gepäck erschreckt? Fürchten sie, daß ich ein Anhalter bin? Nein, diese Wesen müssen in einer Parallelwelt leben - keine wirkliche Kontaktaufnahme möglich.

Dann fahren vier der Schweizer Höhlenforscher mit ihrem Leihbus vor und winken mir zu. Ich kann nicht anders und schreie mir die Freude, die schon die ganze Zeit wie ein Kloß in meinem Hals sitzt, heraus. Ich möchte meine Freude mitteilen und vermute, daß sie mich am ehesten verstehen können. Als die Schweizer zu mir herüberkommen kann ich ihnen weing Sinnvolles antworten und bin froh darum, daß mir die große Gletscherbrille die Augen verdeckt. Ich bin so glücklich wie ich es nur sein kann!

Die Schweizer wollen noch die Eishöhle am Gletscherende begehen und auf der Rückfahrt meine Pulka und Ski mit zur Siguršarskáli bringen. Ich packe meine Zeltausrüstung an den Rucksack und mache mich zu Fuß auf die letzten vier Kilometer zur Hütte. Dies ist der Ausklang den ich nun brauche. Ich kann mir nicht vorstellen nach der Vatnaüberquerung dort mit einem Auto anzukommen. Ich freue mich schon darauf Lissi und Sirra, die beiden sympathischen Hüttenwartinnen wiederzusehen. Das Furten des knietiefen Gletscherbaches macht Spaß und erfrischt die Füße. Eine gute Stunde gehe ich vor mich hin, singe laut und falsch Rod Stewart's "Sailing", wie immer, wenn ich einen sicheren Hafen ansteuere und gebe mir die Möglichkeit das Ende der Tour auf meine Weise zu feiern. Ich kenne den Weg und weiß schon hinter welcher Biegung die Hütte auftauchen wird. Zu meiner Überraschung begrüßt mich dort ein weißes, vielleicht einmonatiges Lämmchen. Mein Zelt baue ich auf dem selben grünen Platz wie letztes Jahr auf.

Inzwischen sind auch meine Pulka und die Ski eingetroffen. Als ich alles eingerichtet habe ist ein Besuch in Hütte fällig. Was soll ich sagen? Die Begrüßung durch Lissi und Sirra ist nicht weniger herzlich als der Abschied im letzten Sommer. Ich werde geherzt und gedrückt und gleich zu einer Tasse Kaffee Im Büro eingeladen. An welchem Ort hätte ich so eine Tour besser beenden können, als an diesem? Es ist der freundlichste Empfang, den ich mir wünschen konnte.

Am Abend bin ich dann bei den Schweizern zum Fondue eingeladen. Als Aperitiv bekomme ich eine Dose Leichtbier in die Hand gedrückt, dann werden zwei Tische zu einer großen Tafel zusammengerückt, die Rechauds vorbereitet, Brot wird aufgeschnitten und schließlich kommen die duftenden Käsetöpfe aus der Küche und ein Festmahl Asterix'schen Ausmaßes nimmt seinen Lauf. Der glückliche Ausgang der Höhlenabenteuer wird gefeiert. Es werden sogar Rufe sogar "Le bâton, le bâton!" laut, wenn einer sein Brotstückchen in der Käsemasse verliert. Fehlt eigentlich nur noch der an einen Baum gefesselte Barde. Meine Pulka birgt noch zwei Packungen "Mousse au Chocolat" die ich zum Nachtisch beisteuern kann. Gegen Mitternacht fallen mir die Augen zu und ich verabschiede mich in Richtung Schlafsack.


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